Die Initiative der EU-Kommission geht auf einen Antrag des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zurück, der allerdings darauf gerichtet war, die Stromerzeugung in Deutschland insgesamt vom Vergaberecht freizustellen. In diesem Umfang ist die Kommission dem BDEW nicht gefolgt. Was genau ist also freigestellt?
Freigestellt hat die Kommission nur „Aufträge, die von Auftraggebern vergeben werden und die die Erzeugung und den Erstabsatz von aus konventionellen Quellen erzeugtem Strom“ in Deutschland ermöglichen sollen. Unter dem Begriff „aus konventionellen Quellen erzeugter Strom“ versteht die EU-Kommission Strom, der nicht unter das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) fällt. Für viele Branchen der Energieversorgung, insbesondere die EEG-Stromerzeugung beziehungsweise den EEG-Großhandel, ändert sich daher nichts.
Die EU-Kommission begründet die Ungleichbehandlung damit, dass die Hersteller von EEG-Strom dem Wettbewerb nicht ausgesetzt sind, da sie den EEG-Strom unabhängig vom herrschenden Marktpreis einspeisen können. Aufgrund des Einspeisevorrangs können sie außerdem alle von ihnen erzeugten Mengen absetzen. Die Erzeugung und der Erstabsatz von EEG-Strom sind nach Ansicht der Kommission Teil eines regulierten Systems, in dem die Erzeuger eine Vergütung auf der Basis einer gesetzlich festgelegten Zahlung erhalten.
Die Freistellung wirft zahlreiche neue und zurzeit noch ungeklärte Fragen auf. Darunter vor allem: Wie ist Strom aus konventionellen Quellen trennscharf von EEG-Strom abzugrenzen? Eindeutig ist dies nur bei Aufträgen für konventionelle Kraftwerke, wie etwa Kohle- oder Gaskraftwerke. Bei „gemischten“ Kraftwerken und Übertragungsnetzen beziehungsweise -leitungen ist künftig auf den Hauptgegenstand des Auftrags abzustellen.
Weitere Fragen wie zum Beispiel die Einordnung von Pumpspeicherkraftwerken müssen noch geklärt werden. Zu definieren bleibt außerdem, welche Maßnahmen die Energieversorgung „ermöglichen“. So müssen Aufträge im Bereich der konventionellen Energieerzeugung ein weiteres Kriterium erfüllen: Sie müssen die Energieversorgung und den Erstabsatz „ermöglichen“. Während dies bei Bauaufträgen und Wartungsverträgen für ein konventionelles Kraftwerk ohne Weiteres der Fall ist, ist es beim Bau eines Bürogebäudes für ein Energieversorgungsunternehmen oder bei Aufträgen, die Leistungen für ein Unternehmen oder einen Konzern betreffen, der nicht nur im Bereich der Stromerzeugung tätig ist, weniger eindeutig zu beantworten.
Im Ergebnis gilt damit das, was man mittlerweile routinemäßig bei nahezu jeder Rechtsänderung sagen kann: Viele Einzelfragen sind noch ungeklärt und werden zumindest zu Beginn noch zahlreiche praktische Probleme bei der Anwendung der Freistellung auslösen. Oftmals wird es darauf ankommen, den Hauptgegenstand eines Auftrags sauber abzugrenzen und überzeugend darzulegen, warum eine bestimmte Beschaffung die Erzeugung oder den Erstabsatz von Strom ermöglicht.
Erheblich zur Rechtsklarheit trägt der Durchführungsbeschluss dagegen bezüglich der Einordnung der „großen Vier“ im Energiesektor bei. Im Rahmen der Würdigung wird nämlich klargestellt, dass RWE und Eon nach Auffassung der Kommission keine Sektorenauftraggeber im Sinne des Vergaberechts (mehr) sind, da sie weder öffentlich beherrscht noch auf der Grundlage besonderer oder ausschließlicher Rechte tätig sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die im Beschluss nicht erwähnten EnBW und Vattenfall wegen ihrer öffentlichen Beherrschung nach Auffassung der Kommission nach wie vor zur Anwendung des Vergaberechts verpflichtet sind.
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