Lernvoraussetzungen des einzelnen Kindes werden frühzeitig erkannt

18.10.2010 
Redaktion
 
Foto: Pixelio, Michael Hirschka

Stuttgart. Im Bereich der frühkindlichen Bildung wurden in den vergangenen Jahren viele Projekte angestoßen. „Wir haben viele Dinge ausprobiert, aber wir müssen sie nun noch mehr zusammenführen“, sagte Kultusministerin Marion Schick (CDU) bei ihrer 100-Tage-Bilanz im Juni dieses Jahres. Sie will den Orientierungsplan für die Kindergärten, das Bildungshaus 3-10, die Sprachförderung und die Projekte „Schulanfang auf neuen Wegen“ und „schulreifes Kind“ besser miteinander verzahnen und auf eine einheitliche Grundlage stellen. Ihr Ziel: Den Übergang von Kindergarten in die Grundschule möglichst nahtlos zu gestalten. Wie dies funktionieren kann, stellte Schick bei einer Pressefahrt anhand von vorbildlichen Einrichtungen im Land vor. Eine davon war das Bildungshaus in Waiblingen.

Es ist eines von 33 Bildungshäusern im Land, in denen Kindergärten und Grundschulen eng miteinander kooperieren. Derzeit läuft die nächste Ausschreibungsrunde: Bald sollen weitere 70 Bildungshäuser im Land hinzukommen. Nach Ansicht von Schulleiter Herbert Brändle von der Lindenschule in Waiblingen-Hohenacker gibt es derzeit allerdings keine zwei Bildungshäuser im Land die identisch oder auch bloß vergleichbar seien. Das beginnt schon bei den Kooperationen. Die Lindenschule kooperiert mit drei Kindergärten: einem städtischen, einem evangelischen und einem katholischen. Wobei die Einrichtungen zum Teil bis zu zwei Kilometer voneinander entfernt sind. An anderen Orten kooperiert ein Kindergarten mit zwei Grundschulen oder ein Kindergarten mit einer Grundschule. Die Modelle sind unterschiedlich.

Kindergarten und Schule begleiten Kinder gemeinsam

Allen gemeinsam ist jedoch, dass Kindergarten und Schule die Kinder gemeinsam begleiten sollen, Entwicklungsschritte des Kindes regelmäßig und strukturiert beobachtet und dokumentiert werden. Das Ziel: Individuelle Lern- und Entwicklungssituationen sowie Förderangebote in Absprache miteinander zu gestalten und durchzuführen. Wobei gemeinsame Lern- und Spielzeiten in institutions- und jahrgangsübergreifenden Gruppen zentrale Elemente des Modellprojekts sind. Dabei ist auch der Orientierungsplan für die Kindergärten auf den Bildungsplan der Grundschule abgestimmt. Dies ist die Basis für die Arbeit im Bildungshaus.

Schulleiter Brändle rät allen Einrichtungen, die sich zu einem Bildungshaus zusammenschließen wollen, im Vorfeld viel Zeit einzuplanen. Denn je mehr Skeptiker es gibt, um so schwieriger wird es, so ein Projekt umzusetzen. In Gesprächen gilt es Kontakte zwischen Eltern, Erziehern und Lehrern aufzubauen und auch etwaige Ängste abzubauen. Etwa bei Eltern, die sich sorgen machen, ob ihr Kind dann noch das Gymnasium schafft oder bei Lehrern, die sich fragen, wie sie künftig die vorgeschriebene Zahl von Klassenarbeiten im Unterrichtsalltag unterbringen sollen.

Kinder können auch zum Frühjahr eingeschult werden

In Waiblingen kommt noch hinzu, dass an der Grundschule auch das Projekt „Schulanfang auf neuen Wegen umgesetzt wird“. Das bedeutet, dass Kinder sowohl im Herbst als auch im Frühjahr eingeschult werden können. Auch der Übergang zur dritten und vierten Klasse ist inzwischen entsprechend flexibel gestaltet. „Als Lehrer muss man hier einen Schalter umlegen“, sagt Brändle. Denn: Man muss den Überblick behalten, was nicht immer einfach ist, wenn die Kinder einen unterschiedlichen Wissensstand haben. Zugleich gibt man auch einen Teil der Verantwortung an die Kinder ab.

