Bei der elektronischen Angebotsabgabe kann einiges schiefgehen: Überlastete Leitungen, Software- und Hardwarefehler sind nur einige Beispiele für Probleme bei der Angebotsabgabe. Wenn sich Bieter also im Vergabeverfahren durchsetzen wollen, müssen sie immer öfter eine gewisse IT-Grundkompetenz und Sorgfalt an den Tag legen. So hat das auch die VK Sachen in einer aktuellen Entscheidung gesehen.
Was war geschehen?
Der Auftraggeber und spätere Antragsgegner schrieb die Durchführung von Rettungsdiensten europaweit in einem offenen Verfahren aus. Ein Unternehmen (spätere Antragstellerin) wollte auf diese Leistungen ein Angebot abgeben und hatte am Tag vor Ablauf der Angebotsfrist begonnen, das Angebot auf der Bieterplattform hochzuladen. Dabei kam es zu technischen Problemen, die Übermittlung des Angebots wurde u.a. automatisch gegen 22 Uhr von der Vergabeplattform abgebrochen. Das zuständige Personal im Unternehmen war davon ausgegangen, dass das Hochladen gestartet wurde und war nach Hause gegangen. Die Angebotsfrist wurde für das Unternehmen schließlich um ein Zeitfenster von vier Stunden verlängert, nachdem es den Vorgang beanstandete. Das Unternehmen konnte aber auch dieses Mal das Angebot nicht vollständig einreichen; nach mehreren Stunden waren erst 60% übertragen. Erst über einen anderen Rechner und eine andere Datenleitung konnte das Angebot vollständig übermittelt werden, allerdings nach Ablauf der Nachfrist zur Angebotsabgabe. Die Vergabestelle informierte das Unternehmen deshalb, dass ihr Angebot nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV ausgeschlossen wurde. Nach Auffassung der Vergabestelle trage ein Bieter das Wege- und Übermittlungsrisiko einschließlich der Fehlfunktion der bieterseitigen IT-Infrastruktur. Andere Bieter hatten rechtzeitig Angebote hochladen können. Nach erfolgloser Rüge erhob das Unternehmen einen Vergabenachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Sachsen, um die Wertung unter Berücksichtigung des eigenen Angebots zu wiederholen.
Entscheidung der VK Sachsen
Ohne Erfolg! Die Vergabekammer wies den Vergabenachprüfungsantrag zurück. Nach Auffassung der Vergabekammer sei der Angebotsausschluss gem. § 57 Abs.1 Nr. 1 VgV aufgrund des nicht fristgerechten Angebotseingangs auf der Vergabeplattform rechtmäßig. Eine Ausnahme von § 57 Abs.1 Nr. 1 VgV könne nur angenommen werden, wenn der Bieter die dazu führenden Umstände nicht zu vertreten hat.
Zwar arbeitete die Vergabekammer heraus, dass es bei technischen Schwierigkeiten darauf ankommt, wessen Sphäre die Schwierigkeiten zuzuordnen sind. Die Vergabekammer stellt insofern klar, dass Schwierigkeiten auf Auftraggeberseite nicht zu Lasten der Bieter gehen dürften. Demgegenüber trage ein Bieter aber das Übermittlungsrisiko und das Risiko des rechtzeitigen Zugangs. Deshalb müsse ein Bieter sein Angebot so rechtzeitig vor Fristablauf auf den Weg bringen, dass es bei der vorgesehenen Stelle eingehen kann.
Für die Frage, ob ein Bieter die Verspätung seines Angebots nicht verschuldet hat, antwortet die Vergabekammer mit § 276 BGB. Danach handelt vorsätzlich (und damit schuldhaft), wer bei der Teilnahme an einem Vergabeverfahren die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Vergabestellen müssen sich insofern darauf verlassen können, dass Bieter die notwendigen Vorkehren treffen, um eine form- und fristgerechte Angebotsabgabe sicherzustellen.
Die Vergabekammer hatte Zweifel, ob das Unternehmen diesem Sorgfaltsmaßstab gerecht wurde. Es sei „mindestens bedenklich“, wenn man einen entscheidenden technischen Prozess wie das Hochladen eines Bieterangebotes, hinter dem ein wirtschaftliches Volumen im zweistelligen Millionenbereich stehe, über mehrere Stunden bzw. eine Nacht lang sich selbst überlasse. Von dem Unternehmen hätte man verlangen können, dass es sich technische Hilfe sucht.
Nach Auffassung der Vergabekammer spreche auch viel dafür, dass die Vergabestelle eine funktionstüchtige Vergabeplattform zur Verfügung gestellt und damit ihre Pflichten erfüllt hat: Im fraglichen Zeitraum konnten mehr als 100 Angebote ohne Beanstandungen über den Server abgewickelt werden. Es sei Aufgabe des Bieters, dafür zu sorgen, dass seine Hard- und Software korrekt installiert sei und aktuell gehalten werde.
Ebenso habe der Bieter sicherzustellen, dass seine allgemeine Netzwerkumgebung und Internetverbindung leistungsfähig ist, um die erforderliche Datenmenge zu transportieren und im erforderlichen Maß mit der Vergabeplattform zu kommunizieren. Der Verantwortungsbereich des Bieters beginnt und endet dort, wo die Daten seinen technischen Einflussbereich betreten bzw. verlassen.
Praxishinweis
Die Entscheidung führt vor Augen, dass bei der elektronischen Angebotsvergabe eine gewisse IT-Grundkompetenz sowie Sorgfalt erforderlich ist. Um die elektronische Angebotsabgabe sicher zu bewerkstelligen, sollten Bieter einen ausreichenden Zeitpuffer für die elektronische Angebotsabgabe einplanen, im Vorfeld geeignete Rahmenbedingungen schaffen (stabile und leistungsfähige Internetleitung, Abschluss von etwaigen Software-Updates) und bei der Datensicherung sehr sorgfältig vorgehen. Die von Vergabeplattformen regelmäßig angebotene technische Unterstützung sollte frühzeitig in Anspruch genommen werden.
Zu große Dateien sollten wegen Störanfälligkeit bei der Datenübertragung nach Möglichkeit von vorn herein vermieden werden; die Vorgaben des Plattformbetreibers (u.a. zum Datenvolumen) sind penibel zu beachten. Schon bisher geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein Bieter mit Problemen bei der elektronischen Angebotsabgabe rechnen muss (vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.03.2017, 15 Verg 2/17).
Bemerkenswert sind außerdem die Aussagen der Vergabekammer zur Einreichung von Rügen: Der Rechtsschutz vor den Vergabenachprüfungsinstanzen darf nicht erschwert werden. So darf eine Vergabestelle nicht vorgeben, dass Rügen nur über die jeweilige Vergabeplattform (z.B. „Bietercockpit“) eingereicht werden können. Die Vergabekammer weist zurecht darauf hin, dass § 160 Abs. 3 GWB keine Formvorgaben für Rügen mache. Rügen sind deshalb in jeder Form möglich. Bietern sollten aber für die Rüge einen Kommunikationsweg wählen, der einen Nachweis über die Existenz der Rüge und den Zugang der Rüge beim öffentlichen Auftraggeber zulässt (z.B. Fax, E-Mail etc.). Mündliche Rügen eignen sich daher nicht.
Quelle: VK Sachsen, Beschluss vom 27.02.2020, 1/SVK/041-19
Dr. Corina Jürschik, LL.M. ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mbB in Stuttgart. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe tätig. Sie unterstützt Bieter und Bewerber in Vergabeverfahren bei der Wahrung ihrer Rechte und berät öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren.
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