Es war zu erwarten, dass sich die Rechtsprechung in vielerlei Hinsicht mit der Pflicht zur elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen beschäftigen muss. Aus diesem Grunde widmet sich auch Teil 6 unserer Serie erneut der aktuellen Rechtsprechung.
Ein Auftraggeber, der europaweit im offenen Verfahren einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Schreibtischen ausschrieb, verstieß nach der Auffassung der 2. Vergabekammer des Bundes gleich in mehrfacher Hinsicht gegen die Vorgabe gemäß § 41 Abs. 1 VgV, die Vergabeunterlagen unter der angegebenen elektronischen Adresse „vollständig und direkt“ bereitzustellen (VK Bund, Beschl. v. 19.07.2018 – VK 2-58/18, nicht bestandskräftig).
In der Rubrik III.1.3) „Technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ der EU-Auftragsbekanntmachung hatte der Auftraggeber einen weiteren Link zum Abruf von Lieferbedingungen angegeben. So wären nach der Kammer gerade nicht alle Vergabeunterlagen „vollständig“ unter dem – eigentlich dafür vorgesehenen – Link aus Ziff. I.3) der EU-Auftragsbekanntmachung zur Verfügung gestellt worden. Zudem läge ein weiterer Fehler darin, dass diese andere Internetadresse in der Rubrik der bieterbezogenen Eignungsvorgaben – mit den Worten der Kammer – „versteckt“ worden sei.
Es kamen weitere Aspekte hinzu, deren Darstellung an dieser Stelle – für das Verständnis von Sinn und Zweck der Pflicht zur „direkten“ Bereitstellung – hilfreich sind und die nach der Auffassung der Kammer gegen § 41 Abs. 1 VgV verstoßen:
Die vorgenannte Sachverhaltskonstellation zeigt, dass es in dem Verfahren eines hohen Aufwandes bedurfte, um wirklich alle Vergabeunterlagen zu erlangen. Dies widerspricht aber Sinn und Zweck von § 41 Abs. 1 VgV, es dem Bieter zu ermöglichen, ohne wesentliche Zwischenschritte und ohne wesentlichen Zeitverlust mit elektronischen Mitteln an die Vergabeunterlagen zu gelangen.
Gerade die Angabe eines Surface Links in der EU-Auftragsbekanntmachung, also ein Verweis auf die Eingangsseite der Internetpräsenz des Auftraggebers, kann in der Praxis häufiger beobachtet werden. Auftraggeber müssen hier ein besonderes Augenmerk darauf richten, dass es vergaberechtlich unzulässig ist, wenn sich Bieter erst aufwendig „durchklicken“ müssen, um die vollständigen Unterlagen zu erlangen. Der rechtssichere Weg ist der Verweis als Deep Link direkt auf die Vergabeunterlagen.
Der Beitrag ist Teil einer Serie zum Thema der eVergabe. Schritt für Schritt soll den Leserinnen und Lesern so der Einstieg in die Materie ermöglicht werden. In Abgrenzung zu den hier in Teil 6 dargestellten Rechtsfragen wird in einem der nächsten Beiträge die Zulässigkeit der Bekanntmachung und Benennung von Eignungskriterien über eine Linksetzung thematisiert.
Über den Autor:
Patrick Thomas ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht in der Sozietät HFK Rechtsanwälte LLP und Teil des standortübergreifenden Fachteams für Vergaberecht. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der vergaberechtlichen Beratung von Auftraggebern und Bietern aus der Bau- und der Versorgungswirtschaft. Erst kürzlich ist im Verlag C.H.Beck das Werk „eVergabe“ aus der Reihe PraxisWissen Vergaberecht erschienen. In diesem von Patrick Thomas mitherausgegebenen Werk wird das Thema eVergabe umfassend erläutert.
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