Stuttgart. Gut fünf Wochen nach dem historischen Wahlsieg über Schwarz-Gelb haben Grüne und SPD in Baden-Württemberg ihre neue Regierungsmannschaft vorgestellt. Der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein künftiger Vize-Regierungschef sowie Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) präsentierten am Mittwoch in Stuttgart die neuen Minister und Staatssekretäre.
„Das Kabinett verkörpert den Aufbruch in die Moderne“, sagte Schmid. Kretschmann wirkte gelöst und beantwortete Fragen schlagfertig und witzig. So meinte er: „Politik ist ja dazu da, um schwierige Probleme zu lösen. Einfache lösen sich ja ohne sie.“
Die SPD übernimmt sechs und die Grünen fünf Ministerien. Die Grünen haben aber am Kabinettstisch eine Stimme mehr als die Sozialdemokraten. Denn die Grünen stellen den Regierungschef sowie eine Ministerin im Staatsministerium, eine Staatssekretärin mit Kabinettsrang im Verkehrsministerium und eine Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, deren Namen Kretschmann aber erst nach seiner Vereidigung am 12. Mai nennen will - damit noch eine „Restspannung“ erhalten bleibe. Die SPD erhält zudem den Bundesratsminister. Überdies wird es drei Politische Staatssekretäre ohne Stimmrecht im Kabinett geben: zwei für die SPD und einen für die Grünen.
Nach der Wahl Kretschmanns zum ersten grünen Ministerpräsidenten wird er am selben Tag seine Ministerliste dem Landtag vorstellen, der die neuen Ressortchefs bestätigen muss, bevor sie vereidigt werden können.
Der Tübinger Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann wird Verkehrsminister. Der 58-Jährige mit dem Ring im Ohr übernimmt damit eines der Schlüsselressorts, weil er auch für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 zuständig sein wird. Bei der Vorstellung begrüßte er als einziger Minister Dutzende von Journalisten und Kameraleuten mit einem forschen „guten Tag“. Er bekommt die 44-jährige Grünen-Landtagsabgeordnete Gisela Splett aus Karlsruhe als Staatssekretärin mit Stimmrecht im Kabinett an die Seite gestellt.
Ministerin im Staatsministerium wird die 46-jährige Grünen-Landeschefin Silke Krebs. Sie wird damit die rechte Hand des designierten Regierungschefs Kretschmann. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Landtag, Theresia Bauer (45) aus Heidelberg, wird Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Ihr wird als Politischer Staatssekretär der Ludwigsburger Abgeordnete Jürgen Walter zur Seite gestellt. Der 53-Jährige ist seit Jahren kunstpolitischer Sprecher und Medienexperte der Landtagsfraktion.
Fraktionsvize Franz Untersteller (54) übernimmt das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. Der Emmendinger Bundestagsabgeordnete Alexander Bonde wird als Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz für die Agrarpolitik im Südwesten verantwortlich sein.
Die SPD sorgte für eine Überraschung: Die gebürtige Türkin Bilkay Öney zieht als Integrationsministerin ins Kabinett ein. Die 40-jährige SPD-Abgeordnete aus dem Berliner Landesparlament wird die erste Migrantin, die im jahrzehntelang CDU-dominierten Südwesten einen Ministerposten übernimmt. Die Migrationsexpertin stammt aus der Türkei, lebt aber seit ihrer Kindheit in Berlin. Von 2006 bis 2009 saß sie für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und wechselte dann zur SPD.
Die SPD-Sozialexpertin Katrin Altpeter (47) aus Waiblingen wird neue Arbeitsministerin und ist damit auch zuständig für die Bereiche Familie, Frauen und Senioren. Die Mannheimer Schulbürgermeisterin Gabriele Warminski-Leitheußer (48) wird Kultusministerin und zeichnet auch für den Sport verantwortlich. Verstärkt wird ihr Ressort durch einen Politischen Staatssekretär: den bildungspolitischen Sprecher der Landtags-SPD, Frank Mentrup, der wie die Ministerin aus Mannheim stammt.
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Reinhold Gall (54) aus Neckarsulm, wird Innenminister. Für das Justizressort ist Rainer Stickelberger (60) aus dem südbadischen Lörrach vorgesehen. Der 38-jährige Generalsekretär der Landes-SPD und Bundestagsabgeordnete, Peter Friedrich, soll das Land in Berlin als Bundesbeauftragter vertreten. Er wird auch zuständig sein für den Bundesrat und für internationale Angelegenheiten.
Nach seinen umstrittenen Äußerungen zur Autoindustrie zeigte sich Kretschmann offen für einen Besuch beim Sportwagenbauer Porsche. „«Es steht dem überhaupt nichts entgegen.“ Der Grünen-Vormann hatte in einem Zeitungsinterview gesagt: „Weniger Autos sind natürlich besser als mehr.“ Zu der von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geäußerten Freude über den Tod von Terroristenchef Osama bin Laden sagte der überzeugte Katholik: „Über den Tod eines Menschen freut man sich grundsätzlich nicht.“
CDU-Fraktionschef Peter Hauk sprach von einem „aufgeblähten Regierungsapparat“. „Nicht die Bürger, sondern erst mal das politische Umfeld wurden gehört und Wunschpöstchen verteilt. Die fachliche Eignung scheint großteils zweitrangig“, monierte er. Baden-Württemberg werde künftig von Bundespolitikern wie Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast, SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel und dem Grünen-Bundesvorsitzenden Cem Özdemir regiert.
Die Liberalen nahmen die Berufung von Bonde und Hermann sowie von Döney aufs Korn. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte: „Das Zutrauen zur eigenen Regierungsfähigkeit scheint bei Kretschmann und Schmid nicht gerade stark ausgeprägt zu sein - sonst müsste keine Verstärkung aus Berlin geordert werden.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund bemängelte, dass kein ausgewiesener Gewerkschafter im neuen Kabinett sitzt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft riet der neuen Regierung, Baden-Württemberg zu einem Bildungs-Musterland zu machen.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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