"Ein sehr wichtiger Schritt"

09.03.2012 
Redaktion
 
Interview: Medienpädagogik
Foto: privat

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Ludwigsburg. Horst Niesyto ist Sprecher der bundesweiten Initiative „Keine Bildung ohne Medien“ und Professor für Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Er fordert mehr Engagement in der Medienausbildung von Lehrern.

Staatsanzeiger: In den Prüfungsordnungen für die Lehramtsausbildung sind nun verbindlich medienpädagogische Fragen integriert. Reicht das?

Horst Niesyto: Das war ein erster, sehr wichtiger Schritt. Jetzt ist zu klären wie ein anforderungsgerechtes Studienangebot zu gewährleisten ist, damit sich die Studierenden auf die Prüfungen vorbereiten können. In den neuen Prüfungsordnungen, die ab 2011 für die Lehramtsausbildung an den Grundschulen und der Sekundarstufe I in Baden-Württemberg gelten, ist verbindlich festgehalten, dass in den mündlichen Abschlussprüfungen in allen Fächern medienpädagogische Fragen zu thematisieren sind.

In den früheren Prüfungsordnungen waren medienpädagogische Fragen kein verbindlicher Bestandteil. Mit der neuen Festlegung machte das Kultusministerium unter der damaligen Leitung von Kultusministerin Marion Schick (CDU) einen sehr wichtigen Schritt. Die neue Landesregierung von Grünen und SPD bestätigte die Novellierung der Prüfungsordnung. Jetzt geht es darum, an den Hochschulen diese Vorgabe umzusetzen in Richtung einer medienpädagogischen Grundbildung für alle Lehramtsstudierenden und dafür die entsprechenden infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen.  

Wo liegen die Probleme?

Bei den neuen Studienordnungen ist es bislang nur an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg gelungen, zumindest eine Einführungsveranstaltung in die Medienpädagogik für alle Studierenden zu verankern. Es fehlt an Angeboten in den Bereichen Mediengestaltung und digitale Medienbildung. Bisher war es so, dass medienpädagogische Fragen nur vereinzelt und optional in den verschiedenen Fächern thematisiert werden.

Wenn Lehrkräfte in ihrem Unterricht Medienfragen unter verschiedenen Aspekten thematisieren sollen, benötigen sie selbst Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenz. Hierfür reicht in der Hochschulausbildung eine Überblicksveranstaltung nicht aus, hierfür bedarf es einer medienpädagogischen Grundbildung im Zusammenwirken von Bildungswissenschaften und Fächern. Mit der neuen Prüfungsordnung sind die Bildungswissenschaften, insbesondere die Erziehungswissenschaft, stärker gefordert.

Hier gelang es an der PH Ludwigsburg, eine medienpädagogische Einführungsveranstaltung in das erziehungswissenschaftlichen Studienangebot aufzunehmen, die für alle Studierenden verbindlich ist. Auch wurde in Ludwigsburg aktuell eine halbe Stelle für Angebote im Bereich der medienpädagogischen Grundbildung bewilligt, zunächst für drei Jahre. Dies sind erste Maßnahmen in Richtung einer medienpädagogischen Grundbildung. An anderen Pädagogischen Hochschulen gelang dies bis dato leider nicht.    

Was sollte die Politik unternehmen?

Für eine medienpädagogische Grundbildung, die diesen Namen verdient, benötigen wir seitens des Landes neue Stellen. Es gibt keine Kompensation aus anderen Bereichen. Medienpädagogik wurde viele Jahre vernachlässigt. Die Studierenden werden immer mehr. An der PH Ludwigsburg hat die Abteilung Medienpädagogik ein Konzept für eine medienpädagogische Grundbildung vorgelegt und ist hierüber im Austausch mit den verschiedenen Fächern.

Im Februar 2012 fand an der PH Ludwigsburg eine Veranstaltung „Medienbildung in die Schule!“ statt, die vom dortigen „Interdisziplinären Zentrum für Medienpädagogik und Medienforschung“ (IZMM) organisiert wurde. An dieser Veranstaltung nahmen auch Vertreter des Kultus- und des Wissenschaftsministeriums teil. Als Resümee hielten die Veranstalter fest, dass es einerseits notwendig ist, innerhalb der Hochschulen zu klären, wie vorhandene Ressourcen noch besser zu nutzen und zu vernetzen sind. Aber die Ressourcen seien angesichts vielfältiger Aufgaben einfach begrenzt.

