Trotz des viel zitierten Klimawandels waren gerade die beiden vergangenen Winter hierzulande besonders streng. Dies führte bei Ländern und Kommunen, die für die Verkehrssicherungspflicht auf den deutschen Straßen verantwortlich sind, zu erheblichen Problemen. Denn in den vergangenen Jahren hatten viele Auftraggeber im Vertrauen auf mildere Winter auf die rechtzeitige Bildung von Tausalzreserven verzichtet. Kam der Frost, so wurde das benötigte Salz kurzfristig bestellt.
Kommunen haben Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen
In schnee- und eisreichen Wintern führte dies mangels ausreichender Tausalzkapazitäten dazu, dass die öffentliche Hand nur noch unter größten Anstrengungen ihrer Verkehrssicherungspflicht nachkommen konnte. Viele Kommunen konnten im Winter überhaupt kein Tausalz mehr beziehen.
Diese bisherige Beschaffungspraxis hat jetzt ein Ende gefunden. Mittlerweile versuchen die Auftraggeber, den Risiken bei der Tausalzvergabe in kalten Wintern durch geänderte Vergabe- und Vertragsbedingungen entgegenzuwirken. Die Hersteller und Lieferanten von Tausalz halten es wiederum für nötig, die Leistungsanforderungen klar zu definieren und abzugrenzen, um unvorhersehbare Risiken auch in extremen Wintern zu vermeiden.
Diesen Interessenkonflikt bei der Beschaffung von Tausalz hatte jüngst die Vergabekammer Baden-Württemberg zu beurteilen. Die Entscheidung, die zugunsten der Bieter fiel, ist auch vergaberechtlich interessant, weil der Begriff des „ungewöhnlichen Wagnisses“ näher definiert wurde.
Die Vergabekammer Baden-Württemberg hatte gleich in drei parallel gelagerten Fällen (Beschlüsse vom 3. Juni 2011, Aktenzeichen: VK 23/11, VK 24/11 und VK 25/11) über die Vorgaben für die Tausalzbeschaffungen zu entscheiden, zu denen sich mehrere öffentliche Auftraggeber zusammengeschlossen hatten. Alle drei Vergaben erfolgten im offenen Verfahren, in dem einseitige Änderungen der vom Auftraggeber aufgestellten Vorgaben genauso unzulässig sind wie Verhandlungen über Leistung und Vertragsinhalte. In allen drei Verfahren hatte die Vergabestelle das von der Witterung abhängige Mengenrisiko vollständig auf den zukünftigen Auftragnehmer verlagert. So waren für die zweijährige Vertragslaufzeit keine Mindest- oder Höchstmengen bestimmt. In Abhängigkeit vom konkreten Bedarf des Auftraggebers sollte der Auftragnehmer demnach unbegrenzt zur Lieferung von Tausalz verpflichtet sein. Und auch für die täglichen Lieferungen an die verschiedenen Lager des Auftraggebers waren keine Höchstmengen vorgegeben. Auf einen sogenannten Frühbezug, also die Einlagerung von Tausalz im Sommer, hatte die Vergabestelle verzichtet.
Die Vergabekammer entschied, dass eine derart weitgehende Risikoverlagerung ein ungewöhnliches Wagnis darstellt, welches den Bietern im Rahmen eines Vergabeverfahrens nicht übertragen werden darf. Zunächst stellte die Vergabekammer hierzu fest, dass das Verbot, den Bietern ungewöhnliche Wagnisse zu übertragen, auch nach Inkrafttreten der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A 2009) fortgilt, die diese Vorgabe nicht mehr explizit enthält. Ein ungewöhnliches Wagnis liegt nach Auffassung der Vergabekammer dann vor, wenn die – grundsätzlich zulässige – Risikoverlagerung auf den Auftragnehmer dazu führt, dass dieser nicht mehr vorausschauend planen kann und die Bedingungen der Leistungserbringung so unterschiedlich sein können, dass der Auftragnehmer dies auch nicht mehr durch entsprechende Risikozuschläge abfangen kann.
Die Vergabekammer hat auch die Tatsache gewürdigt, dass in den Vergabeverfahren lediglich sehr wenige Angebote eingegangen waren und auch seitens der Beigeladenen zugestanden wurde, dass die Leistung ein unkalkulierbares Risiko beinhalte, wenn die Vergabestelle bei extremen Witterungssituationen und allgemeiner Tausalzknappheit ihre vertraglich vorgesehenen Rechte ausübe. Der Beschluss der Vergabekammer bestätigt, dass öffentliche Auftraggeber auch nach Inkrafttreten der VOL/A 2009 bei der Risikoverteilung für die zu beschaffenden Leistung nicht vollständig frei sind.
Das Vergaberecht, das grundsätzlich „nur“ den Weg zum Auftrag, nicht aber dessen Inhalt regelt, setzt den Auftraggebern dort Grenzen, wo sie durch die Verlagerung von Risiken einen fairen Wettbewerb über die Partikularinteressen einzelner Bieter hinaus infrage stellen. Von der Vergabekammer wurde anerkannt, dass die Bieter die ihnen übertragenen Risiken nicht immer durch höhere Entgelte beherrschen können.
Vergabekammer schränkt öffentliche Auftraggeber ein
Das Verbot, Bietern ungewöhnliche Wagnisse zu übertragen, stellt somit eine angemessene Begrenzung des Rechts des öffentlichen Auftraggebers dar, Leistungsgegenstand und Vertragsinhalte weitgehend frei ausgestalten und im Vergabeverfahren vorgeben zu können. Die zivilrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit werden hierdurch für den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe sinnvoll ergänzt.
Zudem trägt dies dazu bei, dass Vergaben in einem fairen Wettbewerb erfolgen und marktgerechte Vertragsänderungen nicht erst nach Vertragsschluss mit dem Auftragnehmer ausgehandelt werden, wenn der öffentliche Auftraggeber während der Leistungserbringung feststellt, dass seine im Vergabeverfahren aufgestellten Vorgaben nicht praktikabel sind.
Auftraggebern ist vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen zu empfehlen, die vertragliche Risikoverteilung bei jedem Beschaffungsvorhaben unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse festzulegen. Dies dient nicht nur der Wahrung von Bieterrechten. Eine angemessene Risikoverteilung trägt zudem dazu bei, dass die Bieter in ihren Angeboten unnötige Risikoaufschläge vermeiden. Hiervon profitieren durch niedrigere Angebotspreise auch die Auftraggeber.
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