"Wir dürfen die Pönalen nicht zur Entschädigung einzelner Fahrgäste verwenden"

04.03.2020 
Von: Schlüter, Stefanie
 
Redaktion
 
Foto: dpa/Imagebroker

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Im zweiten Teil des Interviews zur Situation des Schienenpersonennahverkehr spricht Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) über Strafzahlungen und wofür diese verwendet werden und erklärt, warum er sich lange dagegen gewehrt hat, dass das Land sich an Entschädigungen für Pendler beteiligt, die von Zugausfällen und -verspätungen betroffen sind.

Staatsanzeiger: Nun will das Land Pendlern auf Strecken mit vielen Ausfällen Entschädigungen zahlen. Das ist allerdings eigentlich keine Landesaufgabe, sondern Aufgabe der Betreiber.

Winfried Hermann: Genau deswegen habe ich mich lange Zeit dagegen gewehrt, eine solche Regelung zulasten des Landes zu machen. Denn ich bin der Meinung, dass dann, wenn andere das Problem verursacht haben, diee auch dafür zahlen müssen. Und wenn das Land ihnen das abnimmt, können sie weitermachen wie bisher. Denn dann gibt es ja keinen Anreiz. Das Problem ist aber inzwischen zu groß und die Betreiber haben große Probleme, auch mit Blick auf die ökonomische Situation.

Wieso?

Die neuen Betreiber haben mit einem stabilen Betrieb und Einnahmen sowie einer ordentlichen Rendite gerechnet. Stattdessen müssen sie nun Pönalen zahlen. Abellio beispielsweise muss nun manche Strecken auf eigene Kosten von der DB Regio befahren lassen, weil die Züge von Bombardier noch nicht geliefert wurden. Züge, die bereits vor drei Jahren wie vom Hersteller gewünscht, bestellt wurden. Das heißt, die ökonomische Situation der neuen Betreiber ist jetzt schon miserabel. Die sind einfach nicht mehr bereit, noch mehr zu zahlen. Und das würde am Ende bedeuten, dass die Fahrgäste keine Entschädigung bekommen.

Deswegen will das Land das nun übernehmen?

Deswegen verhandeln wir gerade mit den Betreibern. Das Land wäre bereit, einen Teil zu bringen. Die Verursacher müssten den anderen Teil zahlen. Ich habe heute die Liste bekommen, in welchen Netzen die Störungen so hoch waren, dass Entschädigungen gezahlt werden müssten. Denn das ist nicht in allen Netzen der Fall. Wir haben tendenzielle Zusagen mitzumachen von Abellio und der Deutschen Bahn. Bei GoAhead klemmt es noch.

Kann das Land sich das Geld für die Entschädigungen aus den Strafzahlungen der Betreiber für schlecht oder nicht erbrachte Leistungen zurückholen? Da müsste doch einiges anfallen.

Wie hoch der Betrag sein wird, wissen wir noch nicht. Aber es wird vermutlich ein ordentlicher Betrag zusammenkommen. Allerdings gibt es einen Landtagsbeschluss, dass wir die Pönalen nicht zur Entschädigung einzelner Kunden verwenden dürfen, sondern das Geld zur Verbesserung des Systems nutzen müssen. Es herrschte jedoch im letzten Verkehrsausschuss die einhellige Meinung vor, dass aufgrund der Schlechtleistung des letzten halben Jahres eine einmalige Sonderzahlung zur Entschädigung stattfinden soll. Ein Beispiel für Verbesserungsmaßnahmen, welche das Land ansonsten anstößt wären kleine Infrastrukturmaßnahmen. Wenn etwa der Bahnbetrieb durch eine Weiche oder ein Signal behindert wird, das die Bahn erst in fünf Jahren angehen will, dann zahlen wir das, damit es sofort gemacht wird. Oder wenn ein Zug, der immer auf einer Strecke hin und her fährt, regelmäßig Verspätung hat und diese sich über den Tag aufsummiert, dann stellen wir im Sinne der Fahrgäste einen zusätzlichen Zug zur Verfügung, damit der Zug zumindest am Endpunkt wieder pünktlich abfährt. Auch eine zusätzliche Sicherheitsbegleitung für Züge bei Großereignissen, wenn die Zugbegleitung überlastet ist, kann aus den Pönalen bezahlt werden.

Nicht alle Probleme hängen mit fehlenden Zügen oder fehlenden Lokführern zusammen. Auch die Infrastruktur ist ein Problem.

Ja. Und diese Probleme kann man weder Abellio, noch Go-Ahead, noch der DB Regio oder dem Landesverkehrsminister zur Last legen. Für die Misere der Deutschen Bahn ist der Bund verantwortlich. Und dort regieren seit Jahrzehnten Vertreter der Parteien, die jetzt die Situation in Baden-Württemberg und mich kritisieren. Bund und Bahn haben seit Jahrzehnten zu wenig ins Netz der Bahn investiert, zu wenig modernisiert, zu wenig saniert. Zudem wurde das Netz ausgedünnt, vor allem in der Phase als unter dem DB-Chef Mehdorn der Börsengang vorbereitet wurde. Das sind alles Dinge, unter denen wir heute leiden. Deshalb ist es dringend notwendig, eine große Offensive zur Modernisierung des Schienenverkehrs in Deutschland zu starten.

Den ersten Teil des Interviews lesen Sie auf Seite 3 in der Print-Ausgabe oder im E-Paper des Staatsanzeigers vom 6. März 2020. Als Premium-Abonnent des Staatsanzeigers können Sie den Beitrag über https://epaper.staatsanzeiger.de auch online lesen. Wenn Sie noch kein Staatsanzeiger-Abo haben, geht es hier zum Probeabo.


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