Die Gesamtsituation deutet darauf hin, dass auf politischer Ebene in nächster Zeit Entscheidungen notwendig sind, mit welcher Priorität ein Ausbau der Medienbildung in der Lehrerbildung in Baden-Württemberg in Angriff genommen wird . Ergänzende Angebote aus dem Bereich der Fort- und Weiterbildung, unter anderem des Landesmedienzentrums,  können in keinem Fall eine solide Ausbildung in der ersten Phase der Lehrerbildung an Hochschulen ersetzen. Es geht kein Weg daran vorbei, dass die Landesregierung mehr Stellen und Ressourcen für Medienbildung an den Hochschulen in Baden-Württemberg bewilligen muss. Sonst wird sie ihrem Anspruch und ihren Ankündigungen in der Koalitionserklärung von 2011 nicht gerecht.    

Wie können Lehrer die Medienbildung in den Unterricht integrieren?

Lehrer sind in der Ausbildung dafür zu qualifizieren, wie sie mediale Aspekte mit den jeweiligen Fachthemen gut verknüpfen und Medienerfahrungen der Schüler sinnvoll integrieren können. Medien sind keine Selbstläufer, sondern benötigen Lernarrangements, die unterschiedliche Kompetenzen erfordern. Es reicht nicht aus, dass sich Lehrkräfte auf Moderationsaufgaben konzentrieren — dies wird in Verbindung mit dem Hinweis auf die Generation der „digital natives“ oft empfohlen. Um Bildungs- und Erziehungsaufgaben in der mediatisierten Welt wahrnehmen zu können, müssen Lehrkräfte über eigene Medienkompetenzen und über medienpädagogische Kompetenzen verfügen. Hierzu gehören unter anderem medienästhetische, -technische, -ethische, -didaktische Kenntnisse und Fähigkeiten.

Wenn Lehrkräfte einen differenzierten Umgang mit Medien fördern und auf die Fragen von Schülern überzeugend und glaubwürdig eingehen möchten, benötigen sie selbst ein Medienwissen und eine reflektierte Haltung im Umgang mit Medien. Auf dieser Grundlage können sie Bildungsprozesse im Sinne von Selbstorganisationskompetenzen bei Schülern mit auf den Weg bringen, gerade was berufsbezogenes Wissen und Reflexionswissen über die Mediengesellschaft und die Risiken im Umgang mit digitalen Technologien betrifft. Und schließlich: Die Postulate vom selbstregulierten, selbstbestimmten und mobilen Lernen können erst dann realisiert werden, wenn Lehrkräfte einen schülerorientierten Unterricht machen, mehr Projektarbeit, freie und offene Unterrichtsformen fördern — und hierin in vielfältiger Weise Bildung und Lernen mit und über Medien integrieren.

Hierfür sind nicht nur die Klassengrößen zu reduzieren und mehr Kooperationen mit außerschulischen Lernorten — insbesondere im Kontext von Ganztagesangeboten — zu entwickeln. Es bedarf auch einer kritischen Überprüfung der Stofffülle in einzelnen Fächern, mehr in Richtung Mindeststandards für alle Schüler und wahlbezogenen Vertiefungsmöglichkeiten.    

Dazu müssten die Bildungspläne geändert werden...

...und dabei sollte auch die Expertise der Hochschullehrer berücksichtigt werden. Bislang haben wir seitens des Kultusministeriums keine Einladung erhalten, an der Erstellung der neuen Bildungspläne mitzuwirken. Die derzeit gültigen Bildungspläne für die allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg enthalten durchaus verschiedene Anknüpfungspunkte für Medienbildung in verschiedenen Fächern. Fakt ist aber, dass gerade jene Themen- und Kompetenzfelder, die nicht klar einem Schulfach zugeordnet werden können, es schwer haben, sich in der schulischen Bildung zu behaupten beziehungsweise überhaupt einen adäquaten Platz zu erhalten.

Insgesamt wird deutlich, dass die sogenannten Querschnittskompetenzen — zu denen auch Medienkompetenz zählt — nicht entsprechend ihrem gesellschaftlichen Stellenwert und auch in ihrer Bedeutung für die Persönlichkeitsbildung junger Menschen in der schulischen Bildung verankert sind. Hier stellt sich zentral die Frage, welche Schulen wir heute brauchen, wie Bildungs- und Erziehungsaufgaben gewichtet werden und wie die sog. Querschnittskompetenzen ein größeres Gewicht bekommen können.

