Der Zuschlag darf erst erteilt werden, wenn die durch das Informationsschreiben nach § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB ausgelöste Wartefrist abgelaufen ist. Die VK Sachsen musste nun entscheiden, ob auch das Versenden eines Informationsschreibens über eine elektronische Vergabeplattform (hier AI-Vergabemanager) ausreichend ist, um die Wartefrist auszulösen. Dabei hatte die Vergabekammer insbesondere die Frage zu klären, ob die verkürzte Wartefrist (10 Tage) greift. Das ist der Fall, wenn die Informationsschreiben in Textform ist und „elektronisch“ versendet wird. Im konkreten Fall hat das die Vergabekammer bejaht und die Nachricht über die Vergabeplattform den herkömmlichen Übermittlungsformen Telefax und E-Mail gleichgestellt. Nun besteht Klarheit.
Was war geschehen?
Der öffentliche Auftraggeber hat europaweit über ein offenes Verfahren Montageleistungen im Zusammenhang mit dem Abbruch eines Universitätsgebäudes ausgeschrieben. Die Antragstellerin gab fristgerecht ein Angebot ab und lag nach der Submission auf dem ersten Rang. Das Angebot der Antragstellerin wurde aber ausgeschlossen, weil sie die Eignungsvorgaben nicht erfüllte. Das teilte ihr der Auftraggeber mit Informationsschreiben vom 20.11.2020 mit.
Das Informationsschreiben wurde vom Auftraggeber am 20.11.2020 (16:40 Uhr) aus dem AI Vergabemanager an das Bieter-Postfach des von der Antragstellerin verwendeten Programms „Bietercockpit“ versandt. Nach Eingang der Nachricht im Bieter-Postfach hat die Antragstellerin um 16:42 Uhr eine automatisch generierte E-Mail an die von ihr im Vergabeverfahren angegebene E-Mail-Adresse mit der Information erhalten, dass im Bieter-Postfach „Bietercockpit“ bzw. auf der Vergabeplattform neu eingestellte Informationen zum Vergabeverfahren vorliegen. Die Antragstellerin hat das Informationsschreiben am 20.11.2020 (17:28 Uhr) heruntergeladen. In dem Informationsschreiben wurde die Zuschlagserteilung für den 01.12.2020 angekündigt.
Die Antragstellerin rügte am 26.11.2020 den Ausschluss aus dem Vergabeverfahren, was der Auftraggeber am 30.11.2020 zurückwies. Am 01.12.2020 erfolgte der Zuschlag an einen anderen Bieter.
Die Antragstellerin stellte am 02.12.2020 einen Nachprüfungsantrag bei der VK Sachsen und wendete sich zunächst gegen den Ausschluss ihres Angebotes aus dem Vergabeverfahren. Nachdem der öffentliche Auftraggeber ihr am 02.12.2020 mitgeteilt hatte, dass die Wartefrist am 01.12.2020 abgelaufen sei und der Zuschlag wirksam am 01.12.2020 erteilt wurde, machte sie geltend, dass der geschlossene Vertrag nach §§ 135, 134 Abs. 2 GWB unwirksam sei.
Die Sicht der Antragstellerin (Unternehmen)
Für die Unwirksamkeit trug die Antragstellerin vor, dass die Informations- und Wartepflicht nach § 134 Abs. 2 GWB noch nicht abgelaufen sei. Danach dürfe ein Vertrag erst 10 Kalendertage nach der elektronischen Absendung der Information geschlossen werden. Diese verkürzte Frist gelte vorliegend aber nicht, weil das Informations- bzw. Absageschreiben nur in das Bieterportal eingestellt worden sei, nicht jedoch direkt an die Antragstellerin versendet worden ist; nach dem Wortlaut des § 134 Abs. 1, Abs. 2 GWB sei ein Bieter direkt zu benachrichtigen. Die Vergabeplattform liege nicht im Machtbereich der Antragstellerin. Das Absenden der Vorinformation an die Vergabeplattform genüge den Anforderungen des § 134 GWB deshalb nicht. Die Vergabeplattform sei vielmehr „eine dritte Stelle“, welche an den Vergabeverfahren nicht beteiligt gewesen sei. Es sei deshalb nicht zu einer wirksamen Zustellung gekommen. Zudem habe der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegt, dass die Kommunikation nach Angebotsabgabe nur schriftlich oder in Textform erfolgen dürfe. Diesen Erfordernissen genüge die Kommunikation über die Vergabeplattform nicht.
Die Ansicht des öffentlichen Auftraggebers (Antragsgegner)
Der öffentliche Auftraggeber sah das anders. Nach seiner Auffassung wurde der Zuschlag wirksam erteilt; der Vertrag sei deshalb nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam. Insbesondere genüge das Versenden von Nachrichten über die verwendete Vergabeplattform (hier E-Vergabe-Technologie der AI Administration Intelligence AG, bestehend aus dem „Vergabemanager“, der „Vergabeplattform“ und dem „Bietercockpit“) den Anforderungen an die Textform im Sinne des § 134 GWB. Textform bedeutet nur, dass nach § 126b BGB eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird.
Entscheidung der VK Sachsen
Die Vergabekammer Sachsen wies den Vergabenachprüfungsantrag als unzulässig zurück. Nach Auffassung der Vergabekammer wurde der Zuschlag wirksam erteilt. Der Nachprüfungsantrag wurde deshalb verworfen.
