Stuttgart. Die Diskussionen um die Einrichtung eines Nationalparks im Nordschwarzwald bringt der von der Landesregierung propagierten "Politik des Gehörtwerdens" nach Aussage von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einen "Härte- und Stresstest".
In der von der FDP-Fraktion beantragten Aktuellen Debatte zum Thema "Die Politik des Gehörtwerdens und das Ende des Nationalparks" wiederholte der Regierungschef zwar seine Aussage, dass er aus Baden-Württemberg "keinen Debattierclub" machen möchte und Bürgerbefragungen vor Ort "kein Vetrorecht eingeräumt wird bei Dingen, die der Landtag zu entscheiden hat".
Gleichwohl zeigte sich Kretschmann von der klaren Ablehnung des grün-roten Prestigeobjekts bei den Bürgerbefragungen in sieben betroffenen Schwarzwald-Kommunen nicht unbeeindruckt. Die Landesregierung werde das Votum der Bürger bei der Festlegung der Gebietskulisse berücksichtigen, kündigte der Ministerpräsident in der fast dreistündigen Debatte an. Er kündigte außerdem an, dass der zuständige Naturschutz- und Forstminister Alexander Bonde (Grüne) bis "in vier bis sechs Wochen" den Gebietsplan des geplanten Nationalparks vorlegen werde.
Die Oppostionsparteien CDU und FDP nutzten die Debatte, um Grün-Rot scharf anzugreifen. "Das Projekt darf nicht gegen den Bürgerwillen durchgedrückt werden", sagte Friedrich Bullinger (FDP). Der Liberale sprach von "Bürgertäuschung". FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke nannte die von Grün-Rot ausgerufene "Politik des Gehörtwerdens" eine "leere Hülle", die nur dazu diene, die Bürger hereinzulegen, um an die Macht zu kommen. Kretschmann regiere das Land "despotisch" wie nie in seiner Geschichte. Wenn Grün-Rot den Bürgerwillen überhöre, sei sie verantwortlich, "wenn sich der Protest radikalisiert".
"Sie regieren schlichtweg durch. Das ist das Gesicht der grün-autoritären Politik." So formulierte CDU-Fraktionschef Peter Hauk die Kritik an der Landesregierung. Nicht die Idee des Nationalparks sei schlecht, sondern der Weg, den die Regierung gehe, um diesen durchzusetzen. "Sie haben die Menschen im Nordschwarzwald getäuscht." Der Nationalpark könne aber nur dann funktionieren, wenn die Menschen aus der Region "mitgenommen werden". Grün-Rot habe Versprechen gebrochen und Vertrauen enttäuscht, konstatierte Hauk. Da sich die Kommunen und Landkreise an das Bürgervotum in den betroffenen Gemeinden, in denen drei Viertel des geplanten Nationalpark-Gebietes liegen, gebunden fühlen, habe die Landesregierung diese nicht mehr hinter sich. Hauk folgerte: "Der Nationalpark in dieser Suchkulisse und auf den Markungen dieser Gemeinde ist mausetod." Kretschmann und Bonde hätten ein Fiasko verursacht, das Vertrauen in diese Regierung sei bei den Menschen vor Ort dahin.
Grüne und SPD wiesen die Vorwürfe zurück. Die ablehnenden Voten hätten auch sie in ihrer Deutlichkeit überrascht, räumte Edith Sitzmann ein. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende verwies aber auch auf Zustimmungen, beispielsweise vom Gemeinderat in Baden-Baden. Man werde dies abwägen und "so weit wie möglich" in die weiteren Planungen einfließen lassen. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel nannte das Vorgehen der Opposition "höchst gefährlich". Er kündigte an, den Dialog mit den Menschen fortzusetzen und das Konzept des Nationalparks mit dem schon existierenden Naturpark abzustimmen. Die Voten bezeichnete er als "Signal, das wir sehen und bedauern". Außerdem sieht auch Schmiedel "Irritationen" in der Suchkulisse. Andererseits hätten sich 77 gastronomische Betriebe für den Nationalpark ausgesprochen.
Kretschmann verteidigte den Nationalpark, der im Wahlprogramm der Grünen sowie im Koaltionsvertrag mit der SPD aufgeführt sei. Dies sei kein Prestigeprojekt der Regierung; im Sinne des Naturschutzes sei er nicht von örtlicher oder regionaler, sondern von nationaler Bedeutung, weshalb auch der Landtag für die Einrichtung zuständig sei. "Wir halten uns an die Kompetenzordnung unserer Verfassung. Sonst können wir nicht mehr Regieren und Gestalten", erklärte er, weshalb die Bürgerbefragung nicht über den Nationalpark entscheiden kann. Er sei auf keine einzige Frage zum Nationalpark eine Antwort schuldig geblieben, beteuerte der Ministerpräsident, der Prozess sei vorbildlich gestaltet worden.
Zudem sei der Nationalpark-Rat ein "starkes Zugeständnis" an die kommunalen und regionalen Interessen. Das von der Regierung in Auftrag gegebene Gutachten habe ein gewisses Dilemma gebracht. "Die Gegner sind mit voller Macht reingegangen, wir mit gebremstem Schaum", analysierte Kretschmann die Lage. Im übrigen bleibe der Wald in Baden-Württemberg bestehen. Nur auf einem kleinen Teil - 0,7 Prozent der Waldfläche sind für den Nationalpark vorgesehen - mache Grün-Rot künftig "etwas anderes".
Bonde räumte ein, die positive Wirkung "Wir wollen diesen Nationalpark" nicht erreicht zu haben. Es gebe aber trotzdem "kein Veto-Recht in der Region". Der Minister wies Kritik an falschem Vorgehen zurück: Man habe zwei Jahre lang intensiv mit den Betroffenen diskutiert. Trotz der Ablehnung in den sieben Gemeinden wird Bonde diese Kommunen nicht außen vor lassen können: "Wir kommen nicht komplett ohne diese Gemarkungen aus."
Dagegen steht für die Opposition das Scheitern des Nationalparks fest. Die Landesregierung habe nicht nur die Menschen im Nordschwarzwald, sondern auch die Gebietskörperschaften verloren, mutmaßte Hauk. Auch Rülke, der von "Bürgerveräppelung" sprach, sieht schwarz: "Dort, wo Unfrieden vor Ort herrscht, wird auch kein Tourist einen Nationalpark besuchen wollen."
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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