Alle Jahre wieder: So entsteht die Steuerschätzung

04.05.2021 
Redaktion
 
Foto: Adobestock/Violetkaipa

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STUTTGART. Die möglichst genaue Schätzung des Steueraufkommens ist eine wesentliche Grundlage für die Haushaltsplaner bei Bund, Ländern und Gemeinden. Für die Projektion holt sich das Bundesfinanzministerium fundierten Rat: Der Arbeitskreises Steuerschätzungen muss etliche Hürden nehmen, bis die Prognosen stehen.

Zweimal jährlich – im Mai und November – schauen die Kassenwarte der Nation gespannt auf eine kleine Gruppe von Experten. Ihre Prognose zum Steueraufkommen hat direkte Auswirkung auf die Haushaltsplanung. Es ist der Arbeitskreis Steuerschätzungen, kurz AKS, der die wichtigen Zahlen präsentiert, von denen eine Vielzahl staatlicher Entscheidungen abhängt: Bildung, Infrastruktur, soziale Absicherung, innere und äußere Sicherheit und vieles mehr.

Um solide wirtschaften zu können, müssen die staatlichen Stellen wissen, wie viel Geld ihnen dafür zur Verfügung steht. Jede Steuer wird solange debattiert, bis ein Konsens erreicht ist. Für die Schätzungen des Arbeitskreises erstellen acht Mitglieder, darunter fünf  große  Wirtschaftsforschungsinstitute,  die  Bundesbank,  der  Sachverständigenrat und das Bundesfinanzministerium, unabhängig voneinander eigene Schätzvorschläge für jede Einzelsteuer.

Sitzung im Mai gilt als „große Steuerschätzung“

Mit am Tisch sitzen auch die kommunalen  Spitzenverbände  sowie  Experten  des  Statistischen  Bundesamts. Die Vorschläge werden im Arbeitskreis unter dem Vorsitz des Bundes-finanzministeriums diskutiert. Jede Steuer wird dabei solange erörtert, bis ein Konsens erzielt wird, der von allen mitgetragen werden kann.  Die Schätzungen des AKS beziehen sich zunächst jeweils auf das laufende und das folgende Jahr. Die Sitzung im Mai gilt als die „große“ Steuerschätzung. Ihre Ergebnisse sind Grundlage für den Haushaltsentwurf des Folgejahrs und für die jährliche Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung.

Bei dem zweiten Treffen Anfang November liefert der Arbeitskreis die endgültigen Ansätze für die Steuereinnahmen im Bundeshaushalt des Folgejahrs. Außerdem beginnen auf der Grundlage dieser Schätzung die Arbeiten am Bundeshaushalt für das übernächste Jahr und am Finanzplan. Je nach Schätztermin werden zudem drei bis vier weitere Folgejahre für die mittlere Finanzplanung prognostiziert.

Deutscher Städtetag gehört zum Expertenkreis

Seit 1955 übernimmt der Bund die Ergebnisse des AKS in den Haushaltsplan und seit 1968 auch in die mittelfristige Finanzplanung. Liegen die Expertenmit ihren Prognosen richtig, so ist beispielsweise im laufenden Jahr 2021 ein Steueraufkommen von insgesamt  776  Milliarden  Euro  zu  verteilen.  Nachdem Verteilschlüssel erhält der Bund rund 340 Milliarden Euro, wobei davon automatisch 43 Milliarden Euro für die EU reserviert sind. Die Länder dürfen mit 324 Milliarden Euro rechnen, die Gemeinden erhalten rund 113 Milliarden Euro. Zu dem Expertenkreis  der  Steuerschätzer  gehört  der  Deutsche  Städtetag.

„Das hat auch einen besonderen Grund“, erklärt Stefan Anton, der als Experte für Finanzpolitik und Finanzanalyse für den Städtetag im Gremium sitzt. So bringt der Verband Daten zum Aufkommen der Gewerbesteuer – die wichtigste eigene Steuer der Städte – in die Steuerschätzung mit ein. Dazu nimmt der Verband eine Umfrage unter seinen Städten vor. „Wir fragen nicht allein das Aufkommen bei der Gewerbesteuer ab, sondern auch Daten zum Veranlagungsprozess, also für welches Jahr die Gewerbesteuergezahlt wurde und wie der Stand bei den Vorauszahlungen ist“, erklärt Anton. Das ist ein langer Weg. „Wenn sich die wirtschaftliche Aktivität ändert, wenn sich  Gewinne  bei  den  Unternehmen  und  bei  den  Vorauszahlungen ändern, bis das in der Finanzverwaltung berücksichtigt wird, diese Zeitverzögerungen versuchen wir einzuberechnen.“

