Interview: "Wer Karriere als rein vertikalen Aufstieg versteht, muss im agilen Zeitalter umdenken"

02.08.2018 
 
Redaktion
 
Foto: privat

Ludwigsburg. Je agiler die Verwaltung wird, umso mehr verändern sich auch gewohnte Pfade der Karriereplanung. Claudia Schneider, Professorin an der Verwaltungshochschule Ludwigsburg, erklärt, wie Fachlaufbahnen künftig neue Chancen eröffnen.

Staatsanzeiger: Frau Schneider, was ist ‚Agile Karriere‘?

Claudia Schneider: Darunter ist eine flexible Form der Karrieregestaltung zu verstehen, die sich den individuellen Lebensbedürfnissen von Beschäftigten anpasst und gleichzeitig den Ansprüchen des Arbeitgebers Rechnung trägt. Deutlich wird das an den Karrierebedürfnisse der Generationen Y und Z. Dinge, wie Weiterbildungen, die Chance des lebenslangen Lernens, ein gutes Betriebsklima oder Work-Life-Balance besitzen für diese Beschäftigten einen hohen Stellenwert.

Karriereplanung in aufeinanderfolgenden Schritten ist also ein Auslaufmodell.

Wer Karriere als rein vertikalen Aufstieg versteht, muss im agilen Zeitalter umdenken. Das Statusstreben an sich ist kein Auslaufmodell, es verändert sich nur. Die Führungsposition wird an Attraktivität verlieren, während horizontale Entwicklungsmöglichkeiten an Bedeutung gewinnen. Das wiederum kommt den Generationen Y und Z entgegen. Die definieren Karriere im weitesten Sinne als Verantwortungsübernahme und fachliche Weiterentwicklung.

Das heißt, die im klassischen Aufstiegsdenken verpönte und als Rückschritt empfundene Klettergerüstkarriere ist unter agilen Gesichtspunkten die Basis für Fortschritt und Erfolg.

So ist es: Karriere ist wie ein Klettergerüst. Das muss nicht immer in eine Richtung gehen, nicht nur aufwärts, das kann auch mal seitwärts gehen. Man läuft mit offenen Augen und Ohren durch die Gegend und schaut, wo sich Gelegenheiten ergeben, die Spaß machen und interessant sind. Im agilen Zeitalter ist Führung wie ein Staffelstab. Derjenige, der projektbezogen die meiste Ahnung hat, hält ihn in den Händen und das muss nicht immer der formale Chef sein. Auch ein sehr fachkundiger Mitarbeiter kann zeitweilig die Leitung übernehmen, während der eigentliche Chef im Team mitarbeitet und selbst Fachkompetenz dazu gewinnt.

Heißt das, dass sich Verwaltungen im Produktbereich schneller weiterentwickeln?

Produkte und Angebote werden schon lange nicht mehr von Unternehmen für den Markt entwickelt. Firmen greifen Kundenwünsche auf und entwickeln darauf zugeschnittene Dienstleistungen oder Waren. Diese Aufgabe übernehmen problemorientierte Teams, die aus Fachleuten bestehen, die das für diesen Fall notwenige Know-how mitbringen. Gleichzeitig wird sich im Zuge der Agilität auch die Verwaltung weiter nach außen öffnen. Verwaltungen, die im Rahmen der Wirtschaftsförderung beispielsweise neue E-Services für Firmen entwickeln sollen, lassen eben Mitarbeiter befristet in einem lokalen Unternehmen mitarbeiten und sammeln so Infos für die Problemlösung. So beschleunigen sich natürlich Innovationsprozesse.

Gibt es in einer Verwaltung tatsächlich so viele Projekte, dass selbst kleine Rathäuser Mitarbeitern ständig spannende Aufgaben bieten können?

Mit zunehmender Agilität wird sich die Verwaltung personell verschlanken. In einigen Jahren wird ein falsch geparktes Auto mit Kennzeichen durch Sensoren erfasst und automatisch dem Abschleppdienst gemeldet. Das heißt, kreative Jobs, in denen komplexe Problemlösungen gefragt sind, bleiben erhalten, weil der PC sie nicht bewältigen kann. Gerade im gehobenen Dienst werden viele Standardprozesse vom Computer erledigt. So entstehen freie Kapazitäten, die in bereichsübergreifende Teams wandern oder eben mobil, mit neuen Arbeitszeitmodellen, außerhalb des Rathauses erledigt werden können. Die Zahl der Führungskräfte wird sinken. Ihre Aufgabe besteht in Zukunft darin, Leitlinien für die Zielerreichung vorzugeben und dem Team dafür die notwendigen Ressourcen bereitzustellen.

Und wie wird bei all dem künftig Leistung bewertet, um ein Entgelt festzulegen?

Besoldungstabellen und Laufbahnmodelle bilden aktuell eine Welt ab, die es in Zukunft nicht mehr geben wird. In der Wirtschaft wird die individuelle Leistungsbewertung längst durch die teambezogene ersetzt. Das hat den Vorteil, dass sich die Beschäftigten wechselseitig unterstützen, um gemeinsam erfolgreich ans Ziel zu kommen. Gleichzeitig wird durch eine Gruppe Minderleistung schneller geahndet. Man kann es sich nicht leisten, „Trittbrettfahrer“ durchzuziehen. Dadurch rücken natürlich auch die Soft Skills bei der Mitarbeiterauswahl stärker in den Fokus. Und ein Team definiert sich künftig über Mitglieder, die eine spezialisierte, zur Problemlösung geeignete Fachkompetenz mitbringen und nicht mehr über diejenigen, die vielleicht gerade Lust und Zeit haben, sich mit einer zusätzlichen Aufgabe zu befassen.

Aber längst nicht jede Organisation hat für jedes Problem einen Spezialisten im Haus. Öffnet sich die Verwaltung damit zwangsläufig stärker für Freiberufler?

Die „Liquid Workforce“ wird vor diesem Hintergrund klar an Bedeutung gewinnen. Diese neue, vor allem sehr flexible Form von Mitarbeitern erbringt auf Abruf Dienste für Verwaltungen oder Unternehmen. Netzwerke aus freier und festangestellter Zusammenarbeit mit temporären Strukturen im Hinblick auf die Vertragsdauer bieten nicht nur die Chance, hoch spezialisiertes Knowhow einzukaufen, sondern eröffnen auch die Möglichkeit, neues, externes Wissen in die Organisation zu integrieren. Der Ansatz, für verschiedene Arbeitgeber an spannenden Projekten zu arbeiten, kommt schon heute den Bedürfnissen der jüngeren Generation entgegen.

Einerseits verschlankt sich der Personalapparat, andererseits werden Arbeitsort, -zeit und -menge immer flexibler und immer mehr Prozesse werden digitalisiert. Braucht dann überhaupt noch jeder Ort sein Rathaus?

Viele Standardprozesse, wie zum Beispiel die Passbeantragung oder die Gewerbeanmeldung, werden digitalisiert und zentralisiert. Dafür muss der Bürger nicht mehr auf’s Rathaus. Gleichzeitig gibt es hochspezialisierte Teams, die sich mit Fragen, Themen und Weichenstellungen befassen, die in allen Kommunen bearbeitet werden müssen. So gesehen, können ganze Teams zentral für alle Verwaltungen eines Bezirks tätig sein oder es können Experten entsendet werden. Wie auch immer. Fakt ist, dass sich die interkommunale Zusammenarbeit verändern wird und perspektivisch betrachtet brauchen wir künftig vielleicht gar keine Rathäuser mehr.


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