Stuttgart. Die Anträge der Landtagsopposition auf Entlassung von Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid sowie Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (beide SPD) sind am Freitagvormittag mit der Mehrheit der grün-roten Regierungskoalition abgelehnt worden. Der Abstimmung war eine heftige, von persönlichen Angriffen geprägte Debatte vorausgegangen.
Sowohl CDU-Fraktionschef Peter Hauk wie auch sein FDP-Amtskollege Hans-Ulrich Rülke warfen beiden Ministern gravierende Mängel in ihrer Amtsführung vor. „Die Zahl der Baustellen ist so groß, dass sie Ihnen über den Kopf wachsen“, beschied Hauk der Kultusministerin. Und Rülke ergänzte, Warminski-Leitheußer sei „in jeglicher Hinsicht mit ihrem Amt überfordert.
Das bezog er auf die konzeptionelle Arbeit in der Bildungspolitik ebenso wie auf deren Umsetzung, auf die Zusammenarbeit und Personalführung in ihrem eigenen Haus und auf die Einhaltung des eigenen Terminplans. Die Ministerin fehle bei wichtigen Terminen oder komme viel zu spät, kritisierte Hauk und gab einen Spruch zum Besten, der angeblich an Baden-Württembergs Schulen kursiert: Die Ministerin komme zu Schulbesuchen stets so spät, dass bloß noch der Hausmeister anwesend sei.
Entscheidend für den Antrag auf Entlassung war laut Hauk und Rülke aber, dass die Ministerin das Parlament belogen habe. Dabei geht es um die Übertrittszahlen von der Grundschule in weiterführende Schulen, die Grundlage für die Personalplanung in den verschiedenen Schularten ist. Warminski-Leitheußer habe erklärt, dass diese Zahlen noch nicht vorlägen, doch wisse er, dass bereits im Oktober von den Schulen entsprechende Erfassungsbögen abgeben worden seien, empörte sich Hauk.
Dass diese Erfassungsbögen existieren, stellte auch SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel nicht in Abrede. Doch diese seien nicht direkt ans Kultusministerium sondern zur Auswertung an das Statistische Landesamt gegangen. Und das stelle die Daten Mitte Januar dem Ministerium zur Verfügung. Dieser zeitliche Ablauf sei seit „Jahr und Tag“ so. Der Vorwurf der Lüge sei grotesk.
Den erhob Hauk aber auch gegen Schmid, dessen Abberufung die Union ohne Unterstützung der FDP gefordert hatte. Schmid habe im Landtag erklärt, dass das Verfahren zwischen dem Land und dem französischen Energiekonzern EDF vor dem internationalen Wirtschafts-Schiedsgerichtshof ICC um den umstrittenen Kauf der EnBW-Anteile vertraulich sei und er deshalb keine Auskünfte dazu geben könne. Diese Vertraulichkeit sei jedoch nicht im Kaufvertrag vereinbart, sagte Hauk. Schmid habe gelogen. Zudem betreibe Schmid eine planlose Haushaltspolitik und habe mit dem aktuellen Etat gegen die Haushaltsordnung des Landes verstoßen.
Der Doppelminister widersprach dem energisch. Für Streitigkeiten sei in dem von Ex-Regierungschef Stefan Mappus (CDU) abgeschlossenen Kaufvertrag über die EnBW-Aktien vereinbar worden, sich bei Streitigkeiten an die ICC-Regularien zu halten. Und diese sähen Vertraulichkeit vor. Nach Hauks Einschätzung gilt das allerdings erst mit der ersten Sitzung des Schiedgerichts am 6. September und damit nach Schmids Äußerungen im Landtag. Für die Klage des Landes selbst gelte keine Vertraulichkeit, sagte der Christdemokrat.
Verständigungsschwierigkeiten zwischen Regierungskoalition und Opposition scheint es aber nicht allein bei juristisch komplexen Sachverhalten zu geben sondern auch bei Alltagsbegriffen. Weil die Anträge gegen die beiden SPD-Minister sehr kurzfristig eingereicht worden waren, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in einem abendlichen Telefonat mit Hauk um eine Verschiebung der Debatte auf den Nachmittag gebeten.
Denn am Vormittag hätte Kretschmann als amtierender Bundesratspräsident in Berlin eine Rede zum Gedenken an die Vernichtung von Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten halten sollen. Er befürchte Irritationen bei Sinti und Roma, dass er die Rede wegen der Entlassungsanträge habe absagen müssen, erklärte der Regierungschef.
Hauk will aber von einer Verschiebung auf Mittwoch gehört haben und lehnte dies ab. Von einer Bitte will er zudem nichts gehört haben. Kretschmann meinte einlenkend, Mittag gesagt zu haben, was der CDU-Fraktionschef wohl als Mittwoch missverstanden habe.
Kretschmanns indirekter Vorwurf an Union und FDP seinen Auftritt bei der Gedenkveranstaltung verhindert zu haben, brachte Rülke in Rage. Es sei eine Infamie, die Opposition damit in die Nähe von Leuten zu rücken, die das Gedenken an Naziopfer verhindern wollten. „Das hat sich seit 60 Jahren keiner Ihrer Vorgänger geleistet“, schrie er Kretschmann an.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann beklagte, das Niveau der Debatte sei weder den Oppositionsparteien noch des Parlamentes insgesamt würdig. Die CDU habe unter Hauks Führung jedes Maß verloren. Die Entlassungsanträge und deren Begründung seien in der Geschichte des Landtags einmalig.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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