Stuttgart. Im zweiten Teil des Interviews zur Vollbeschäftigung in Baden-Württemberg spricht die Leiterin der Regionalagentur der Bundesagentur für Arbeit, Eva Strobel, über Fachkräftemangel, Ausbildung und Anwerbung von Arbeitskräften. Den ersten Teil des Interviews zum Arbeitsmarktkongress "Ist Vollbeschäftigung in Baden-Württemberg möglich?" lesen Sie an diesem Freitag in der Print-Ausgabe des Staatsanzeigers auf Seite 5.
In vielen Branchen wird bereits über Fachkräftemangel gesprochen. Was müssen sich die Unternehmen einfallen lassen, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten?
Eva Strobel: Einen Fachkräftemangel sehe ich noch nicht. Aber wir haben tatsächlich in einigen Regionen und Branchen schon Engpässe. Das heißt, es dauert länger, eine geeignete Arbeitskraft zu finden. Das ist etwa bei Ingenieuren, aber auch bei Erzieher oder Pflegeberufen der Fall. Auf Seiten der Arbeitgeber ist es wichtig, attraktiv zu sein, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten, Mitarbeiter teilhaben lassen, ihnen die Möglichkeit geben, mitzugestalten. Auch Angebote für Weiterbildung gehören dazu. Aber auch Betreuungsangebote mit zu organisieren für Eltern mit Kindern, aber auch beim Thema Elder Care.
Der Arbeitsmarktkongress der Bundesagentur für Arbeit geht an diesem Freitag in Stuttgart im Haus der Wirtschaft der Frage nach, ob Vollbeschäftigung in Baden-Württemberg möglich ist.
Sie sagten, es gibt Engpässe, aber noch keinen wirklichen Fachkräftemangel. Was bedeutet das für die Zuwanderung und Anwerbung von Arbeitskräften?
Ein Drittel des Zuwachses an Beschäftigung in Baden-Württemberg geht tatsächlich auf qualifizierte Zuwanderer zurück. Es gibt die Chance für gut qualifizierte Zuwanderer, hier Arbeit zu finden. Zuwanderung ist aber auch ein Thema im Zusammenhang mit Vollbeschäftigung. Denn wenn wir alle im Land vorhandenen Potenziale nutzen, wird es 2025/2030 eine aus heutiger Sicht erkennbare Lücke bei qualifizierten Arbeitskräften geben. Deswegen fahren Arbeitsagenturen eine Doppelstrategie. Wir investieren in die Menschen, die hier leben, so dass sie fit für den Arbeitsmarkt sind. Doch das wird auf Dauer nicht reichen. Deswegen investieren wir auch in die gezielte Zuwanderung von qualifizierten Kräften, wie etwa in die Anwerbung von Ingenieuren. Um die Menschen dann aber auch auf Dauer zu halten, vor allem junge Menschen, braucht es allerdings nicht allein eine Willkommenskultur in den Betrieben, sondern auch in den Kommunen, in denen die Menschen leben. Deshalb finde ich, dass die Welcome-Center, die die Landesregierung eingerichtet hat, eine gute Investition sind.
Für wen wird es künftig gute Berufsaussichten geben?
Gute Berufsaussichten haben all diejenigen, die einen Schul- und Berufsabschluss haben. Deswegen ist es mir auch so wichtig, die 60 000 jungen Menschen immer wieder in den Blick zu nehmen, die zwar arbeiten, aber keine abgeschlossene Ausbildung haben. Deshalb engagieren sich die Arbeitsagenturen und Jobcenter auch dabei, für diese jungen Menschen das Bewusstsein zu schaffen, einen Abschluss zu machen. Für diese Qualifizierung haben die Arbeitsagenturen 170 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung. Denn eine Ausbildung ist eine gute Investition ins eigene Berufsleben.
Thema Ausbildung: In Baden-Württemberg sind trotz Ausbildungsbündnis zahlreiche Lehrstellen unbesetzt geblieben. Sind die Ausbildungsplätze so wenig attraktiv oder die Bewerber ungeeignet?
Auch da haben wir einen Markt. Auf der einen Seite haben wir Stellen, die angeboten werden. Und wir haben junge Menschen, die sich für eine Ausbildung interessieren. 50 Prozent eines Jahrgangs schafft es gut, in eine duale Ausbildung zu kommen. Wir haben aber auch junge Menschen, die in Warteschleifen auf eine zweite Chance warten. Für mich ist deshalb die vertiefte Berufsorientierung in der Schule ganz wichtig. Da freue ich mich, dass das Land jetzt das Schulfach Wirtschaft mit einführt. Denn junge Menschen, die gut orientiert sind über die Arbeitswelt, über die Berufe, können sich auch besser entscheiden und den Übergang stabiler schaffen. Gut ist auch, dass das Ausbildungsbündnis in Baden-Württemberg sich vorgenommen hat, die Übergangsphasen, also die Warteschleifen, an den Stellen zu reduzieren, an denen sie den Jugendlichen nicht helfen. Wir wollen keinen zweiten Ausbildungsmarkt schaffen und auch das Hotel Mama nicht durch das Hotel Schule ersetzen. Deshalb ist bei allen Maßnahmen die betriebliche Praxis sehr wichtig.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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