Polizei will gewaltbereite Jugendliche mit neuer Präventionskampagne erreichen

06.02.2012 
Redaktion
 
Foto: www.polizei-beratung.de

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Stuttgart. Liebevoll lackiert er die Fußnägel seiner Frau oder deckt den Tisch. Andreas Vossen ist ein aufmerksamer Partner und Ethiklehrer im Gymnasium. Aber er ist auch Hooligan. Jeden Samstag zieht er auf der Suche nach dem Kick mit seiner schwarz gekleideten Meute nach dem Fußballspiel los und prügelt, bis das Adrenalin durch seinen Körper rauscht. Auch Vossens neuer Schüler ist ein „Hool“. Und der kennt seinen Lehrer von den Wochenendmatches, und so beginnt ein Zweikampf, bei dem Vossen weiter zuschlägt, obwohl sein Schüler schon auf dem Boden liegt.

Wotan Wilke Möhring spielt in dem Kurzstreifen „Heimspiel“ grandios den Akademiker mit dem Doppelleben, das aufzufliegen droht. Und wie die Regisseurin Bogdana Vera Lorenz in ihrem preisgekrönten Abschlussfilm der Internationalen Filmhochschule Köln letzteres umsetzt, das geht tief unter die Haut – ohne Sicherheitsabstand und moralische Vorverurteilung.

Die Polizei Baden-Württemberg nutzt nun den Film für das neue Medienpaket „Heimspiel“, das bundesweit eingesetzt werden soll, um Gewalttaten vorzubeugen. „Wir wollen mit gewaltbereiten Jugendlichen in Kontakt kommen“, so Dieter Schneider, Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg, bei der Auftaktveranstaltung im Treffpunkt Rotebühlplatz Stuttgart. Bei dieser schulten erstmals Präventionsspezialisten des LKA rund 110 so genannte „Multiplikatoren“, Jugendsozialarbeiter und Präventionsbeamte der Polizei, wie das Medienpaket zu handhaben ist. „Aufgrund der großen Nachfrage mussten wir weitere Veranstaltungen anberaumen“, so Schneider. Drei weitere Schulungstage seien bereits ausgebucht.

Das ist ganz im Sinne des Innenministers Reinhold Gall (SPD). Der Film brauche Begleitung, meint er. „Die Jugendkriminalität ist zurückgegangen. Aber es gibt einen harten Kern von drei bis sieben Prozent gewaltgeneigter, junger Menschen, die zahlreiche Taten begehen und die wir mit dem Film erreichen wollen.“ An diese Zielgruppe käme die Polizei erfahrungsgemäß am schwersten heran, da die Polizei für sie oft ein Feindbild darstelle. Daher ist bei dem Projekt auch das Sozialministerium im Boot. „Um bei diesen Jugendlichen mit dem Film anzukommen, braucht es die Mobile Jugendarbeit, die dorthin geht, wo andere schon nicht mehr hingehen“, erklärt Ministerin Katrin Altpeter (SPD).  „Diese Sozialarbeiter sind für die Jugendlichen Ansprechpartner und Bezugspersonen. Kein Mensch darf in der Gesellschaft verloren gehen.“ Der Landeszuschuss für die Mobile Jugendarbeit sei erfreulicherweise erhöht worden, unter anderem auch dank der Empfehlungen des Sonderausschusses, der sich nach den Amokläufen in Winnenden und Wendlingen gebildet habe.

„Gerade weil „Heimspiel“ kein typischer Präventionsfilm ist, weil er nicht selbsterklärend ist und keine rechtlichen Appelle hat, eignet er sich ganz besonders, um mit der Zielgruppe der gewaltbereiten Jugendlichen und Heranwachsenden ins Gespräch zu kommen – sie müssen sich aktiv mit dem Thema Gewalt und so mit der eigenen Lebenswirklichkeit auseinandersetzen“, betont Jörg Litzenburger. Der Sozial- und Medienpädagoge, seines Zeichens Präventionsbeauftragter des Landkreises Böblingen und Leiter der Koordinierungsstelle Kriminalprävention, hat den Film auf dem Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken entdeckt, für das Medienpaket vorgeschlagen und in Testvorführungen bereits Erfahrungen gesammelt. „Da kommen Sätze, wie ‚der darf das nicht’. Und wenn man fragt warum, kommt, ‚der ist Lehrer und zu alt, der muss Vorbild sein’. Überlegungen kommen auf, ob es ein Alter gibt, bis zu dem man prügeln darf, und schon ist man im Gespräch“, so Litzenburger.  Das bestätigt Clemens Beisel von der Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit und schildert ein Ziel:  „Wenn durch den Film ein Jugendlicher nicht mehr nachtritt, wenn schon jemand am Boden liegt, ist schon etwas erreicht und vielleicht ein Leben gerettet.“

Regisseurin Lorenz findet es gut, dass ihr Film zur Kriminalprävention eingesetzt wird. Indes war ihre Absicht beim Dreh eine andere. Hatte sich doch vom Drehbuchautor René Schumacher, einst Jurastudent, von dem Doppelleben so mancher Jurastudenten gehört. „Er schilderte, wie sich Kommilitonen angeregt darüber unterhielten, wie sie am Wochenende wieder jemand in den Bordstein beißen ließen“, so Lorenz. Sie habe dann recherchiert und einige Belege von Akademikern und Gutbürgerlichen gefunden, die ihre Freizeit als prügelnde Hooligans verbrächten. „Diese Gewalt ist nicht nur am Rand der Gesellschaft in Plattenbauten von Marzahn oder bei Hartz IV zu finden, sie ist in der Mitte unserer Gesellschaft.“


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