Auerhuhn und Windkraft schließen sich nicht aus

29.02.2012 
Redaktion
 
Wildtierexperte Rudi Suchant. Foto: Privat

Freiburg. Die Höhenrücken des Schwarzwaldes stellen in Baden-Württemberg die Bereiche mit der höchsten Windhäufigkeit dar und bieten der Windenergienutzung ideale Bedingungen. Für den Schutz gefährdeter Wildtierarten ergibt sich hierdurch aber ein besonderes Konfliktpotenzial, denn genau diese Standorte fallen häufig mit den wenigen, noch großflächig zusammenhängenden Waldlebensräumen zusammen, die beispielsweise dem vom Aussterben bedrohten Auerhuhn letzte Rückzugsgebiete bieten. In dieser Woche informierte die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) an der Universität Freiburg über die Windkraft und die Auswirkungen auf das Auerhuhn. Heiko Pappenberger sprach mit dem Wildtierexperten  Rudi Suchant über Vogelflugrouten, die Energiewende und das bedrohte Auerhuhn.

Staatsanzeiger.de: Herr Suchant, ist das Auerhuhn für die Windkraft im Schwarzwald das, was der Juchtenkäfer für das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist?

Rudi Suchant: Nein, das ist definitiv nicht so. Der Juchtenkäfer konnte aufgrund eines anderen Flächenbezugs nicht so differenziert betrachtet werden, wie wir das beim Auerhuhn für den ganzen Schwarzwald seit Jahren tun. Auerhuhn und Windkraft müssen und können nebeneinander bestehen. Bei S21 war der Juchtenkäfer ja teilweise Ausschlusskriterium für die Fortführung des Projekts.

Die Höhenrücken im Schwarzwald gelten als idealer Standort für Windräder, sind gleichzeitig aber Lebensraum für das Auerhuhn. Wie kann man Windkraft und Auerhuhn zusammenbringen?

Wie gesagt, Auerhuhn und Windkraft schließen sich nicht aus. Nicht überall, wo Auerhühner vorkommen ist Windkraft ausgeschlossen. Lediglich in Balz-, Aufzucht- oder wichtigen Korridorbereichen sollen Windräder nicht gebaut werden. Dies greift schon in der Planungsphase als Ausschlusskriterium. Diese Differenzierung ist wichtig, um einerseits das Auerhuhn und damit die Biodiversität zu erhalten und andererseits regenerative Energie zu ermöglichen.

Am Brandenkopf wurde ein Windrad verhindert, weil dadurch der Lebensraum des Auerhuhns angeblich bedroht sei. Wie kann das sein, man hat doch bisher noch immer keine genauen Erkenntnisse über die Auswirkungen der Windanlagen auf die Auerhühner?

Hier ist die besondere Lage ausschlaggebend. Über den Brandenkopf verläuft ein Korridor, der dem Austausch zwischen den Auerhuhnpopulationen im Nord- und Südschwarzwald dient. Für den Fortbestand der Auerhühner ist der Austausch zwischen den Verbreitungsinseln lebenswichtig. Dafür benötigen sie eben auch jenen Korridor, der über den Brandenkopf führt. Ein Eingriff in die dortige Landschaft durch weitere Windräder hätte Auswirkungen auf die gesamte Auerhuhnpopulation im Schwarzwald gehabt.

Untersuchungen am artverwandten Birkhuhn in Norddeutschland in Bezug auf die Windkraft brachten keine Erkenntnisse. Wie weit kann man das auf die Auerhühner übertragen?

Dazu muss ich sagen, dass es auch zu den Birkhühnern keine richtigen Untersuchungen gibt.  Die angesprochenen Erkenntnisse  sind nur sehr vage gehaltene Eindrücke, ohne ausreichende wissenschaftliche Basis. Als in Österreich am Stuhleck Windräder gebaut wurden, siedelte dort eine große Birkhuhnpopulation. Nachdem die Vögel in den ersten Jahren noch standorttreu waren, ist der Bestand mittlerweile nahezu verschwunden. Warum und ob das mit der Windkraft zu tun hat, konnte aber bisher nicht geklärt werden.