Auch die Eltern müssen umdenken, wie Elternvertreterin Andrea Brand erzählt. Sie sei selbst noch konventionell unterrichtet worden. Doch der Erfolg des Bildungshauses in Waiblingen spreche für sich. Sie hat beispielsweise ihre Tochter auch im Frühjahr eingeschult. „Man wird dem einzelnen Kind und seinem Lerntempo so besser gerecht“, sagt Brändle. Gleichzeitig sei allerdings auch der Beratungsaufwand der Lehrer gestiegen. Ein großer Vorteil dieses Systems ist, dass die Kinder so lernen, sich selbst zu organisieren und zu strukturieren. Dies bekommen die Grundschullehrer regelmäßig auch als Rückmeldung aus den weiterführenden Schulen. Und auch die Grundschulempfehlungen sprechen für sich: Über 50 Prozent der Kinder, zum Teil fast 60 Prozent erhalten eine Gymnasialempfehlung. Der landesweite Schnitt liegt derzeit bei 47 Prozent.

Zugewinn an personalen und sozialen Kompetenzen

Erste Erkenntnisse der Evaluation der Bildungshäuser durch das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm zeigen bereits, dass die Kinder einen Zugewinn an personalen und sozialen Kompetenzen haben, aber auch mehr inhaltliche und fachliche Sicherheit. Die pädagogischen Fachkräfte berichten auch vom frühen Interesse der Kinder für Lesen und Schreiben. Auch das Projekt „Schulanfang auf neuen Wegen“ wird als erfolgreich bewertet. Die Kinder erführen im Bildungshaus mehr individuelle Förderung. Die Lernvoraussetzungen des einzelnen Kindes würden frühzeitig erkannt und begleitet. Auch sehr begabte Kinder profitierten davon.

Bislang haben die Bildungshäuser im Land noch Modellcharakter. Dies soll sich künftig ändern. Eine der Fragen für Schick ist deshalb, ob aus dem Modell künftig nicht ein Standardangebot werden kann. Sie will die Bildungshäuser in die Fläche bringen und Überzeugungsarbeit leisten, dass Kinder so optimal auf die Schule vorbereitet werden. Per Anordnung könne man dies nicht erreichen, so Schick. Ihr Fazit: Es bleibt noch jede Menge zu tun.

Lehrerausbildung muss umgestellt werden

Ein Ansatzpunkt muss dabei auch die Lehrerausbildung sein. Denn die Lehrer müssten auf so einen Weg entsprechend vorbereitet werden. Das Primarlehramt sei derzeit in der Anhörungsphase. Zugleich will Schick Mut machen, die Freiräume im Bildungssystem entsprechend zu nutzen.

Investitionen in die frühkindliche Bildung zahlen sich aus. So ergab eine Studie im Auftrag der Wissensfabrik, dass sich Bildungssysteme dann als volkswirtschaftlich ertragreich erweisen, wenn sie von vorschulischen Bildungsprogrammen her aufgebaut, im Stufenverlauf miteinander verzahnt sind und von einer umgedrehten Bildungsfinanzierungsspirale profitieren können. Staatliche Investitionen in die Vorschulerziehung erbringen demnach eine hohe langfristige Rendite für die Gesellschaft.

Eine Langzeitstudie aus den USA zur Effektivität vorschulischer Erziehung bei Kindern aus sozial benachteiligten  Familien kam zu dem Ergebnis, dass geforderte Kinder im Vergleich zu nicht geförderten Kindern in ihrem späteren Leben bessere Schulleistungen erbringen, seltener eine Klasse wiederholen müssen, höhere Bildungsabschlüsse erzielen und als Erwachsene eine bessere Gesundheit, niedrigere Kriminalitätsraten und eine gute Integration in den Arbeitsmarkt aufweisen.


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