„Wir sind weit hinter anderen Ländern zurück“

05.07.2019 
Von: Stefanie Schlüter
 
Redaktion
 
Interview: Onlinezugangsgesetz
Daniel Karrais. Foto: FDP

Daniel Karrais. Foto: FDP

Stuttgart. Bis Ende 2022 muss das Onlinezugangsgesetz umgesetzt sein. Bund, Länder und Kommunen müssen bis dahin rund 575 Verwaltungsleistungen digital erbringen. Nach Ansicht des FDP-Digitalexperten Daniel Karrais wird die Zeit für die Umsetzung jedoch langsam knapp. Doch die Antwort des Innenministeriums auf einen Landtagsantrag der FDP-Fraktion bleibt in vielen Punkten wenig konkret, wie Daniel Karrais kritisiert.

Hatten Sie bereits die Möglichkeit, Gänge zum Amt digital zu erledigen?

Daniel Karrais: Bislang habe ich lediglich ein Nummernschild digital reserviert. Nicht aus mangelndem Willen, sondern weil es einfach die Möglichkeit nicht gab.

Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen, ihre Verwaltungsleistungen auch online anzubieten. Ist das zu schaffen?

Beim jetzigen Umsetzungsstand halte ich das nicht für zu schaffen, auch wenn es wünschenswert wäre. Aber wenn wir uns die Antwort auf unseren Landtagsantrag anschauen, sieht man, dass da zunächst rund 20 Leistungen bis zum kommenden Jahr umgesetzt werden sollen. Dann haben wir für den Rest nur noch zwei Jahre Zeit. Und dann wird es schon ziemlich eng.

Schaut man sich die Antwort des Innenministeriums auf den Antrag der FDP an, wurde bei rund 16 Verwaltungsleistungen empfohlen, diese mit Paten-Kommunen anzugehen, darunter beispielsweise das Beantragen von Sonderparkausweisen für soziale Dienste, das An- und Abmelden von Hunden oder das Anmelden eines Gewerbes. In anderen Ländern können sich die Menschen den Gang zum Amt häufig sparen.

Wir sind weit hinter den Entwicklungen anderer Länder zurück. Wir belegen beim EU-Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft Platz 26 von 28. Und bei den Behördengängen haben wir 43 Prozent in Deutschland, die diese digital erledigen. Aber der EU-Schnitt liegt halt bei 64 Prozent. Das ist definitiv ein Armutszeugnis für Deutschland, aber auch für Baden-Württemberg.

Das Land hat eine Digitalisierungsstrategie vorgelegt. Viele Kommunen machen sich Gedanken zur Digitalisierung ihrer Dienstleistungen. Wie sehen Sie Baden-Württemberg aufgestellt?

Es ist positiv, dass etwas unternommen wird und dass sich viele Kommunen Gedanken machen. Doch es reicht nicht aus, lediglich einzelne Verwaltungsleistungen digital umzusetzen. Wir brauchen eine gemeinsame Plattform und eine entsprechende Koordination, damit nicht Lösungen doppelt entwickelt werden. Das Land hat die schwierige Aufgabe, einen Fahrplan vorzugeben und die Kommunen an die Hand zu nehmen, beziehungsweise sie zu befähigen, als Avantgarde etwas zu entwickeln, das dann auf alle anderen angewandt werden kann.

Aber passiert das nicht bereits, etwa über Service-BW als gemeinsamer Plattform?

Das sehe ich momentan nicht. Wir machen was, ja. Es geht auch was voran. Aber vieles scheitert auch an dem Verständnis in manchen Amtsstuben, was wir mit E-Government überhaupt wollen. Derzeit geht der Stand beim E-Government an der digitalen Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei.

Was wäre notwendig?

Es reicht nicht aus, einzelne Verwaltungsdienstleistungen, wie die Beantragung eines Parkausweises, umzusetzen. Wichtig wäre die Etablierung des Once-Only-Prinzips. Bürger sollten Dokumente wie Geburtsurkunden, Meldenachweise oder Handelsregistereinträge nicht mehr bei jeder Stelle neu vorlegen müssen.

Sie hatten nach einem Ablaufplan für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes gefragt. Den haben Sie nicht bekommen.

Die Antworten des Innenministeriums sind insgesamt sehr oberflächlich und unkonkret. So kann man die Regierung auch auf nichts festnageln. Ich hatte mir mehr erhofft. Denn wenn man 575 Maßnahmen bis 2022 umsetzen soll, dann muss man ja bereits einen Ablaufplan haben, bis wann man welche Meilensteine erreicht haben will. Da stellt sich die Frage, ob die Regierung keinen Plan hat. Das wäre desaströs. Oder ob sie einen Plan hat und den nicht offenbart. Beides ist nicht zufriedenstellend.

Sie haben beantragt, dass der Landtag regelmäßig über die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes informiert wird. Wie gut fühlen Sie sich bislang informiert?

Gar nicht. Deswegen haben wir das auch beantragt. Erfreulich ist, dass das Innenministerium einen jährlichen Bericht zugesagt hat.

 Schleswig-Holstein hat einen E-Government-Beirat, in dem auch Vertreter von Industrie- und Handelskammern eingebunden sind. Die FDP hätte dies auch gerne für Baden-Württemberg.
Der Digitalexperte der Fraktion, Daniel Karrais, könnte sich auch vorstellen, Bürgervertreter über eine Art Thinktank mit einzubinden, um festzustellen, was Bürger und Gewerbetreibende brauchen und von der Verwaltung erwarten. „Sonst hat man so einen Flop wie beim elektronischen Personalausweis. Er war eigentlich eine gute Sache, doch so unpraktikabel, dass ihn kein Mensch genutzt hat. Da hat man eine Chance vertan“, so Karrais. Denn mit dem elektronischen Personalausweis hätten sich viele Möglichkeiten im Bereich E-Government ergeben können.

Außerdem lesen Sie diese Woche im Staatsanzeiger, warum das Onlinezugangsgesetz Städte vor eine große Aufgabe stellt. Der Städtetag fordert die elektronische Unterschrift zu vereinfachen. Wenn Sie als Abonnent angemeldet sind, kommen Sie direkt über diesen Link zu dem Artikel. Zum Abonnement des Staatsanzeigers geht es hier weiter.


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