Oberhalb der EU-Schwellenwerte müssen vor der Zuschlagserteilung die Bieter informiert und eine Wartefrist eingehalten werden. Das ergibt sich aus § 134 GWB. Aber gilt das auch ohne entsprechende Regelung unterhalb der EU-Schwellenwerte? Nach Auffassung des OLG Düsseldorf schon.
Was war passiert?
Das OLG Düsseldorf entschied über einen Fall, in dem eine Gemeinde (spätere Antragsgegnerin) einem Förderverein das Gelände eines ehemaligen Freibads zur weiteren Bewirtschaftung und zum Betrieb als Sport- und Freizeitanlage überlassen wollte. Der Förderverein sollte nach dem Überlassungsvertrag die vorhandenen Freizeitanlagen ausbauen, erhalten und der Öffentlichkeit im Wesentlichen unentgeltlich zur Verfügung stellen. Ein Vergabe- oder Bieterverfahren wurde nicht durchgeführt.
Dagegen wandte sich auf dem Zivilrechtsweg ein Unternehmen aus Österreich (spätere Antragstellerin), das nach eigenen Angaben selbst Sport- und Freizeitanlagen betreibt und ebenfalls Interesse an dem Überlassungsvertrag gehabt hätte. Das österreichische Unternehmen beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung beim zuständigen Landgericht mit dem Ziel, den Vertragsschluss zu verhindern. Das österreichische Unternehmen argumentierte, dass die Gemeinde (Antragsgegnerin) vor Abschluss des Überlassungsvertrages ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren (Bieterverfahren) hätte durchführen müssen. Der Vertrag wurde aber schon vor dem Erlass der einstweiligen Verfügung geschlossen. Das Landgericht hatte auch deshalb den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen. Im Berufungsverfahren gegen die Entscheidung des Landgerichts hatte das OLG Düsseldorf über die Sache zu entscheiden.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf wies die Berufung gegen die Entscheidung des Landgerichts zurück, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unzulässig war. Der Antragstellerin hatte nach Auffassung des OLG Düsseldorf nicht hinreichend glaubhaft gemacht, ein eigenes Interesse am Vertragsschluss zu haben. Das OLG Düsseldorf ging vielmehr davon aus, dass das Interesse am Vertrag nur „vorgeschoben“ war, um das Projekt zu verhindern. Nach Auffassung des Gerichts ging es der Antragstellerin nur darum, die Interessen eines mit der Antragstellerin eng verbundenen Anwohners zu wahren, der schon in der Vergangenheit durch einen Angriff auf den Bebauungsplan den Betrieb der Freizeitanlage verhindern wollte. Es fehlte insofern am Rechtsschutzinteresse.
In der Sache gab das OLG Düsseldorf der Antragstellerin aber insoweit recht, als dass die Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens erforderlich gewesen wäre. Denn bei der Überlassung des Grundstücks handele es sich um eine Dienstleistungskonzession, weil der öffentliche Auftraggeber Dienstleistungen in Form von Freizeitmöglichkeiten für seine Bürgerinnen und Bürger beschafft, wobei die Verwaltung und Instandhaltung der Anlage durch den Betreiber erfolgt. Dabei trägt der Betreiber auch das Betriebsrisiko, was Voraussetzung für eine Dienstleistungskonzession ist. Zwar bewege sich der Sachverhalt unterhalb der EU-Schwellenwerte und unterhalb einer Binnenmarktrelevanz. Der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) erfordere aber derartige Verträge in einem transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren zu vergeben.
Bei Verstößen gegen die Pflicht, ein solches Verfahren durchzuführen, kann grundsätzlich auf dem Zivilrechtsweg ein Zuschlagsverbot durch eine einstweilige Verfügung erlangt werden. Ist der Vertragsschluss aber wie im Ausgangsfall schon geschehen, fehlt es regelmäßig am Verfügungsgrund.
Etwas Anderes gelte aber dann, wenn der geschlossene Vertrag unwirksam oder nichtig ist. Der geschlossene Vertrag war aber weder nach § 138 BGB aufgrund Sittenwidrigkeit (kollusives Zusammenwirken) nichtig, noch aufgrund einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 BGB) unwirksam. Eine Vertragsnichtigkeit hat das OLG Düsseldorf aber unter dem Blickwinkel der Informations- und Wartepflichten für möglich gehalten: Die Antragsgegnerin hatte die Antragstellerin nicht über den bevorstehenden Vertragsschluss informiert und keine angemessene Wartefrist vor der Zuschlagserteilung eingehalten. Zwar erkannte das OLG Düsseldorf, dass die Einhaltung einer Informations- und Wartefrist unterhalb der EU-Schwellenwerte nicht geregelt sei. Der effektive und vollständige Schutz gegen Willkür eines öffentlichen Auftraggebers spräche als gewichtige Gründe aber dafür, auch im Unterschwellenbereich die Einhaltung einer Informations- und Wartepflicht zu verlangen. Der effektive Rechtsschutz führe insofern dazu, dass ein unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag gemäß § 134 BGB wegen „Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz“ als nichtig eingestuft werde.
Diese Erwägungen spielten im Ausgangsfall aber keine Rolle, weil der Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen des fehlenden Rechtsschutzinteresses schon unzulässig war. Das Oberlandesgericht war überzeugt, dass das Interesse der Antragstellerin am Auftrag nur „vorgeschoben“ war.
Praxistipp
Auf die Ausführungen des OLG Düsseldorf zur Informations- und Wartepflicht kam es in dem zu entscheidenden Fall nicht an, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unzulässig war. Diese „nebenbei“ gemachten Ausführungen des OLG Düsseldorf (sog. „obiter dictum“) haben aber große Wellen geschlagen und sind auf breite Kritik bei Vergabepraktikern gestoßen. Öffentlichen Auftraggebern war nach dieser Entscheidung auch ganz ohne gesetzliche Regelung dazu zu raten, den Zuschlag anzukündigen und eine „angemessene“ Wartefrist einzuhalten. Anderenfalls war die Vertragsnichtigkeit zu befürchten.
Die Rechtsprechung aus jüngerer Zeit hat das aber korrigiert. So hat etwa das KG Berlin mit Urteil vom 07.01.2020 (9 U 79/19) klargestellt, dass es außerhalb des Anwendungsbereichs des Kartellvergaberechts keine generelle den Vorgaben des § 134 GWB entsprechende Informations- und Wartepflicht gibt. Auch § 46 UVgO sieht nur eine nachträgliche Information über die Zuschlagserteilung vor. Eine Informations- und Wartepflicht kann sich im Einzelfall aber aus dem Landesrecht (so z.B. in Thüringen [§ 19 Abs. 1 Thüringer Vergabegesetz – ThürVgG] und Sachsen-Anhalt [§ 19 Abs. 1 Landesvergabegesetz Sachsen-Anhalt – LVG LSA]) ergeben oder europarechtlich begründet sein, wenn der Auftrag Binnenmarktrelevanz (eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse am Auftrag) aufweist. Eine „automatische“ Nichtigkeit gibt es aber selbst dann nicht. In die gleiche Richtung geht die Entscheidung des OLG Celle (Urteil vom 09.01.2020, 13 W 56/19), die auf dieser Plattform ebenfalls besprochen wird.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.12.2017, 27 U 25/17
Dr. Corina Jürschik, LL.M. ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mbB in Stuttgart. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe tätig. Sie unterstützt Bieter und Bewerber in Vergabeverfahren bei der Wahrung ihrer Rechte und berät öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren.
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