Die Europäische Kommission will im Dezember einen Vorschlag für ein neues Vergaberecht präsentieren. Das hat die Kommission Ende Oktober in Brüssel mitgeteilt. Einiges spricht dafür, dass die Schwellenwerte, die derzeit bei 4,9 Millionen Euro für
Bausachen (VOB) und 193.000 Euro für Dienstleistungen (VOL) liegen, erhöht werden. In einem Grünbuch hatten sich mehrere Mitgliedsstaaten dafür ausgesprochen. Oberhalb
der Schwellenwerte müssen Aufträge der öffentlichen Hand europaweit ausgeschrieben werden.
Europaweite Ausschreibungen bei Kommunen sehr selten
Auch in Baden-Württemberg gibt es Stimmen, die höhere Schwellenwerte fordern. Gerhard Mauch, Baurechtsdezernent beim Städtetag, empfiehlt eine Erhöhung um 50
Prozent. Seiner Erfahrung nach sind vor allem Vergabestellen in kleineren Kommunen mit europaweiten Ausschreibungen überfordert. „Es kann nicht sein, dass man wegen jeder Vergabesache einen Anwalt beauftragen muss“, sagt er. Mauch spricht von „unnötigem Ballast“, da sich beispielsweise für das Betreiben einer Schulmensa ohnehin keine Bewerber aus dem Ausland melden würden.
Ähnlich sieht dies Dietmar Ruf, Vergaberechtsexperte des Gemeindetags. Den portugiesischen Hersteller von Feuerwehrleitern, über den in Fachkreisen gerne geflachst werde, gebe es eben nicht. Ruf geht davon aus, dass die Erhöhung der Schwellenwerte ohne Relevanz für seine Mitgliedsstädte und -gemeinden sein wird. Mehr als 95 Prozent aller Aufträge liegen seiner Erfahrung nach im Kommunalbereich ohnehin unter den Schwellenwerten.
Ruf berichtet von einer Bauamtsleitertagung, an der er am Mittwoch in Marbach (Neckar) teilnahm: Dort habe von 65 Teilnehmern bloß einer in letzter Zeit ein EU-weites Verfahren abgewickelt. Und wo sie – wie bei besagten Feuerwehrleitern – deutlich darüber liegen, werde sich, so vermutet Ruf, auch nichts ändern. Er verweist
darauf, dass die Änderungen der Schwellenwerte in den vergangenen Jahren lediglich im einstelligen Prozentbereich gelegen haben.
Bernd Klee, beim Landkreistag für Finanzen zuständig, differenziert zwischen den Schwellenwerten für VOB und VOL. Während er mit dem Wert für Bausachen keine
Probleme hat, empfiehlt er, den Wert für Dienstleistungen zu erhöhen. Er verweist darauf, dass der VOL-Wert auch für Leasing- und Wartungsverträge gilt. Dort werde
vielfach ein Vier-Jahres-Zeitraum zugrunde gelegt, was dazu führe, dass bereits geschätzte Kosten von 50.000 Euro pro Jahr zu einer europaweiten Ausschreibung führten.
Wohlwollende Evaluation des Bundeswirtschaftsministeriums
Neben den Schwellenwerten sorgen auch die Wertgrenzen, die regeln, ab welcher Auftragssumme öffentlich ausgeschrieben werden muss, für Diskussionsstoff. Grund ist die unterschiedliche Praxis im Bund und in den Ländern. Während in Baden-Württemberg zum Jahresende die erhöhten Wertgrenzen aus dem Konjunkturpaket II auslaufen, bleiben sie in Hessen bestehen. Dort haben sich die Handwerkskammern
durchgesetzt, die ähnlich wie in Baden-Württemberg hohe Wertgrenzen fordern. Auch auf Bundesebene deutet vieles darauf hin, dass die erhöhten Wertgrenzen, nachdem
sie zum Jahresende 2010 abgeschafft wurden, wieder Gültigkeit erlangen könnten. Eine Evaluation des Bundeswirtschaftsministerium fiel äußerst wohlwollend aus.
Eine vergleichbare Entwicklung auf Landesebene würde Landkreistagsverwaltungsdirektor Klee begrüßen. Seinen Angaben zufolge haben
sich die erhöhten Wertgrenzen – bis zu einer Million Euro bei beschränkten
Ausschreibungen – bewährt. Es sei zu keinen höheren Kosten gekommen, und es habe keine Verfahrensbeschwerden gegeben. Förmliche Verfahren, die teurer und bürokratischer seien, würden so vermieden.
Dagegen warnt Gemeindetagsreferent Ruf vor einem Fortbestand der erhöhten Wertgrenzen. Insbesondere die Grenze von 100.000 Euro bei der freihändigen Vergabe
sei deutlich zu hoch gegriffen. Er sorge sich um den Wettbewerb. Städtetagsdezernent Mauch empfiehlt, die Wertgrenzen der VOB, die ab Januar 2012 gelten, automatisch
an die Preissteigerungsrate anzupassen.
Zu einer völligen Abschaffung von Wertgrenzen rät Brigitta Trutzel von der Auftragsberatungsstelle Hessen. Die Juristin verweist auf eine Untersuchung des Bundesrechnungshofs. Danach werden 80 Prozent aller öffentlichen Aufträge
freihändig vergeben. „Man kann nicht gegen den Strom schwimmen“, warnt sie. Ihrer Ansicht nach genügen die EU-Schwellenwerte. Wichtiger sei, dass die öffentliche
Hand durch Interessensbekundungen für Transparenz sorge.
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