Für Schulen, die zukunftsfähig bleiben möchten, wird kein Weg daran vorbeigehen, mehr Raum für die Auseinandersetzung mit zentralen Lebensthemen der Schüler zu schaffen. Es ist nicht hilfreich, einzelne Themenfelder und Kompetenzbereiche gegeneinander auszuspielen. Notwendig sind Lösungen, die gesellschaftliche Schlüsselthemen nachhaltig in der schulischen Bildung verankern. Eine einseitige Orientierung am Fächerprinzip ist dafür nicht geeignet. Die Stofffülle in verschiedenen Fächern ist zu entschlacken, um mehr Raum für Querschnittsthemen zu schaffen. Bezüglich der Medienbildung ist die Situation, dass in den Fächern oft die Zeit fehlt, um auch spezifische Fragen der Medienbildung und Medienerziehung zu thematisieren. Weder der nur fächerintegrative Ansatz noch die Forderung nach einem gesonderten, neuen Schulfach „Medien“ erscheinen sinnvoll.

Erfolgversprechend sind curriculare Konzepte, die im Zusammenspiel von Fächern und fächerübergreifenden Themenfeldern Raum für mediale Bildungsprozesse eröffnen. Hierzu gehören auch „Fenster“ in bestehenden Fächern, in denen mediales Wissen gezielt vermittelt und auch zum Bestandteil einer verbindlichen Evaluation und Selbstevaluation wird.  

Am 20. Januar hat die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ dem Bundestag einen zweiten Zwischenbericht zum Thema Medienkompetenz vorgelegt. Enthalten sind auch Vorschläge der Initiative „Keine Bildung ohne Medien“. Was raten Sie der Bundesregierung hinsichtlich der Medienbildung?

Die Bundesregierung hat in letzter Zeit verschiedene Initiativen ergriffen, um die Situation der Medienkompetenzförderung zu thematisieren. Dazu gehören unter anderem die Aktion „Dialog Internet“ vom Bundesjugend- und –familienministerium und der „Zukunftsdialog“ der Bundeskanzlerin, der im Rahmen der Leitfrage „Wie wollen wir lernen?“ auch den Bereich digitale und mediale Kompetenzen umfasst. Zu nennen sind auch Initiativen im Bundesbildungs- und im Verbraucherministerium, im Wirtschaftsministerium sowie beim Staatsminister für Kultur und Medien.

Was bis dato fehlt, ist ein ministeriumsübergreifendes, strategisches Gesamtkonzept für die Medienkompetenzförderung in Deutschland, welches sich nicht in der Förderung einzelner Projekte und Schwerpunkte erschöpft, sondern im Sinne von Nachhaltigkeit einen dauerhaften und breitenwirksamen Prozess der Medienkompetenzförderung auf den Weg bringt. Stichworte in diesem Zusammenhang sind: Einrichtung eines Gremiums zur Sicherung nachhaltiger Förderprozesse, Einbeziehen von Experten aus verschiedenen Bereichen. Hierzu gehört meines Erachtens auch ein Medienbildungspakt zwischen Bund, Ländern und Kommunen — auch unter Einbeziehen von Wissenschaft, Medienanstalten/-institutionen und Medienwirtschaft —, um vorhandene Ressourcen optimal einzusetzen und im Sinne von Breitenwirksamkeit und Nachhaltigkeit eine neue Qualität der Medienkompetenzförderung in Deutschland zu erreichen.

Infrastrukturen sind gezielt auszubauen, die Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften von der frühen Bildung über die Lehrerbildung, die außerschulische Bildung bis hin zur Erwachsenen- und Seniorenbildung ist ein entscheidendes Kettenglied. Auch ist die Medienbildung vor Ort durch entsprechende Förderprogramme im Rahmen eines Medienbildungspakts gezielt auszubauen: Angebote und Initiativen für lebensweltbezogene, niedrigschwellige Zugänge an verschiedenen Orten im Gemeinwesen — gerade auch, um Menschen aus bildungsbenachteiligenden Verhältnissen besser zu erreichen. Möglicherweise könnte eine Bundesstiftung oder eine Bund-Länder-Stiftung Medienbildung für die Realisierung dieser Ziele wichtige Impulse geben.

In verschiedenen Bundesländern hat sich in letzter Zeit einiges getan, um Initiativen besser zu vernetzen und zu unterstützen, in Baden-Württemberg zum Beispiel durch die Initiative „Kindermedienland“. Sinnvoll erscheinen insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene „Runde Tische Medienbildung“, um alle Akteure einzubeziehen und auch das zivilgesellschaftliche Engagement in diesem Bereich deutlich zu stärken.


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