Stuttgart. Eigentlich hätten drei grün-rote Bildungsreformen bei der Anhörung im Landtag beraten werden sollen. Viele der geladenen Fachleute befassten sich aber allein mit den neuen Vorstellungen zur Realschule. Es gab reichlich Kritik und nur wenige aufmunternde Stimmen.
Zur Ganztagsgrundschule sollten die Vertreter und Vertreterinnen von Verbänden, der Eltern, der Lehrerschaft, der IHK oder des Handwerks ihre Meinung sagen und zu den seit so vielen Monaten so heiß diskutierten Bildungsplänen. Tatsächlich haben die meisten von ihnen aber nur das dritte Thema angesprochen, die neue Realschule. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) wollte dies als Bestätigung seiner Ansicht werten, die Aufregung um die Bildungspläne und die Akzeptanz der sexuellen Vielfalt sei von interessierten Kreisen, darunter auch CDU-Vertretern, geschürt worden. Wirklich erfreut sein konnte er vom Verlauf der zweieinhalbstündigen Veranstaltung dennoch nicht. Steht der doch harte Vorwurf im Raum, die Landesregierung bezwecke mit den Änderungen beim Schulgesetz mit Blick auf die Realschulen vor allem die Einführung einer Art „Gemeinschaftsschule light“ durch die Hintertür.
Nach den im Herbst zu verabschiedenden Plänen von Grün-Rot sollen Schüler und Schülerinnen zuerst in den Klassen fünf und sechs, der neuen Orientierungsstufe, komplett, dann aber auch in der siebten und achten Klasse regelmäßig gemeinsam lernen, gleichgültig ob sie auf Haupt- oder auf Realschulniveau abschließen wollen. Erst in der Neunten trennen sich die Wege. Für Marion Fritzsche, die Ressortleiterin Bildung und Wirtschaft der Wirtschaftsjunioren Baden-Württemberg, sind sie vorgezeichnet: „Die Zahl der Realschulabsolventen wird sinken, die der Hauptschulabsolventen steigen, weil viele Schüler den bequemeren Weg wählen und sagen werden, der Hauptschulabschluss reicht auch.“
Silke Sommer-Hohl, Vorsitzende beim „Bündnis pro Bildung Baden-Württemberg“ und Mutter zweier Söhne, sieht eine ähnliche Gefahr, beschreibt die „Null-Bock-Mentalität in der Pubertät“ und die „immense Verunsicherung der Eltern“. Sie verlangt eine De-Facto-Abschaffung der Orientierungsstufe, weil die Kinder nach der fünften Klassen nicht mehr sitzenbleiben können, und die Trennung im Unterricht.
Johannes Krumme vom Arbeitgeberverband wünscht sich nicht nur unterschiedliche Leistungsgruppen in den neuen Realschulen, sondern auch eine Bestandsgarantie der Schulform „als Alternative zur Gemeinschaftsschule“. So weit will die Handwerkskammer nicht gehen. Ihr Vertreter Bernd Stockburger plädierte für eine Konkurrenz auf dem Weg zur Zweigliedrigkeit, in der der Markt entscheide und sich die bessere Schulform als zweite Säule neben dem Gymnasium durchsetzen werde.
Für eine weitgehende Beibehaltung der Realschule in jetziger Form plädiert schon seit Monaten vehement Irmtrud Dethleffs-Niess, Landesvorsitzende des etwa 600 Mitglieder zählenden Realschullehrerverbandes. Der Gesetzentwurf ist aus ihrer Sicht eine Mogelpackung, weil die Realschule künftig mit dem binnendifferenzierten Unterricht ähnlich arbeiten müsse wie eine Gemeinschaftsschule. Sie forderte, den Verzicht auf derartige Vorgaben ins Ermessen der Lehrkräfte zu legen. Vom „pädagogischen Leistungsprinzip“, das beibehalten werden müsse, sprach Martin Klein, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Realschulrektoren.
Allein Städetagsdezernent Norbert Brugger und GEW-Landeschefin Doro Moritz bekannten sich uneingeschränkt zur Zweigliedrigkeit. Brugger sprach vom „notwendigen Ziel" der Schulpolitik, weil sich „der Trend zu Lasten von Haupt- und Werkrealschulen ungebrochen fortsetzt“. Allerdings sei es nur mittelfristig zu erreichen und auf dem Weg dorthin die Realschule als Marke zu stärken.
Moritz hingegen, deren Gewerkschaft die größte Vertretung von Realschullehrkäften im Land ist, schlug ganz andere Töne an. Sie lobte die Landesregierung dafür, dass den Realschulen zum ersten Mal seit langer Zeit überhaupt Förderressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die derzeit zweieinhalb Wochenstunden je Zug werden ab 2015/16 mit weiteren 209 Deputaten auf sechs Poolstunden angehoben, bis 2018/19 sollen es insgesamt zehn Stunden werden. Zudem könne mit dem Hauptschulabschluss an der Realschule verhindert werden, dass die Zahl der Abgänger ohne Abschluss weiter steigt. Und der Versuch, alle Schüler an der Realschule zum mittleren Abschluss zu führen, werde unweigerlich zur Absenkung des Leistungsniveaus an der Realschule führen. Das lehne ihre Gewerkschaft aber ab.
An die eigenen Mitglieder richtete Moritz ebenfalls deutliche Worte: Lehrkräfte neigten eher dazu, das fortzusetzen, was sie bisher getan hätten. Angesichts der Herausforderungen sei das der falsche Weg, sagte sie. Vielmehr müssten sie „an allen Schularten lernen, Schüler und Schülerinnen individuell zu fördern“. Dazu allerdings auch sei mehr Begleitung, Unterstützung und Fortbildung vonnöten.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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