"Grün-schwarze Kompromisse dürfen grüne Überzeugungen nicht verdecken"

08.12.2017 
Von: Stefanie Schlüter
 
Redaktion
 
Landesvorsitzender der Grünen, Oliver Hildenbrand. Foto: Grüne

Landesvorsitzender der Grünen, Oliver Hildenbrand. Foto: Grüne

Beim Landesparteitag der Grünen an diesem Wochenende in Heidenheim stehen Debatten zur aktuellen politischen Lage, Wahlen und auch ein Antrag des Landesvorstands zu "Integration schafft Zusammenhalt" an. Landesvorsitzender Oliver Hildenbrand erläutert im Interview die Vorstellungen der Grünen zum Thema Integration und nimmt Stellung zur Zusammenarbeit von Grünen und CDU im Land.

Jamaika wird es nun nicht geben. Ist das für die Grünen in Baden-Württemberg gut oder schlecht?

Oliver Hildenbrand: Weder noch. Wir haben in Baden-Württemberg eine Koalition aus ungleichen Partnern, die gut funktioniert. Viel besser als viele dies zunächst erwartet hatten. Wir Grüne haben die Jamaika-Verhandlungen auf Bundesebene mit vollem Einsatz, starkem Verantwortungsgefühl und klarem inhaltlichen Kompass geführt. Es war offensichtlich sehr schwierig, aber gewiss nicht unmöglich die Grundlagen für eine gedeihliche Zusammenarbeit herzustellen. Das hätte aber den guten Willen von allen Beteiligten vorausgesetzt – und den hatte die FDP erkennbar nicht.

Nicht nur Jamaika hätte Kompromisse von den Grünen verlangt. Auch in Baden-Württemberg müssen sie solche schließen, etwa beim Sicherheitspaket oder bei den Abschiebungen nach Afghanistan. Wie weit können die Grünen bei Kompromissen gehen, ohne die eigene Klientel vor den Kopf zu stoßen?

Wichtig ist, dass bei Kompromissen immer die Richtung der Kompromisslinie stimmt. Grün-schwarze Kompromisse dürfen grüne Überzeugungen nicht verdecken. Deshalb stehen Kompromisse am Ende eines Verhandlungsprozesses und nicht am Anfang. Wir gehen mit klaren grünen Positionen in Gespräche und Verhandlungen. Dann schauen wir, was im Sinne unserer Ziele möglich ist und suchen gemeinsam mit dem Koalitionspartner nach tragfähigen Lösungen.

Das bedeutet?

Ich will das mal am Beispiel Polizeigesetz deutlich machen. Da ist für uns Grüne die Grundhaltung wichtig, dass wir eine rechtsstaatliche Balance von Sicherheit und Freiheit gewährleisten wollen. Unser Anspruch ist, dass alle Menschen in Baden-Württemberg sicher und frei leben können. Freiheit und Sicherheit kann man nicht gegeneinander ausspielen. Auf der einen Seite nehmen wir die veränderte Sicherheitslage sehr ernst und reagieren mit gezielten Maßnahmen darauf. Aber auf der anderen Seite haben wir bei Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchung auch klare Grenzen gesetzt. Denn wir sind davon überzeugt, dass nicht viele Maßnahmen viel helfen, sondern gezielte Maßnahmen viel helfen. Ich denke, wir haben es gemeinsam mit dem Koalitionspartner hinbekommen, ein Paket zu schnüren, das unserem Anspruch, Freiheit und Sicherheit auszubalancieren, durchaus gerecht wird.

Beim Landesparteitag befassen sich die Grünen dieses Jahr auch mit einem Leitantrag zur Integration. Was bedeutet Integration für Sie?

Integration ist kein Sonderformat für Menschen mit Migrationshintergrund oder Geflüchtete, sondern eine Aufgabe im Interesse der gesamten Gesellschaft. Integration nützt allen, wenn sie faire Chancen und gleiche Rechte für alle Menschen garantiert und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahrt und stärkt.

