Stuttgart. Beim Thema Ehrenamt lag Baden-Württemberg lange Jahre deutlich vor den anderen Bundesländern. Doch diese holen zunehmend auf. Den Spitzenplatz muss sich das Land inzwischen mit Rheinland-Pfalz und Niedersachsen teilen. Das geht aus dem Freiwilligensurvey hervor.
Dennoch ist der Anteil ehrenamtlich Engagierter im Südwesten mit 41 Prozent nach wie vor sehr hoch. Doch die Landesregierung will nicht auf diesem Stand stehen bleiben. Vielmehr sollen Menschen, die sich bislang nicht engagieren für ehrenamtliche Tätigkeiten gewonnen werden. Das Potenzial wäre vorhanden. Nach Angaben aus dem Freiwilligensurvey könnten sich 34 Prozent der Baden-Württemberger, die sich bislang nicht engagieren, dieses durchaus vorstellen. Auch gibt es Nachholbedarf in einigen Bereichen, etwa bei Menschen, die in sozialer Benachteiligung leben, deren Stimme in der Gesellschaft wenig Gehör findet und die oft auch selbst wenig Vertrauen ich ihre eigenen Wirkungsmöglichkeiten haben. Auch Migranten sind bislang häufig noch unterrepräsentiert.
Doch wie gewinnt man diese Menschen? Mehr als 100 Experten, Engagierte und Betroffene haben sich dazu Gedanken gemacht und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements und des Ehrenamts entwickelt. Das Ergebnis ist die Engagementstrategie Baden-Württemberg, die Anfang April vom Kabinett verabschiedet wurde und am kommenden Montag, 23. Juni, mit einer großen Auftaktveranstaltung im Haus der Wirtschaft in Stuttgart startet. „Es ist bundesweit die erste im Dialogprozess mit Akteuren und Betroffenen entwickelte Strategie zur Stärkung der Bürgergesellschaft“, sagt Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD).
Die Strategie gliedert sich in verschiedene Handlungsfelder: Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationsgrund, Alter, Pflege, Jugend und Freiwilligendienste sowie Corporate Social Responsibility, also gesellschaftliches Engagement von Unternehmen. Zu allen Bereichen wurden auf rund 100 Seiten konkrete Empfehlungen erarbeitet.
„Für ein solidarisches Miteinander in unserer Gesellschaft ist bürgerschaftliches Engagement unverzichtbar. Mit der Engagementstrategie Baden-Württemberg liegen viele Vorschläge auf dem Tisch, die wir als Land entweder selber umsetzen können oder die wir als Anregungen an Dritte weitergeben können, also etwa an Kommunen, Verbände und Vereine“, sagt Altpeter. In rund 20 Projekten soll nun modellhaft erprobt werden, wie sich diese Empfehlungen umsetzen lassen. Ziel des bis Februar 2017 laufenden Prozesses ist es, bürgerschaftliches Engagement durch verbesserte Rahmenbedingungen zu stärken, neue Engagierte zu gewinnen und gemeinsam ein vielfältiges und soziales Miteinander zu gestalten, an dem jeder teilhaben kann, heißt es von Seiten des Sozialministeriums.
Finanziell gefördert wird die Strategie mit vier Millionen Euro durch die Baden-Württemberg Stiftung. Mit dem Geld sollen etwa innovative Konzepte für die Qualifizierung von Ehrenamtlichen erarbeitet, ein Wegweiser Engagement auf den Weggebracht und eine Kommunikationskampagne gestartet werden.
„Wir stehen der Stategie sehr aufgeschlossen gegenüber“, sagt Thomas Müller, Sprecher des Württembergischen Landessportbunds. Es sei hilfreich, die verschiedenen Erfahrungen und Wege der unterschiedlichen Organisationen und Verbände zu vernetzen. Auch Claudia Grosser von der Liga der freien Wohlfahrtspflege steht der Strategie aufgeschlossen gegenüber. Es sei gut, dass viele unterschiedliche Personen in dem Prozess mit ins Boot genommen worden seien. Sie bedauert jedoch, dass die Rolle der Kommunen nicht genügend hervorgehoben ist. Auch würde sie es für sinnvoller halten, statt auf Projektförderung auf Strukturförderung zu setzen.
Hermann Frank vom Paritätischen hält den sozialräumlichen Ansatz in der Strategie für interessant. Dieser werde etwa für eine künftige Pflegepolitik mit Bezug auf einen Stadtteil oder eine Gemeinde eine Rolle spielen, wenn es darum geht, wie Menschen möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung leben können. Dazu müssen diese entsprechend frühzeitig auch in soziale Netzwerke eingebunden sein. Hermann, der selbst an der Strategie mitgewirkt hat, ist überzeugt: „Die Engagementstrategie gibt Impulse.“ Baden-Württemberg dürfe sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, es gelte, den Blick nach vorne zu richten. Er hofft, dass spätestens mit Abschluss der Projekte auch die Antworten vorliegen, die in den kommenden Jahren gebraucht werden.
Beim Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hat man bereits reagiert: So wurde beispielsweise eine Stelle für Ehrenamtsförderung geschaffen, die die Ortsverbände gezielt unterstützt. „Viele Menschen sind bereit sich zu engagieren“, so Dahlbender. Doch diese kämen häufig nicht mehr direkt auf die Verbände zu sondern müssten gezielt angesprochen werden. Und auch das Thema Nachwuchs hat der Verband im Blick: Mit einer zweiten Stelle werden gezielt Menschen in den Ortsvereinen unterstützt, die Kindergruppen gründen wollen. In den vergangenen Jahren sind so 140 neue BUND-Kindergruppen entstanden.
Aus- und Weiterbildung für Ehrenamtliche ist ebenfalls ein wichtiger Bereich, in den viele Verbände und Organisationen bereits investieren. Beim BUND wurde dafür extra ein eigener Finanztopf eingerichtet. Auch die Sozialverbände bieten zahlreiche Fortbildungen für Ehrenamtliche an. Beim Paritätischen hat man jedoch festgestellt, dass es wichtig ist, Fortbildungen möglichst in den Regionen und vor Ort anzubieten. „Es reicht nicht mehr, überörtliche oder landesweite Fortbildungsprogramme anzubieten“, so Frank. Die Angebotspalette ist breit, sie reicht von Mentorenausbildungen bis hin zu Fortbildungen zu Vereinsrecht, Buchführung oder Datenschutz.
Claudia Grosser von der Liga der freien Wohlfahrtspflege betont, dass es wichtig sei, das Ehrenamt nicht als etwas Selbstverständliches hinzunehmen. Vielmehr sei es wichtig, den Ehrenamtlichen Wertschätzung entgegen zu bringen. Dies müsse regelmäßig geschehen, über eine Ehrenamtskultur in den Einrichtungen.
Weitere Informationen:
Engagementstrategie Baden-Württemberg: http://www.sm.baden-wuerttemberg.de/de/Buergerengagement_in_Baden-Wuerttemberg/81089.html
Freiwilligensurvey: www.sm.baden-wuerttemberg.de/fm7/1442/11-04-19%20FWS_BW_%20Endfassung.pdf
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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