Unter Kommunalvertretern herrscht Klärungsbedarf. Dietmar Ruf vom Gemeindetag Baden-Württemberg etwa zweifelt, dass „die EU auch für Unterschwellenvergaben, also für circa 97 Prozent der Vergaben vor allem im kommunalen Bereich, zuständig ist“. In den Papieren der EU ist zwar die Rede davon, dass ihren Vorschlägen für eine E-Vergabe das Subsidiaritätsprinzip zugrunde liege.
Zugleich aber schlägt sie für „sämtliche Vergabeverfahren“ eine Reihe von Maßnahmen vor, die künftig ausschließlich elektronisch erfolgen sollen: So sollen etwa Bekanntmachungen und Auftragsunterlagen auf diese Weise übermittel werden. Die Kommunikation soll ausschließlich elektronisch abgewickelt werden. Und die Bieter sollen ihre Antragsunterlagen elektronisch einreichen können. Umgesetzt werden soll all dies innerhalb eines Übergangszeitraums von zwei Jahren (KOM (2011) 896, Seite 10).
Auf Anfrage des Staatsanzeigers stellt die EU-Kommission klar: ihre Vorschläge würden sich auf Vergabeverfahren oberhalb der EU Schwellenwerte beziehen. Von einem praktischen Standpunkt aus gesehen, hält es die Kommission jedoch für sinnvoll, die E-Vergabe-Systeme sowohl für Vergaben oberhalb als auch unterhalb der EU-Schwellenwerte zu nutzen. In vielen Fällen sei es sinnvoll, gemeinsame Konzepte zu haben. Dies sei besser, als die Systeme am Wert des Einkaufs auszurichten, teilt eine Sprecherin der EU-Kommission mit. Die nicht legislativen Maßnahmen, die die EU in ihrem Papier „Eine Strategie für die E-Vergabe“ vorschlägt, zielen also auch auf Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte.
Im Finanz- und Wirtschaftsministerium in Stuttgart zeigt man sich unbeirrt. „Die Anwendung der EU-Vergaberichtlinien – wird wie schon bisher – auch in Zukunft auf Aufträge oberhalb der EU-Schwellenwerte begrenzt sein“, wie ein Sprecher dem Staatsanzeiger mitteilt. Dies umfasst Liefer- und Dienstleistungen ab 200 000 Euro und Baumaßnahmen ab fünf Millionen Euro. Absichten der EU-Kommission, die E-Vergabe auch unterhalb der Schwellenwerte verpflichtend zu machen, sind im Ministerium nicht bekannt. „Auf eine Regelungskompetenz der EU für diesen Bereich kommt es deshalb aus unserer Sicht nicht weiter an“, so der Sprecher. Doch sollten die angesprochenen Regelungen zur verbindlichen Vergabe in Kraft treten, würden sie auch für Kommunen gelten, soweit sie Aufträge vergeben, deren Wert oberhalb der EU-Schwellenwerte liegen. „Angesichts des mit der Einführung der E-Vergabe verbundenen Aufwands wird es sich für die öffentlichen Auftraggeber dann aber wohl aufdrängen, in der Praxis die Vorteile dieses Verfahrens auch im großen Bereich der Aufträge unterhalb der EU-Schwelle zu nutzen“, empfiehlt das Ministerium.
Auch Heide Rühle (Grüne), die im Europa-Parlament im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz ist, stellt klar, dass die EU – und damit auch die EU-Kommission – „keine Kompetenz für die Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwerte“ habe. Laut Rühle sei es aber zu begrüßen, dass die Kommission für die Einführung der elektronischen Vergabe „endlich Verantwortung übernimmt“. „Die Erfahrungen aus allen Ländern mit hohem Anteil an der E-Vergabe beziehungsweise vollständiger Umstellung zeigen, dass sich damit Kosten und Zeitaufwand senken lassen“, sagt Rühle. Auch die Rechtssicherheit werde laut Rühle gestärkt. Es komme zu weniger Fehlern und die Transparenz werde verbessert. Ebenso werde es für kleine und mittlere Unternehmen einfacher.
Rühle hält jedoch Hilfen bei der Umstellung für nötig, um die Systeme und Plattformen bei der E-Vergabe „kompatibel“ zu machen. Allerdings sei der Zeitplan der EU-Kommission dafür unrealistisch: „Ich bin für vier statt zwei Jahre Übergangszeit“, so Rühle.
Nach Ansicht von Kommunalvertretern wie Ruf könnten vor allem die kleinen Gemeinden die E-Vergabe nicht so einfach umsetzen. „Die EU kann vielleicht Grundsätze vorgeben, aber nicht detaillierte Verfahren vorschreiben“, sagt er. Unter den EU- Schwellenwerten habe sie keine Regelungsbefugnis.
Wollten alle unsere rund 1100 Gemeinden in Baden-Württemberg die E-Vergabe umsetzen, dann müsste auch der Mittelstand, sämtliche kleinen Handwerker vor Ort, mitziehen, so Ruf. Das könne er sich kaum vorstellen. Doppelt gleich nicht, wenn es parallel noch Ausschreibungen in Papierform geben sollte. Zudem fehlten technische Grundlagen und Fachkenntnisse in den Gemeinden. Bevor man die E-Vergabe einführe, sei eine bundesweite Diskussion nötig.
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