Unterlassungsklage gegen Vergabesperre auch ohne konkretes Vergabeverfahren!

19.10.2020
Von: Dr. Sönke Anders
Expertenbeitrag

Wenn bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers Personen mitwirken, die in einer persönlichen oder beruflichen Nähe zu einem Bieter stehen, besteht ein möglicher Interessenkonflikt. Für den Auftraggeber stellt sich die Frage, wie er den bösen Schein einer Parteinahme für einen Bieter vermeiden kann. Die Verhängung einer Vergabesperre ist zwar hierzu geeignet, geht aber zu weit. Das betroffene Unternehmen hat unabhängig von einem konkreten Verfahren einen Anspruch auf Aufhebung der Vergabesperre. 

Was ist passiert? 

Ein eingetragener Verein mit 180 Mitarbeitern, der wissenschaftliche Gutachten und Studien u. a. für öffentliche Auftraggeber erstellt, hatte bisher von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz regelmäßig Aufträge für Forschungsvorhaben und Gutachten mit einem Wert von bis zu 100.000 Euro je Auftrag erhalten. Der Verein wurde nun generell von Vergabeverfahren der Senatsverwaltung ausgeschlossen, weil ein Mitarbeiter dieses Vereins mit der zuständigen Senatorin verheiratet ist. Gegen diese Vergabesperre hatte sich der Verein mit einer zivilrechtlichen Klage auf Unterlassung gewandt. 

Nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB kann der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann. In § 6 VgV ist näher geregelt, wann ein Interessenkonflikt vorliegt. Nach § 6 Abs. 2 VgV ist dies der Fall, wenn Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens beteiligt sind oder Einfluss auf den Ausgang eines Vergabeverfahrens nehmen können, ein direktes oder indirektes finanzielles, wirtschaftliches oder persönliches Interesse haben, das ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte. 

Nach § 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a VgV wird bei Personen, deren Ehegatte bei einem Bewerber oder Bieter gegen Entgelt beschäftigt ist, vermutet, dass ein solcher Interessenkonflikt besteht. Entsprechende Regelungen finden sich in §§ 4, 31 Abs.1 UVgO für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen. Sie fehlen für die Vergabe von Bauaufträgen und Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen unterhalb der Schwellenwerte, auf die die UVgO gemäß dem geltenden Haushaltsrecht keine Anwendung findet. Es gelten dort jedoch dieselben Grundsätze. Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die Vergabesperre vergaberechtlich nicht haltbar. Es wies die Klage trotzdem ab. Gegen den generellen Ausschluss könne sich der Verein mit einer Unterlassungsklage nicht wenden. Er müsse im konkreten Vergabeverfahren seinen Anspruch auf Zulassung geltend machen. 

Das Urteil des Gerichts 

Die Revision hat Erfolg! Der Bundesgerichtshof stellt zunächst fest, auch ein eingetragener Verein könne sich auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB berufen. Der Verein müsse die Möglichkeit haben, sich gegen einen generellen Ausschluss aus Vergabeverfahren zu wehren. Er müsse nicht abwarten, bis er in einem konkreten Verfahren ausgeschlossen werde. 

Zum einen gebe es Verfahrensarten wie die beschränkte Ausschreibung, bei denen er von seiner Nichtberücksichtigung gar nicht erfahre. Zum anderen wirke schon die Vergabesperre als "Makel" des Unternehmens im Wettbewerb. Der Ausschluss sei auch rechtswidrig. Denn der Ausschluss aus einem konkreten Vergabeverfahren wegen eines Interessenkonflikts könne nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB nur als Ultima Ratio in Betracht kommen. Vorrangig sei es die Pflicht des Auftraggebers, die Person, bei der auf seiner Seite ein solcher Interessenskonflikt bestehe, von der Befassung mit konkreten Vergabeverfahren auszuschließen. Das gelte sowohl im Anwendungsbereich des GWB und der Vergabeverordnung als auch im Unterschwellenbereich. 

Fazit für die Praxis 

Zur besseren Überprüfung von Ausschlussgründen wegen bestimmter Wirtschaftsdelikte wird derzeit beim Bundeskartellamt ein Wettbewerbsregister eingerichtet. Bei Eintragungen in das Wettbewerbsregister ist der Rechtsweg für die Überprüfung der Eintragung in das Wettbewerbsregister sowie sonstiger Entscheidungen der Registerbehörde gesetzlich ausdrücklich in § 11 WRegG regelt. 

Eingetragen werden Unternehmen, denen bestimmte Wirtschaftsdelikte zuzurechnen sind, insbesondere Bestechung, Bildung krimineller Vereinigungen, Terrorismusfinanzierung, Geldwäsche, Betrug und Subventionsbetrug zu Lasten öffentlicher Haushalte, Steuerhinterziehung, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, Verstöße gegen bestimmte arbeitsrechtliche Vorschriften sowie Kartellabsprachen. Ein Unternehmen muss jedoch auch gegen formelle oder informelle Vergabesperren außerhalb des Anwendungsbereichs des Wettbewerbsregistergesetzes vorgehen können. Ein Ausschluss in einem bestimmten Vergabeverfahren muss nicht abgewartet werden. 

Mit einer Vergabesperre belegte Unternehmen haben Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Öffentlichen Auftraggeber sind verpflichtet, einen Interessenkonflikt durch die Nichtbeteiligung der in einem möglichen Interessenkonflikt stehenden Person auf der Seite des Auftraggebers zu lösen, statt den Bieter vorsorglich von Vergabeverfahren auszuschließen. Ist eine Nichtbeteiligung der Person möglich, ist ein Angebotsausschluss unverhältnismäßig. 


Quelle

  • BGH, Urteil vom 03.06.2020 - XIII ZR 22/19

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