Zur Begründung führte die Vergabekammer aus, dass das streitgegenständliche Informationsschreiben dem Textformerfordernis genüge und vom Auftraggeber im Sinne des § 134 Abs. 2 GWB elektronisch versendet wurde. Es galt deshalb die verkürzte 10-tägige Wartefrist. Diese sei auch eingehalten worden, sodass der Zuschlag wirksam am 01.12.2020 erteilt werden konnte. Der Nachprüfungsantrag war dementsprechend zu spät. Andere Gründe für die Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der Zuschlagserteilung konnte die Vergabekammer nicht feststellen.
Die Vergabekammer führte aus, dass es zum Ingangsetzen der Frist nach § 134 Abs. 2 GWB darauf ankomme, dass die Absendung durch den Auftraggeber erfolgt und dass die vorgeschriebene Textform gewahrt wird (Wortlaut). Auf den Zugang komme es für die Fristberechnung hingegen nicht an. Die Vergabekammer hebt hervor, dass die verwendete Plattform „AI-Vergabemanager“ das Versenden von Nachrichten im Rahmen der Bieterkommunikation ermöglicht und der Vergabemanager mittels Schnittstellen mit der Vergabeplattform verbunden sei.
Die Software ermögliche ein Versenden von personalisierten Anschreiben an bestimmte Bieter, auf die die Bieter nach einer entsprechenden Registrierung und dem Einloggen in ihrem kennwortgeschützten Bereich Zugriff haben. Sind neue Nachrichten vorhanden, wird dies ähnlich wie bei einem anderen Benutzerkonto dem jeweiligen Bieter angezeigt. Der Auftraggeber hat auf den Bieterbereich auch keinen Zugriff, sodass eine einmal versendete Nachricht nicht „zurückgeholt“ werden kann.
Nach Auffassung der Vergabekammer sei durch das Versenden über die Plattform bzw. über den darin vorgesehenen Nachrichtendienst das Textformerfordernis des § 134 Abs. 1, Abs. 2 GWB i. V. m. § 126b BGB gewahrt. Erforderlich sei dafür nur, dass eine lesbare Erklärung abgegeben werde, in der die Person des Erklärenden genannt ist, und die dauerhaft auf einem Datenträger gespeichert ist. Ein dauerhafter Datenträger sei dabei jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben (§ 126b BGB). Danach reiche auch eine E-Mail aus. Wie der Empfänger die Nachricht dann konkret aufbewahrt, speichert oder ausdruckt, ist unwichtig. Dieser Anforderung genüge die Nachricht, die über die Vergabeplattform durch den öffentlichen Auftraggeber versendet worden ist. Bei dem technischen System sei auch ausgeschlossen, dass der Auftraggeber eine einmal versendete Nachricht nachträglich ändert oder löscht. Denn der Auftraggeber hat keinen Zugriff auf das Bieter-Postfach. Die Funktion steht also einer herkömmlichen E-Mail gleich.
Auch die weitere Voraussetzung des § 134 Abs. 2 GWB liege vor. Ein Absenden durch den öffentlichen Auftraggeber sei erfolgt. Es komme dafür darauf an, dass der öffentliche Auftraggeber ein bestimmtes Schriftstück aus seinem Herrschaftsbereich so herausgegeben hat, dass es bei bestimmungsgemäßem weiterem Verlauf der Dinge den Bieter erreicht. Bei einer E-Mail bedarf es dafür der Übermittlung an den Postausgang-Server. Die Ablage im Postausgang reiche insofern nicht. Entscheidend sei daher, dass die Nachricht den Machtbereich des Absenders verlässt und so elektronisch in Textform auf den Weg gebracht wird, dass sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Bei der verwendeten Vergabeplattform sei das schon durch das Absenden der Nachricht erfolgt. Dabei gehörten das Bieter-Postfach des „AI-Bietercockpits“ und der Bieterbereich der Vergabeplattform schon dem Machtbereich des Bieters an. Der Bieter lagere insofern seinen „Briefkasten“ zur Entgegennahme von Erklärungen im Vergabeverfahren auf die jeweilige Vergabeplattform aus. Für die Vergabekammer war kein Grund ersichtlich, das anders zu behandeln, als es bei E-Mails der Fall ist.
In elektronischen Vergabeverfahren werden nach und nach die sich stellende Anwendungsfragen geklärt. Die Entscheidung der Vergabekammer Sachsen trägt maßgeblich zu einem klareren Blick auf die Dinge bei: Die Entscheidung macht deutlich, dass die Einbindung von Vergabeplattformen bzw. entsprechenden Software-Diensten herkömmlichen Kommunikationsarten gleichgestellt sein kann. So ist die Vergabekammer zu dem naheliegenden Ergebnis gelangt, dass Nachrichten des öffentlichen Auftraggebers über die eingesetzte Vergabeplattform (AI-Vergabemanager) einer herkömmlichen E-Mail gleichzusetzen sind. Das hat dann zur Folge, dass die verkürzte Wartefrist des § 134 Abs. 2 GWB gilt. Ein Bieter ist deshalb gut beraten, von der verkürzten 10-Tages-Frist auszugehen und einen etwaigen Vergabenachprüfungsantrag schon vor Ablauf der verkürzten Frist einzureichen. Denn ist ein Zuschlag erst erteilt, ist ein etwaiger Vergabenachprüfungsantrag (mit wenigen Ausnahmen) unzulässig. Der Bieter hat dann keine Möglichkeit mehr, noch an den Auftrag zu kommen.
VK Sachsen, Beschluss vom 28.07.2021, 1/SVK/043/20
Dr. Corina Jürschik, LL.M. ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe tätig. Sie unterstützt Bieter und Bewerber in Vergabeverfahren bei der Wahrung ihrer Rechte und berät öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren.
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