Bundesweit erste Befragung von Tafelladenkunden

06.12.2010 
Redaktion
 

Leonberg. „Tafelläden helfen Armen bei der Bewältigung ihrer schwierigen Lebenssituation, aber sie sind keine wirksame Strategie zur Bekämpfung der Armut“, erklärte Oberkirchenrat Johannes Stockmeier, Sprecher der Diakonie Baden-Württemberg. Der Verband stellte am Montag, 6. Dezember, in Filderstadt-Bernhausen die bundesweit erste Befragung von Tafelladenkunden vor. Die Wirkungen, die Tafeln im Bereich der Armutsbekämpfung erzielen können, seien im Vergleich zum Auftrag des Sozialleistungssystems marginal.

Von rund 1,4 Millionen Menschen in Baden-Württemberg, die von relativer Armut betroffen seien, erreichten die Tafeln gerade 7,7 Prozent. Aber immerhin jeder 100. Baden-Württemberg sei ein Kunde der 134 Tafeln im Land. Dort gehen hochwertige Lebensmittel, die im normalen Lebensmittelhandel nicht mehr verkaufbar gelten, zu einem geringen Preis an bedürftige Menschen, deren Einkommen gering sind oder auf Sozialleistungen des Staates angewiesen sind. Die meisten Tafelkunden beziehen Hartz IV. Das Durchschnittsalter beträgt 49,6 Jahre, so ein Ergebnis der Befragung. Die Diakonie Baden-Württemberg hat 650 Kunden in zwölf Tafelläden in Baden-Württemberg und vier Läden in Hessen befragt. „Angebot in Würde – der Titel der Broschüre ist Programm“, sagte Stockmeier, der auch Vorsitzender des Diakonischen Werks Baden ist.

Die Ergebnisse der Befragung im Einzelnen:

1.      Im Kampf gegen die Armut sind die Wirkungen der Tafelläden im Vergleich zum Auftrag des Sozialleistungssystems marginal. Während es bundesweit in nahezu allen Großstädten Tafelläden gibt, können lediglich 22 Prozent der Städte mit 10 000 bis 20 000 Einwohnern eine solche vorweisen. 7,7 Prozent der Menschen in relativer Armut werden erreicht. In Baden-Württemberg entspricht der Kundenanteil einem Prozent an der Gesamtbevölkerung von 10,8 Millionen Einwohnern. Zwei Drittel der Siedlungsfläche Baden-Württembergs sind ohne Tafel – unversorgt sind in erster Linie ländliche Gegenden.

2.      Von Armut in Baden-Württemberg sind besonders Familien mit Kindern und Alleinerziehende betroffen. Der größte Teil der Tafelkunden – 44 Prozent – lebt in Haushalten mit Kindern. Er liegt damit deutlich über dem Anteil der der Familien mit Kind, der laut statistischem Landesamt bei 24,5 Prozent liegt. „Für das von der Landespolitik gerne so bezeichnete Kinderland Baden-Württemberg ist das Ergebnis alarmierend“, sagt der Sprecher des Diakonieverbandes Stockmeier. 75 Prozent der Kunden sind Frauen, meist geschieden, verwitwet oder getrennt lebend.

3.      Der Anteil für Lebensmittel im Regelsatz reicht nicht aus – der Regelsatz muss erhöht werden. Und zwar um rund 25 Prozent, schätzt der Diakonieverband aufgrund der Befragungsergebnisse.

4.      Migranten sind besonders von Armut betroffen. 34 Sprachgruppen wurden gezählt. Ihr Anteil bei den Tafelkunden liegt weit höher als der 2007 ermittelte Mikrozensus für Baden-Württemberg von 25 Prozent.

5.      Armut verfestigt sich. Zwei Drittel der Kunden gehören zum Stammklientel, da sie das Angebot länger als ein Jahr nutzen. Armut werde zur „nachhaltigen Lebenslage“ und nicht zur Ausnahmesituation.

6.      Die Kunden sind mit der Erreichbarkeit und dem Angebot der Tafeln sehr zufrieden. 82 Prozent der Befragten sind mit der Erreichbarkeit zufrieden und 80 Prozent gaben an, sie seien mit dem Angebot zufrieden. Nur weniger als fünf Prozent drückten ihre Unzufriedenheit aus.

Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg, betonte ebenfalls den diakonischen Auftrag der Tafeln. Denn neben dem Angebot der günstigen Lebensmittel erreichten die Tafeln die notleidenden Menschen auf einer anderen Ebene. Die Kunden, die anders als etwa in der Tafel Berlin, wo sie Lebensmittelpakete zugeteilt bekommen, selbst auswählen und kaufen können, erhielten beim Einkauf soziale Kontakte. Bei einer Tasse Kaffee erfahren die ehren- und hauptamtlichen Helfer von den Nöten ihrer Kunden und vermittelten Rechtsberatungen oder helfen bei Amtsgängen und anderen Hilfsangeboten. „Tafeln sind ein niederschwelliges Angebot – daher sind sie ein originär diakonisches Handlungsfeld“, sagte Kaufmann. Rund zwei Drittel der Tafelläden werden unter Mitwirkung von kirchlich-diakonischen Trägern betrieben. Rund 9000 Ehrenamtliche arbeiten dort mit.

Warum der Regelsatz zu niedrig ist

Ein Rechnungsbeispiel: In Tafelläden kosten Lebensmittel bloß 10 bis 30 Prozent der Preise der günstigsten Anbieter. Alleinstehende geben, so die Befragung, etwa 20 Euro im Tafelladen und 96 Euro im Lebensmittelgeschäft aus. Somit stellten die Einkäufe im Tafelladen einen dreifachen Wert von rund 66 Euro dar. Zusammen mit den 96 Euro des kommerziellen Handels sind das 162 Euro. Der derzeitige Ernährungsregelsatz beträgt 129,50 Euro. Somit entstünde eine Deckungslücke von rund 33 Euro.


Kontakt

Ihre Ansprechpartnerin in der Redaktion

Redaktionsassistentin Staatsanzeiger
Doris Kugel
Telefon: 07 11.6 66 01-290
E-Mail senden

Unser Team

Ihr Kontakt zu unseren Redakteurinnen und Redakteuren

Zum Team

Praktikums-Tagebuch

Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger. 

Zum aktuellen Tagebuch

Der Kommunal-Newsletter

Wissenswertes zu kommunalpolitischen Themen für Sie als Gemeinderat/Gemeinderätin mit einem wöchentlichen Newsletter direkt in Ihr E-Mail-Postfach. Abonnieren Sie jetzt den 
Kommunal-Newsletter.

Newsletter abonnieren