Kretschmann – Mensch, Politiker und Philosoph

10.05.2011 
Redaktion
 
Neuerscheinung
Annäherung an einen, der sich in der zweiten Reihe stets wohl fühlte
Winfried Kretschmann (Grüne), Foto: Herder

Stuttgart. Am 12. Mai ist Winfried Kretschmann im Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Er ist der erste grüne Regierungschef in der Bundesrepublik. Bereits wenige Tage erschien ein erstes Porträt über ihn.

Es gibt diese Geschichte vom Urlaub auf dem Bauernhof. Von den Familienferien auf der Hühnerfarm der Schwiegereltern. Winfried Kretschmann, seine Ehefrau Gerlinde und die drei Kinder fuhren nach Laiz bei Sigmaringen und halfen dabei, die 600 Tiere in den Käfigen zu füttern, die Eier einzusammeln, notwendige Reparaturen zu erledigen. Mit der Haltung des Grünen-Gründungsmitglieds, der zu den ersten sechs Abgeordneten seiner Partei im Landtag von Baden-Württemberg gehörte, passte das zwar nicht zusammen. Wohl aber mit seinem Pragmatismus und der Einsicht ins Notwendige. „Wer von der Eierproduktion leben will, kommt ohne Käfighaltung in Probleme“, sagte er damals. In der Zwischenzeit ist die politische Diskussion weiter: Ab dem kommenden Jahr ist derartige Käfighaltung EU-weit verboten.

Es gibt eine Menge solcher Geschichten im Leben von Winfried Kretschmann. Kleine Erlebnisse und große Ereignisse. Scheinbare Nebensächlichkeiten und bedeutende Wegmarken. Er redet nicht gerne darüber. Gibt eher zu, dass er sich in der zweiten Reihe bislang wohl gefühlt habe.

Geschichte und Geschichten im Vordergrund

Doch nun wird Kretschmann Ministerpräsident. Der erste grüne Regierungschef in der Bundesrepublik – und mit der zweiten Reihe ist es vorbei. Er tritt nach vorn – und mit ihm seine Geschichte und die Geschichten. In „Winfried Kretschmann. Das Porträt“ werden sie erzählt. Es ist das erste Buch über den angehenden Regierungschef.

Das Autoren-Paar Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer und Peter Henkel hat nicht bloß ein Porträt vorgelegt. Eine Annäherung an den Lehrer und Hobbyphilosophen, den leidenschaftlichen Wanderer, Gärtner und Opernbesucher. Es ist auch ein politisches Buch mit Betrachtungen zur Strategie des Ökologischen und zum Nein in der Demokratie. Und es ist ein Blick auf die jüngste Geschichte Baden-Württembergs. Auf den Einzug der Grünen ins Landesparlament. Auf die Ablehnung aus anderen Parteien und eines Chefredakteurs, der seiner Redaktion vorgab, keine Berichte über die neue Partei auf der Titelseite zu veröffentlichen. Auf die Umwelt- und Energiepolitik, das Markenzeichen der Grünen. Und auf die Auseinandersetzungen ums Milliardenvorhaben Stuttgart 21.

Aus der Zeit gefallen und doch tief verwurzelt

Es ist eine Stärke des Buches, dass es sich wieder und wieder von der Person Kretschmann löst. Dass es größere Bogen schlägt. Ein Porträt ausschließlich in Nahaufnahme würde dem Mann nicht gerecht, der mit seiner nachdenklichen und etwas behäbig-knorrigen Art zwar manchmal aus der Zeit zu fallen scheint, dessen Bild aber erst im Zusammenhang mit den jeweils aktuellen Gegebenheiten an Schärfe gewinnt.

Wie sonst wäre die Mitgliedschaft des Katholiken aus Oberschwaben im Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) zu erklären, die er längst als „kommunistische Verirrung“ bezeichnet? Wie sonst hätte er sich im vergangenen Herbst gemeinsam mit Stefan Mappus (CDU) für einen runden Tisch zu Stuttgart 21 aussprechen können, wofür er vom Aktionsbündnis gegen den Tiefbahnhof heftig kritisiert wurde? Es ist wie mit den Hühnern in den Käfigen: Kretschmann wägt Grundhaltung und aktuelle Notwendigkeit gegeneinander ab. Stets aufs Neue.

Der Zauber des Neuen wird verfliegen

Dass die Autoren ihren Protagonisten sympathisch finden, verbergen sie nicht. Das Buch hat einen weitgehend wohlwollenden Grundton. Doch sie halten sich auch nicht mit Bedenken und Unwägbarkeiten der grün-roten Zeit in Baden-Württemberg zurück.

Der Zauber des Neuen könne rasch verfliegen, meinen sie, weil es Enttäuschungen geben wird. Ganz zu schweigen von den vielen Wählern, die bei der Landtagswahl am 27. März den Grünen keine Stimme gaben. „Auf die Regierung Kretschmann warten also Herausforderungen und Risiken in beträchtlicher Zahl und Größenordnung“, stellen Peter Henkel und Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer fest. Doch sie geben auch Entwarnung: „Immerhin haben es die Menschen in diesem Land mit einem an der Spitze zu tun, der integer ist, klug und weit mehr auf das Wohl des Gemeinwesens bedacht als auf das eigene.“

Peter Henkel / Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer: Winfried Kretschmann. Das Porträt. Herder Verlag 2011, 160 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-451-33255-5.


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