Interview Biogasanlagen: "Wir brauchen keinen Ausbaustopp"

24.11.2011 
Redaktion
 
Ministerialdirektor Wolfgang Reimer. Foto: Conz

Ministerialdirektor Wolfgang Reimer. Foto: Conz

Stuttgart. Kommunen haben ab 2012 mehr Spielraum bei Windkraftanlagen. Möglich wird dies durch  Neuerungen im Landesplanungsrecht. Bis 2020 könnten zehn Prozent der Energie im Land aus der Windkraft kommen, glaubt Wolfgang Reimer, Ministerialdirektor im Agrarministerium. Bei Biogasanlagen gab es Fehlsteuerungen. Ein Ausbaustopp sei dennoch nicht nötig. In bestimmten Grenzen könne Biogas sogar weiter wachsen, so Reimer.

Staatsanzeiger: Die Zahl der Biogasanlagen wird sich im Südwesten von 400 im Jahr 2005 auf voraussichtlich 800 bis Ende 2011 erhöht haben. Eigentlich müssten Sie doch froh sein.

Wolfgang Reimer: Ziel der grün-roten Landesregierung ist es, bis 2020 insgesamt 35 plus x Prozent des im Land erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Hier spielt auch die Biogaserzeugung eine wichtige Rolle - bisher wird in Baden-Württemberg mit Biogas noch doppelt so viel Strom erzeugt wie mit Windkraft. Etwa die Hälfte der Anlagen liegt im Bezirk des Regierungspräsidiums Tübingen. Vor allem in den Landkreisen Ulm, Biberach, Ravensburg und Sigmaringen konzentrieren sich die Anlagen und das schafft auch gewisse Probleme.

Welche denn?

Durch den massiven Anbau von Energiemais kommt es zu einer Flächenkonkurrenz. Landwirte, die Energie produzieren, bekommen durch das Einspeisegesetz höhere Fördersätze als Milchbauern. Energiebauern können dadurch bis zu 1000 Euro Pacht pro Hektar zahlen. Für Milchbauern dagegen ist bei 500 Euro Schluss. Ich hoffe, dass sich die Situation entspannt, wenn die Agrarpreise wieder besser werden und die veränderten Fördersätze im Erneuerbare-Energien-Gesetz im Januar 2012 in Kraft treten. Klar ist: Wir brauchen beides - die Lebensmittel und die Energie.

Kritiker warnen schon vor einer Vermaisung der Landschaft. Warum?

Im Landkreis Ravensburg nimmt der Mais bereits 40 Prozent der Ackerflächen ein. Aber je weniger Kulturen es gibt, desto mehr Krankheiten oder Schädlinge können sich ausbreiten. Hinzu kommt das Landschaftsbild. Die Bevölkerung stört sich daran, wenn sie beim Fahrradfahren vor lauter Maispflanzen nichts mehr sehen kann. Auch Bürgermeister beklagen sich über das eintönige Landschaftsbild. Durch die Vielzahl der Anlagen werden auch die Anfahrtswege länger. Damit verschlechtert sich die Ökobilanz.

Muss man denn zur Energiegewinnung unbedingt Mais anbauen?

Mais hat die höchste Energieausbeute. Es gibt aber auch andere Energiepflanzen. Dazu laufen derzeit zahlreiche Versuche auch in unseren Landesanstalten. Durch Blühstreifen, also Blumen- und Kräuterflächen am Rand oder innerhalb von Maisfeldern, könnte man aber schon jetzt eine Auflockerung der monotonen Landschaft und eine größere Pflanzenvielfalt erreichen.

Brauchen wir einen Ausbaustopp von Biogasanlagen in Oberschwaben?

Nein. Wir brauchen keinen Ausbaustopp. Aber wir hatten eine gewisse Fehlsteuerung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die zu hohen Fördersätze für Energiemais. Jetzt müssen wir abwarten, wie die Veränderungen im Gesetz ab 2012 auswirken. Mittlere Anlagen zwischen 150 und 450 Kilowatt dürften dann wegen der geringeren Einspeisevergütung weniger interessant werden. Dagegen werden kleinere Anlagen, die Gülle verwerten, attraktiver. So kann Biogas nachhaltig und in einer Weise produziert werden, die die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt. Damit dürfte auch die Flächenkonkurrenz zwischen Milch- und Energiewirten wieder abnehmen.

Es gibt auch die Befürchtung, dass die Stromriesen im massiven Stil in die Biogas-Produktion einsteigen könnten.

Großanlagen müssen nicht zum Problem werden, auch weil sie nach Baugesetzbuch nicht privilegiert werden. Hier können zudem die Genehmigungsbehörden steuern und überlegen, ob man so etwas in der Region haben will. Aber in Oberschwaben sind solche Anlagen schon allein wegen der verfügbaren Fläche gar nicht realistisch.

Wie stehen die Chancen mit anderen regenerativen Energien?

Gebäude mit großen Dächern haben die Landwirte ohnehin. Für sie sind Photovoltaik Anlagen daher weiter attraktiv. Das gleiche gilt für Kommunen. Potenzial sehe ich insbesondere noch bei Unternehmen. Hier könnte noch viel mehr passieren. Die Einspeisevergütung ist zwar geringer geworden, dafür sind die Anlagen heute billiger.

Was ist mit der Windkraft?

Die Windkraft wird mit den Änderungen im Landesplanungsrecht im Herbst 2012 deutlich schneller ausgebaut werden. Neben den Vorranggebieten der Regionalverbände können auch unterschiedliche Standorte in den Flächennutzungsplänen der Kommunen ausgewiesen werden. Bis 2020 könnten zehn Prozent der Energie im Land aus der Windkraft kommen. Das ist durchaus realistisch.

Und die Biogasanlagen?

Die Probleme sind nicht unlösbar. Biogas hat nach wie vor seine Berechtigung und kann in bestimmten Grenzen weiter wachsen. Zielkonflikte gibt es überall. Bei den Windkraftanlagen ist es der Vogelschutz, bei den Biogasanlagen ist es die Konkurrenz um die Flächen. Wir hoffen, dass in Zukunft mehr Biogasanlagen für Gülle gebaut werden. Das bietet sich in Regionen wie Oberschwaben mit Viehhaltung und knappen Flächen an. Die Gülle ist ja eh da. In anderen Teilen des Landes wie im Norden oder Nordwesten Baden-Württembergs sollten die Anlagen mit nachwachsenden Rohstoffen betrieben werden. Wir setzen auf einen standortspezifischen Ausbau von Biogasanlagen.


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