Wie lässt sich das denn klären?

Um genaue Erkenntnisse zu erlangen, muss man längerfristige Untersuchungen anstellen. Momentan haben wir ein Projekt in der Planung, das auf fünf Jahre angelegt ist und aus mehreren Untersuchungsmodulen besteht. Noch ist aber nicht sicher, ob und wann es starten soll.

Um das Problem besser in den Griff zu kriegen, hat man 2008 den Aktionsplan Auerhuhn konzipiert. Ist dieser heute noch aktuell und gibt es neue Erkenntnisse?

Der Aktionsplan hat sich bisher bestätigt und gilt auch 2012 nach wie vor. Im Aktionsplan wurden Rahmenbedingungen und Handlungsfelder für den Schutz des Waldvogels konkret genannt und in einem Maßnahmenkatalog verankert. So wird die Habitatgestaltung auf großen Flächen umgesetzt, zum Tourismus in diesen Regionen gibt es neue Ansätze und bei der Infrastruktur werden beim Bau von Windrädern oder Pumpspeicherwerken die Kriterien des Aktionsplans angewandt . Dieser Plan liefert auf der Basis wissenschaftlicher Untersuchungen die Beurteilungskriterien von Planungsstandorten. Damit fahren wir bisher sehr gut.

Der Nabu fordert zudem genaue Pläne der Flugrouten von Vögeln über dem Schwarzwald, um keine Windräder in die Flugbahnen der Vögel zu bauen. Was halten Sie davon?

Das ist ein schwieriges Gebiet. Die Flugrouten von Zugvögeln sind sehr schwer zu untersuchen. Auch mit Radar gelingt das meistens nicht vollständig und ist sehr aufwendig. Dennoch gibt es einige kleinere Untersuchungen, etwa zum Einfluss der Windräder auf Fledermäuse: Drehten sich die Windräder zu den aktiven Flugzeiten der Fledermäuse, verendeten viele in den Rotorblättern. Schließlich gelangte man zu der Erkenntnis, die Windräder zu diesen Zeiten einfach kurz abzustellen. Das hat auch funktioniert. Die Zugvögel sind ein viel weiteres Gebiet, dem man sich aber definitiv  widmen muss.

Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz kann bisher keine Untersuchungen zu den Flurouten vorweisen, diese seien zu kostspielig heißt es. Ist das Voranbringen des Ausbaus der Windenergie ohne gesicherte Erkenntnisse über die Flugrouten seitens der Landesregierung überhaupt sinnvoll?

Ja, absolut. Keine Probleme sehe ich bei der Bebauung von Flächen, die von Vögeln und anderen Tieren gar nicht genutzt werden. Davon gibt es im Schwarzwald einige. Generell muss man sich langsam herantasten, um die Windenergie flächendeckend ausbauen zu können. Dass man das eine oder andere Opfer bringen muss, liegt auf der Hand. Man muss aber das große Ganze im Blick haben und das ist letztendlich die Energiewende.

Müsste man mit dem Bau von Windrädern nicht noch warten, bis man wirklich sichere Erkenntnisse über das Auerhuhn und die Vogelflugrouten hat?

Nein, man muss damit jetzt beginnen. Es gibt genug Flächen die man ganz unproblematisch bebauen kann, außerdem habe ich großes Vertrauen in den Aktionsplan Auerhuhn.

Sollte eine Studie in ein oder zwei Jahren beweisen, dass das Auerhuhn durch Windräder Schaden nimmt. Was dann?

Wir haben eine Langzeitstudie in Planung, können aber nicht genau sagen, wann wir starten. Geplant ist eine Untersuchung, die den Zeitraum 2013 bis 2017 einschließt. Die Ergebnisse werden dann unsere bisherigen Erkenntnisse entweder bestätigen, ergänzen oder verändern. Sollte letzteres der Fall sein, müssen wir darauf reagieren. Bis dahin gelten aber die bisherigen Erkenntnisse nach dem Vorsorgeprinzip, welches im Aktionsplan Auerhuhn festgeschrieben ist.


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