„Über 95 Prozent der kommunalen Aufträge werden unterhalb der EU-Schwellenwerte abgewickelt“, schätzt Norbert Portz, Vergaberechtsexperte beim Deutschen Städte- und Gemeindebund in Bonn. Darunter fallen auch Leistungen von Architekten und Ingenieuren. Ist deren Auftragswert geringer als 200 000 Euro, können Vergabestellen nach aktuellem Recht Aufträge freihändig vergeben. Dies führt zuweilen zu Konflikten zwischen Vergabestellen und Bietern. Schließlich ist für die freihändige Vergabe kein formeller Verfahrensablauf vorgeschrieben. Bieter monieren zuweilen mangelnde Transparenz und fehlende Gleichbehandlung sowie unfaire Wettbewerbsbedingungen bei der Auftragsvergabe.
Im Straßenbau wird in der Regel mit den Bietern verhandelt
„In der Straßenbauverwaltung werden Aufträge nicht nach Beliebigkeit vergeben“, sagte Klaus Maier-Bätz, Ministerialrat im Ministerium für Verkehr und Infrastruktur (MVI) Baden-Württemberg. Für freiberufliche Leistungen werden hier jährlich rund 40 Millionen Euro ausgegeben. Rund 95 Prozent aller Ingenieurverträge liegen unterhalb der EU-Schwellenwerte. „Als Regelverfahren gilt hier das Verhandlungsverfahren ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb“, sagte Maier-Bätz. Dabei führt der Auftraggeber mit einem oder mehreren ausgewählten Bewerbern die Auftragsverhandlungen durch.
„Hier gelten die gleichen Vergabegrundsätze wie bei Verfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte“, sagte Maier-Bätz. Überdies seien die haushaltsrechtlichen Anforderungen zu beachten. Voraussetzung für das Verhandlungsverfahren sei eine Marktübersicht. Stehen nicht genügend Bewerber zur Verfügung, gebe es laut Maier-Bätz einen öffentlichen Teilnahmewettbewerb. Die freihändige Vergabe nach Verhandlung mit nur einem Bewerber komme dagegen relativ selten vor.
Die Ingenieure sehen die Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe eher kritisch. „75 Prozent aller Tragwerksleistungen kommen nicht auf den freien Markt“, schätzt Stephan Engelsmann, der Vizepräsident der Ingenieurkammer Baden-Württemberg. Die unterschwellige Kritik dabei: Vergabestellen würden immer wieder auf den gleichen Kreis von Bewerbern zurückgreifen. „Dabei besteht eine Pflicht zur Streuung der Aufträge“, sagte Engelsmann.
Peter Kalte, Geschäftsführer der GHV Gütestelle Honorar- und Vergaberecht, plädierte bei der Vergabe freiberuflicher Leistungen unterhalb der Schwellenwerte für ein eigens entworfenes Suchverfahren. „Bei Planungsverfahren, die keine Routineplanungen darstellen, sind mit mehreren Bietern Verhandlungen zu führen“, sagte Kalte. Bei dem Verfahren der GHV steht die fachliche Leistungsfähigkeit der Bewerber im Vordergrund. „Der Preis spielt keine Rolle“, sagte Kalte. Er werde von der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure bestimmt, die gesetzlich verordnetes Preisrecht sei. Auf diese Weise würden die Auftraggeber jene Planer bekommen, die die bestmögliche Leistung erbringen würden, sagte der Honorarexperte aus Mannheim.
Am Hochbauamt der Stadt Heilbronn hat man Vorgaben für Vergabeverfahren entwickelt. Dirk Vogel, der ehemalige Leiter der Behörde, stellte die Richtlinien vor, nach denen die Stadt die jährlich rund 500 Aufträge an freiberuflich Tätige und Fachfirmen vergibt. „Im Unterschwellenbereich sind für Leistungen gemäß der HOAI ab einem Auftragswert von 25 000 Euro mindestens drei Angebote einzuholen“, sagte er. Dies gelte auch für Beratungsleistungen ab einem Auftragswert von 3000 Euro. Unterhalb dieser Werte kann nach Verhandlung mit einem Bieter ein Direktauftrag erfolgen. „Mit unserem Instrumentarium ist es auch unterhalb des Schwellenwerts möglich, zu nachvollziehbaren, wirtschaftlich überzeugenden und qualitätsvollen Lösungen zu kommen“, sagte er.
Kontrovers diskutiert wurde das Thema Rechtsschutz im Unterschwellenbereich. In Thüringen gibt es seit Mai vergangenen Jahres ein Vergabegesetz, das Bietern die Möglichkeit einer Nachprüfung einräumt. „Seither sind 21 Beschwerden eingegangen“, berichtete Axel Scheid, Vorsitzender der Vergabekammer von Thüringen. Zehn Ausschreibungen seien dabei aufgehoben worden. „Unsere Vorschrift ist zwar nicht perfekt, aber sie ist ein Ansatz“, resümierte er.
Rechtsschutz vor Vergabekammern ausdehnen
Kommunalvertreter wie Portz äußern da Skepsis: „Mehr Unterschwellenrechtsschutz bedeutet mehr Bürokratie.“ Eine Eins-zu-eins-Einführung des Rechtsschutzes, wie es ihn oberhalb der Schwellenwerte gebe, lehne er ab. Das sächsisch-thüringische Modell halte er aber für möglich.
„Initiativen für einen Rechtsschutz gibt es vonseiten Baden-Württembergs derzeit nicht“, sagte Willi Weiblen, Ministerialdirigent im Finanz-und Wirtschaftsministerium. Eine Lösung innerhalb des bestehenden Rechtssystems halte er nicht für sinnvoll. „Es gibt nur eine tragfähige Lösung: den Rechtsschutz vor Vergabekammern und -senaten auf alle Auftragsvergaben auszudehnen.“
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