Neues Rechtsgutachten: Grüne erwägen Verfassungsklage gegen Laufzeitverlängerung

26.10.2010 
Redaktion
 
In Neckarwestheim stehen zwei der vier Meiler in Baden-Württemberg. Neckarwestheim I ist eines der ältesten in Deutschland, Neckarwestheim II das jüngste Kraftwerk. Foto: LMZ

Stuttgart/Berlin. Sollte die Bundesregierung die geplante Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ohne eine Zustimmung des Bundesrats durchsetzen, verstößt sie damit gegen das Grundgesetz. Zu diesem Ergebnis kommt nun ein Rechtsgutachten, dass der Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel, Vizepräsident der Universität Kassel, im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion und der Grünen-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg erstellt hat. In der rund 50-seitigen Expertise hat der Rechtswissenschaftler die Zustimmungsbedürftigkeit der geplanten Laufzeitverlängerung anhand des seit Ende September vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung geprüft.

Die Grünen sehen aufgrund des Gutachtens gute Chancen, die von der Bundesregierung geplante und von der Landesregierung Baden-Württemberg seit langem geforderte Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke mit einer Verfassungsklage zu stoppen, wenn die Bundesregierung den Bundesrat bei der Novelle des Atomgesetzes außen vor lassen sollte.

Streit um Zustimmungspflicht des Bundesrats

Über eine Beteiligung des Bundesrats streiten Politiker und Rechtsexperten bereits seit Wochen und Monaten. Die Bundesregierung, die in der Länderkammer über keine Mehrheit mehr verfügt, hält die Beteiligung des Bundesrats für entbehrlich. Der von den Grünen beauftragte Verfassungsrechtler Roßnagel hält dies jedoch für verfassungswidrig.

Bereits bevor der Gesetzentwurf vorlag hatten verschiedene Juristen – darunter auch der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier – eine Zustimmungspflicht des Bundesrats zu einer geplanten Laufzeitverlängerung bejaht. Mit dem nun vorliegenden Gutachten von Roßnagel, ist der energiepolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Franz Untersteller, überzeugt, „kann erstmals eine gesicherte Aussage hinsichtlich der Zustimmungspflicht der von Schwarz-Gelb angestrebten Aufhebung des im Jahr 2002 beschlossenen Atomausstiegs gemacht werden“.

Auswirkungen des Gesetzes auf die Atomaufsicht der Länder

Roßnagel begründete seine Position mit den Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die Atomaufsicht der Länder. Zum einen verlängere sich die Dauer dieser Aufsichtsfunktion erheblich. Zum anderen kämen neue Aufgaben bei der Durchsetzung von Sicherheitsstandards auf die Landesverwaltung zu, die die Atomaufsicht im Auftrag des Bundes übernimmt.

Roßnagel rechnete vor, dass die von der Regierung gewünschte Verlängerung der Laufzeiten für die 17 Atomreaktoren – vier davon in Baden-Württemberg – um acht Jahre beziehungsweise 14 Jahre einen erheblichen Schritt bedeute. Mit dem Konsens über den Atomausstieg im Jahr 2000 seien allen Reaktoren zusammen noch 250 Betriebsjahre zugestanden worden. Davon seien Ende 2010 bereits 183 abgelaufen. Ohne Laufzeitverlängerung blieben also noch 67 Jahre. Die Bundesregierung wolle nun noch 196 Betriebsjahre zugestehen, was einer Verdreifachung gleichkomme.

Verfassungsklage angekündigt

Weitere Artikel aus dem Staatsanzeiger zu Atomkraft und Laufzeitverlängerung finden Sie im Dossier Atomkraft.
mehr

Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin, kündigte bereits an, dass die Grünen im Bundestag einen klage anstrengen würden, wenn das Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrats verabschiedet würde. Für eine Normenkontrollklage, die laut Paragraf 93 des Grundgesetzes bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz angestrengt werden kann, haben die Grünen allein allerdings nicht genug Stimmen. Dazu ist ein Quorum von 25 Prozent der Bundestagsabgeordneten notwendig. Trittin sprach jedoch von positiven Vorgesprächen mit der SPD und anderen Fraktion. Die SPD hatte in der Vergangenheit ebenfalls mit dem Gang nach Karlsruhe gedroht.

Sollte es nach der Landtagswahl im März zu einer Regierungsbeteiligung der Grünen in Baden-Württemberg kommen, so streben die Grünen ebenfalls eine Klage des Landes vor dem Bundesverfassungsgericht an. „Wir sind sehr zuversichtlich“, so der energiepolitische Sprecher Franz Untersteller, „die AKW-Laufzeitverlängerung, die nichts anderes ist als ein milliardenschweres Geschenk an die vier großen Stromkonzerne, mit dem Gang nach Karlsruhe zu Fall bringen zu können.“


Kontakt

Ihre Ansprechpartnerin in der Redaktion

Redaktionsassistentin Staatsanzeiger
Doris Kugel
Telefon: 07 11.6 66 01-290
E-Mail senden

Unser Team

Ihr Kontakt zu unseren Redakteurinnen und Redakteuren

Zum Team

Praktikums-Tagebuch

Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger. 

Zum aktuellen Tagebuch

Der Kommunal-Newsletter

Wissenswertes zu kommunalpolitischen Themen für Sie als Gemeinderat/Gemeinderätin mit einem wöchentlichen Newsletter direkt in Ihr E-Mail-Postfach. Abonnieren Sie jetzt den 
Kommunal-Newsletter.

Newsletter abonnieren