Der Paritätische fordert eine Reform von Hartz IV

19.12.2014 
Redaktion
 
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Stuttgart/Berlin. Zehn Jahren nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuch II (SGB II) setzt der Paritätische sich für eine Kehrtwende auf dem Arbeitsmarkt und eine „Totalreform von Hartz IV“ ein. Dazu hat der Verband nun Forderungen aufgestellt. Diese betreffen etwa höhere Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger. Nach Berechnungen des Paritätischen müsste der Regelsatz für Erwachsene um 20 Prozent angehoben werden. Auch sollten einmalige Leistungen wieder eingeführt werden, damit auch die Anschaffung eines neuen Kühlschranks oder eines Fahrrads für Familien, die Hartz IV erhalten, möglich ist.

Die Leistungen für Kinder und Jugendliche aus dem Bildungs- und Teilhabepaket will der Paritätische abgeschafft sehen. Statt dessen soll ein einklagbarer Rechtsanspruch im Kinder- und Jugendhilfegesetz  auf Leistungen für Förderung der Entwicklung und Persönlichkeitsentfaltung von Kindern und Jugendlichen aufgenommen werden. Darunter würden beispielsweise die Mitgliedschaft in einem Sportverein, musische Bildung oder auch Jugendfreizeiten fallen.

Außerdem sollen Maßnahmen wie der Passiv-Aktiv-Transfer, mit denen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert wird, weiter ausgebaut werden. Für Langzeitarbeitslose fordert der Paritätische darüber hinaus auch öffentlich geförderte Beschäftigung. Außerdem sei eine Einführung eines Mindestarbeitslosengelds I für langjährige Versicherte notwendig, ebenso wie eine Verlängerung der maximalen Bezugsdauer. Ziel ist es, dass die Arbeitslosenversicherung die Betroffen auch wieder vor Armut schützt.

Langzeitarbeitslose in Arbeit zu bringen ist auch Familienpolitik

Die Fachleute beim Paritätischen sind der Ansicht, dass die Hartz-IV-Reform auf ganzer Linie gescheitert ist. Hartz IV sei kein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt sondern eine Sackgasse mit verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit. Die gesunkene Arbeitslosigkeit sei mit vermehrter atypischer Beschäftigung und Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor erkauft worden. Auch raube Hartz IV Kindern Perspektiven und fördere die Altersarmut. Ein Problem, das auch Dietmar Herdes, Dezernent beim Landkreistag, sieht. Langzeitarbeitslose in Arbeit zu bringen, sei auch ein Stück Familienpolitik.

Im Sozialministerium sieht man die Hartz-IV-Reform insgesamt nicht so negativ wie beim Paritätischen. „Die Zahl der Arbeitslosen ist stark gesunken. Individuelle Probleme von Arbeitssuchenden können besser erkannt und behoben werden“, heißt es dort. Auch seien sich Experten einig, dass Hartz IV dazu beigetragen habe, dass Deutschland im internationalen Vergleich  bei Beschäftigung sehr gut dastehe. Die Jugendarbeitslosenzahlen seien die niedrigsten in Europa. „Zu den Schattenseiten gehört die Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen“, so eine Sprecherin. Auch habe der Bund sich in den vergangenen Jahren vor allem um die eher „marktnahen Kunden“ gekümmert. Die Mittel zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen seien hingegen massiv zusammengestrichen worden. Betrug das Budget 2010 noch 6,2 Milliarden Euro, waren es 2013 lediglich noch 3,3 Milliarden Euro. Deshalb seien die Fortschritte bei der Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt nicht so groß wie erhofft.

Mit der Einführung von Hartz IV ist die Langzeitarbeitslosigkeit in Baden-Württemberg weiter angestiegen, auch wenn die Arbeitslosigkeit insgesamt gesunken ist. Im November lag die Arbeitslosenquote bei 3,8 Prozent.

Bundesagentur hofft auf neue Möglichkeiten für Langzeitarbeitslose

Dietmar Herdes vom Landkreistag, sieht die Langzeitarbeitslosen als Verlierer der Hartz-IV-Reform. Die Instrumente und Mittel stimmten für sie nicht. „Es wäre unser Wunsch, dass da nachgesteuert wird“, sagt Herdes. Denn unter den Langzeitarbeitslosen gebe es auch einen hohen Anteil an Menschen, die arbeiten wollen. Doch gerade für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen seien  qualifizierte Mitarbeiter bei Jobcentern und Optionskommunen notwendig, die sich bloß um wenige Fälle kümmern müssten.

Bei der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit hofft man für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen nun auf die neuen Möglichkeiten, die die Bundesregierung ab dem kommenden Jahr eröffnet. So kann künftig beispielsweise statt mehrmonatigen Weiterbildungsmaßnahmen auch eine komplette dreijährige Ausbildung gefördert werden. Denn ein großer Teil der Langzeitarbeitslosen zähle zu den Geringqualifizierten. Auch Menschen, die bereits im Berufsleben stehen, aber keine Ausbildung haben, will die Agentur für Arbeit ermutigen, eine Ausbildung zu machen, damit sie nicht die Arbeitslosen von morgen werden. Immerhin haben in Baden-Württemberg fast 17 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten keine Ausbildung. Auch ein Programm über den Europäischen Sozialfonds für 30 000 Langzeitarbeitslose in Deutschland soll gestartet werden.

Das Land hat ein eigenes Landesprogramm „Gute und sichere Arbeit“ gestartet, mit dem Langzeitarbeitslosen, alleinerziehenden Müttern und benachteiligten Jugendlichen eine neue Perspektive gegeben werden soll. Ein Baustein dabei ist das Modellprojekt des Passiv-Aktiv-Transfers, mit dem Langzeitarbeitslose mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen der Wiedereinstieg in den Beruf ermöglicht werden soll. Mehr als 750 Langzeitarbeitslose haben dadurch nach Angaben des Sozialministeriums wieder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden. „Erfreulich ist, dass mehr als die Hälfte der Arbeitsstellen in der freien Wirtschaft angeboten wird“, heißt es von Seiten des Ministeriums. Neben der Unterstützung bei der Stellensuche werden die Langzeitarbeitslosen bei dem Projekt auch nach der Arbeitsaufnahme weiterhin unterstützt und betreut. Ziel ist, dass sie nicht wieder in Hartz IV zurückfallen.


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