„Integration schafft Zusammenhalt“ lautet ihr Leitantrag. Doch wie wollen Sie beispielsweise mit Zuwanderern umgehen, die die Regeln des Zusammenlebens nicht anerkennen, indem sie beispielsweise die Rechte von Frauen nicht achten?

Wir wissen, dass eine vielfältige und offene Gesellschaft, für die wir eintreten, ein Band braucht, das sie zusammenhält. Dieses Band ist unser Grundgesetz. Das ist die verbindliche Grundlage für das Zusammenleben in unserem Land. Gerade uns Grünen sind die Werte des Grundgesetzes –Menschenrechte, Demokratie, Gleichbehandlung von Mann und Frau – extrem wichtig. Da gibt es keine Rabatte, für niemanden.

In dem Leitantrag setzen Sie sich auch dafür ein, dass Ausländer aus Nicht-EU-Staaten ein kommunales Wahlrecht erhalten. Solche Forderungen sehen viele Menschen auch mit Sorge. Was sagen Sie denen?

Gerade in der Kommunalpolitik kann man das direkte Lebensumfeld gestalten. Integration erreicht man doch nicht dadurch, dass man Menschen von solchen politischen Teilhabemöglichkeiten ausschließt. Das Gegenteil ist der Fall. Durch politische Teilhabe erleben die Menschen direkt, wie wertvoll unsere Demokratie ist. So stärken wir das Miteinander vor Ort und das demokratische Gemeinwesen insgesamt.

Eine wichtige Voraussetzung für Integration ist Arbeit. Bei uns gibt es Menschen wie Langzeitarbeitslose, Behinderte oder älter Menschen, die Probleme am Arbeitsmarkt haben. Jetzt kommt noch die Herausforderung, die Flüchtlinge am Arbeitsmarkt zu integrieren, von denen der größte Teil nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit, keine notwendige Qualifikation hat.

Wir wissen, dass Bildung, Ausbildung und Arbeit echte Integrationsfaktoren sind. Deshalb müssen wir alles tun, dass Flüchtlinge einen Weg in Bildung, Ausbildung und Arbeit finden. Um die Integration in Ausbildung und Arbeit zu stärken, wurde die Drei-plus-zwei-Regelung eingeführt. Sie stellt sicher, dass geduldete Flüchtlinge während ihrer Ausbildung und zwei anschließenden Beschäftigungsjahren einen gesicherten Aufenthalt haben.

Aber das reicht Ihnen nicht?

Wir sehen Weiterentwicklungsbedarf. Wir müssen diese Absicherung auch auf die Menschen ausweiten, die eine einjährige Helferausbildung in der Pflege machen oder die vor ihrer Berufsausbildung eine Einstiegsqualifizierung machen müssen. Noch gibt es leider viel zu oft die Situation, dass Menschen, die einen Ausbildungs- oder einen Arbeitsplatz gefunden haben, plötzlich von Abschiebung bedroht sind. Das verstehen auch die Arbeitgeber nicht.

Deutschland, und insbesondere auch Baden-Württemberg, braucht mit Blick auf den Fachkräftemangel Zuwanderung. Sie fordern ein modernes Einwanderungsrecht.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Mit Blick auf den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel sind wir auf Zuwanderung angewiesen. Ein Einwanderungsgesetz, wie wir es fordern, würde dafür sorgen, dass wir den Bedarf an qualifizierten Fachkräften tatsächlich decken können.

Unter welchen Voraussetzungen?

Mit einem Einwanderungsgesetz sind natürlich auch gewisse Qualifikationsanforderungen an Einwanderungswillige verbunden. Doch wichtig ist mir auch die Frage des Spurwechsels: Ohne legale Einwanderungsmöglichkeiten zwingen wir alle Menschen, die nach Deutschland kommen wollen, durch das Nadelöhr des Asylrechts. Mit einem Einwanderungsgesetz entlasten wir einerseits das Asylrecht und sorgen andererseits für eine geordnete Zuwanderung.


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