Ergebnisse für jede Steuerart werden im Arbeitskreis diskutiert. Die Ergebnisse für jede einzelne Steuerart werden im AKS diskutiert. Divergenzen unter den Experten sind da nicht ungewöhnlich. Das lässt sich jedoch  nicht  für  jede  Steuerart  sagen,  so  Anton.  „Die  Grundsteuer  etwa  ist nach wenigen Minuten geschätzt, da gibt es ein etabliertes Schätzmodell, das ist einfach nur Rechentechnik“, sagt er. Anders verhält es sich bei gewinnabhängigen Steuern. „Da liegen die Einschätzungen am stärksten auseinander“, berichtet Anton. Sie sind am schwierigsten zu schätzen. „Besonders, wenn wir große Änderungen in der wirtschaftlichen Aktivität haben, wie im Corona-Jahr“, sagt Anton.

Anton: „Steuerschätzungen nicht ohne Weiteres in den Haushaltsplan übernehmen“

Doch selbst  da  hatten  die  Experten  das  tatsächliche  Aufkommen  zuletzt sehr genau vorhergesagt. „Wir haben eine Abweichung von lediglich ein bis zwei Prozentpunkten, bei einem Einbruch des Gewerbesteueraufkommens von fast 25 Prozent, das ist technisch gesehen ein sehr gutes Ergebnis“, betont Anton. Von der Prognosequalität ist er überzeugt. „Sie ist zu Planungs-zwecken sehr gut geeignet.“ Dennoch rät Anton gerade Kommunen, die Steuerschätzdaten nicht ohne Weiteres in den Haushaltsplan zu übernehmen. „Davor muss man dringend warnen“, sagt er. Der Grund dafür sind vor allem Änderungen im Steuerrecht. „Das Steueraufkommen wird auf Basis geltenden Rechts geschätzt. Bei  vielen  Rechtsanpassungen  weiß  man,  dass  sie  kommen  werden,  etwa wenn ein Freibetrag erhöht wird. Andere rechtliche Änderungen sind erst in der politischen  Diskussion“,  sagt  er.  Kämmerer müssten  sich  daher  nachdem Vorsichtsprinzip fragen, ob man sich bei der Haushaltsplanung von der zu erwartenden Entwicklung leiten lassen wolle, oder man da lieber leichtpessimistisch vorgehen wolle. Konjunkturdaten, Konsum und Lohnentwicklung sind die Basis.

Einer, der den Prozess der Steuerschätzung schon seit vielen Jahren beobachtet, ist  Robert  Lehmann  vom  Ifo-Institut  in  München. Es ist  eines  der fünf  Wirtschaftsforschungsinstitute,  die  an  der  Steuerschätzung  beteiligt sind. „Über die Jahre hinweg sind die Prognosen recht treffsicher“, bilanziert er. Kommt es zu Fehleinschätzungen, seien diese zu „zwei Dritteln auf einen Prognosefehler  der  Bemessungsgrundlage  zurückzuführen“.  Damit meint er etwa Daten zur voraussichtlichen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, zu Konsumausgaben oder etwa zur Lohnentwicklung. Diese gesamtwirtschaftlichen  Eckdaten  werden  vom  Bundeswirtschaftsministeri-um geliefert.

Neue Methoden werden vorgestellt und diskutiert

„Wenn die gesamtwirtschaftlichen Eckdaten verzerrt oder falsch sind, überträgt sich das auf die Steuerschätzung“, sagt Lehmann. Das restliche Drittel führt er auf „methodische Fehler“ zurück. Also auf die Berechnungsmethoden, mit denen von den vorliegenden Daten auf die künftigen Steuereinnahmen geschlossen wird. Den Mitgliedern des Arbeitskreises wird dabei kein verbindliches Prognose-Instrumentarium vorgegeben. Diejenigen Mitglieder, die eigene Schätzvorschläge erstellen, erarbeiten diese mit eigenen Methoden und Modellen. Im Rahmen von sogenannten Methodensitzungen werden im AKS aber neue methodische Ansätze vorgestellt und diskutiert.

Einen „Spielraum“, um die Prognosen weiter zu verbessern, sieht Ifo-Forscher Lehmann vor allem in der Datengrundlage. Es gebe große Potenziale, neue Datenquellen anzuzapfen, sagt er. So könnte man einzelne Steuerdaten beispielsweise schon auf der Mikroebene gezielt erfassen, also bei den Steuerzahlern oder wenn man die Steuereinnahmen auf einzelne Produkteerfassen  würde.  Mithilfe  von  digitalen  Technologien  wie  Big  Data  könnte man dann die komplexen Datensätze auswerten. Auf diese Weise ließen sich die Prognosen künftig noch verbessern, ist er sicher.

Weitere Themen zu Steuern und Einnahmen gibt es im gleichnamigen Journal.


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