Migranten in Spitzenämtern unterrepräsentiert

05.11.2021 
Redaktion
 

Foto: dpa/Westend61/OneInchPunch

STUTTGART. Michael Kara ist in seiner Abschlussarbeit der Frage nachgegangen, welche Rolle die Herkunft eines Kandidaten bei einer Bürgermeisterwahl spielt. Klar ist nach einer Auswertung der Daten: Menschen mit Migrationshintergrund sind in den Reihen der Gemeindeoberhäupter deutlich unterrepräsentiert. Zwar hat jeder dritte Bewohner im Land einen Migrationshintergrund, trotzdem haben lediglich fünf Prozent der Wahlsieger eine Migrationsgeschichte, schreibt er in seiner Bachelorarbeit für die Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg.

Um den Anteil dieser Bürgermeister in Baden-Württemberg festzustellen, hat Kara sich auf die Namen bezogen. Die Daten hat er im vergangenen Jahr erhoben, mittlerweile sind weitere Rathauschefs mit Migrationshintergrund gewählt worden.

Politikverdrossenheit und Vertrauensverlust in die Demokratie

Die Gründe für die relativ geringe Anzahl von Menschen mit Migrationsgeschichte an der Rathausspitze sind vielschichtig, schreibt er in seiner Arbeit. Zum einen sind sie rechtlicher Art: Viele Migranten sind als Nicht-EU-Bürger nicht wählbar. Dazu kommt, dass relativ viele sehr jung sind und das Mindestalter für die Wählbarkeit von 25 Jahren noch nicht erreicht haben.

Aber es gibt tiefergehende Gründe, warum Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur im Bürgermeisteramt, sondern auch in anderen politischen Ämtern unterrepräsentiert sind, etwa ein niedriger Bildungsstand und in der Folge ein geringeres Einkommen. Daraus resultierten weniger Freizeit und geringe finanzielle Mittel, die einen Wahlkampf und die Übernahme eines politischen Mandats erschweren. Das könne zu Politikverdrossenheit und Vertrauensverlust in die Demokratie führen. Auch seien Personen mit Migrationshintergrund in Parteien weniger stark vertreten, was wiederum zur Folge habe, dass diese in Kommunen, in denen Oberbürgermeisterwahlen stattfinden, geringere Chancen hätten. Denn je größer die Kommune ist, desto wichtiger ist auch die Unterstützung einer Partei, schreibt Kara in seiner Arbeit.

Wer Verwaltungserfahrung hat, kann sich bei Wahlen gute Chancen ausrechnen. Die Bevölkerung bevorzugt Kandidaten, die bereits im öffentlichen Dienst gearbeitet haben und Fachkenntnisse besitzen. Laut Mikrozensus der Bundesrepublik aus dem Jahr 2018 haben 16,2 Prozent der Beschäftigten in den Verwaltungen Baden-Württembergs einen Migrationshintergrund. Dieser Wert sei verglichen mit dem Anteil der Migranten in der Bevölkerung zu gering.

„Fähigkeiten und Visionen der Kandidaten spielen eine Rolle“

Kara konnte sich im September selbst von der Rolle der Herkunft überzeugen. Der 28-Jährige hatte sich als CDU-Kandidat um das Amt des Bürgermeisters in Oggelshausen (Kreis Biberach) beworben – und auf Anhieb klar gewonnen. Seine Erfahrungen hätten die These bestätigt, dass besonders Muslime vermehrt mit Vorurteilen zu kämpfen haben. „Mir war es ein wichtiges Anliegen, dass mein kurdischer Migrationshintergrund im Wahlkampf nicht zum Thema wird.“

Er habe im Wahlkampf seine Qualifikationen und Ziele dargelegt und damit geworben. Trotzdem gab es während der Kandidatenvorstellung zwei Fragen zu seiner Religion. „Aber auch in dieser Situation habe ich aufgezeigt, dass ich zu meiner Herkunft und Religion stehe, diese für den Beruf des Bürgermeisters jedoch keine Rolle spielen, sondern lediglich die Fähigkeiten und Visionen der Kandidaten“, erklärt er und betont: Die wenigen negativen Kommentare beziehungsweise Fragen im Wahlkampf bezogen sich hauptsächlich auf die Religionszugehörigkeit und nicht auf den Migrationshintergrund.

Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass vor allem der Charakter, die Qualifikationen und eine durchdachte Zielsetzung für die Amtszeit ausschlaggebend für den Wahlerfolg sind. Denn im weiteren Verlauf des Wahlkampfs wurde vom größten Teil der Bevölkerung signalisiert, dass sie diese Fragen als nicht angemessen empfanden und die Herkunft oder Religion nicht entscheidend ist. „Für diese tolle Reaktion der Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Oggelshausen und ihre Offenheit bin ich sehr dankbar. Das Wahlergebnis hat dies so bestätigt“, erklärt er.

Für Rafael Bauschke steht bei gut ausgebildeten Bürgermeisterkandidaten das Thema Migrationshintergrund nicht an primärer Stelle. „Sie werden gewählt, weil sie gut ausgebildet sind“, erklärt der Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg. Dennoch seien Migranten im Bürgermeisteramt insgesamt unterrepräsentiert. Das sei auch deshalb der Fall, weil viele den Beruf des Bürgermeisters gar nicht als Option sehen würden. Gerade die Verwaltungshochschulen könnten hier mehr Menschen mit Migrationshintergrund ausbilden. Auch müsste auf das Thema Kommunalpolitik schon in den Schulen stärker hingewiesen werden, so Bauschke.


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