EuGH: Grundsätze gelten auch im Unterschwellenbereich

11.05.2015
Redaktion

Im Vergaberecht gelten unterhalb des Schwellenwerts nationale und oberhalb europäische Verordnungen. Der Europäische Gerichtshof hat sich trotzdem jüngst mit einem Fall befasst, der nicht europaweit ausgeschrieben war. Im Fokus stand grenzüberschreitendes Interesse.

Befasst man sich mit dem Vergaberecht, lernt man fast als Erstes, dass das Vergaberecht zweigeteilt ist. Es gibt einen EU-Schwellenwert, und erreicht ein voraussichtlicher Auftragswert diesen Schwellenwert, muss das in einem Bundesgesetz zu findende EU-Vergaberecht angewandt werden. Erreicht der geschätzte Auftragswert diesen Schwellenwert nicht, greift das jeweils für den Auftraggeber geltende Haushaltsrecht ein.

Etwas verwirrend ist für den Anfänger, dass sich am Ende des Wegs jeweils eine Regelung der Liefer- und Dienstleistungen (VOL/A) oder für Bauleistungen (VOB/A) findet. Aber das liegt daran, dass dort in zwei unterschiedlichen Abschnitten diese beiden unterschiedlichen Regelungskreise zu finden sind.

Unterhalb des Schwellenwerts geht es um Grundsätze des EU-Rechts

Nur auf den ersten Blick ist es dann unerklärlich, dass auch bei Unterschwellenvergaben – also Auftragswerten unterhalb des EU-Schwellenwertes – auch europäisches Recht anwendbar sein kann. Dabei geht es dann aber nicht um das gesamte formale EU-Vergaberecht, sondern nur um Grundsätze.

Dennoch kann das zusätzliche Komplikationen mit sich bringen. Zum einen gehört zu diesen Grundsätzen unter anderem eine ausreichende Publizität bis hin zur EU-weiten Bekanntmachung, und zum anderen kommt ein weiterer Beteiligter ins Spiel, nämlich der Europäische Gerichtshof (EuGH). Dies hat der EuGH erst kürzlich wieder deutlich gemacht (EuGH vom 16. April 2015, C 278/14) und dabei auch noch inhaltlich für eine kleine Überraschung gesorgt.

Entscheidend für die Anwendung der EU-rechtlichen Grundsätze ist bei Unterschwellenvergaben, ob ein grenzüberschreitendes Interesse an dem Auftrag besteht. Das klingt irgendwie vage, und tatsächlich ist die Feststellung eines solchen Interesses mit Unsicherheiten verbunden.

Schon bisher gab es gewiss greifbare Maßstäbe. Ein grenzüberschreitendes Interesse kann anhand des voraussichtlichen Auftragswerts geprüft werden: Wie hoch ist der voraussichtliche Auftragswert? Wie weit sind Auftragnehmer bereit dafür zu fahren, wie weit ist die nächste Grenze? Schon misslicher ist die Feststellung, dass aus dem Ausland kommende Angebote ein Beweis für grenzüberschreitendes Interesse sind – weil dies meist erst im Nachhinein festgestellt werden kann.

Der EuGH hat jetzt formuliert, dass auch die verlangte Lieferung eines Referenzprodukts einer internationalen Marke zu einem grenzüberschreitenden Interesse führen kann. In dem genannten Fall hatte der Auftraggeber die Lieferung eines Computers ausgeschrieben und verlangt, dass der Prozessor einem bestimmten Produkt der Firma Intel entsprechen müsse.

Fast jeder kann sich an die EU-Kommission wenden

Auf den ersten Blick ist schlüssig, dass dieser weltweit erhältliche Prozessor theoretisch auch von weltweit agierenden Auftragnehmern angeboten werden könnte. Leider nicht entschieden hat der EuGH die Frage, ob dies auch gilt, wenn der Auftraggeber den Computer abstrakt und ohne Nennung eines Produktes beschrieben hätte. Das hätte ja an dem angefragten Produkt und dessen weltweiter Verfügbarkeit nichts geändert.

Vielleicht sollte man den EuGH hier nicht zu sehr beim Wort nehmen. Dazu kommt, dass die Feststellung des grenzüberschreitenden Interesses bei den nationalen Gerichten erfolgt. Und die sind meist eher zurückhaltend mit der Annahme eines so weitreichenden Interesses.

Wie kommt aber der EuGH ins Spiel? Entweder hat das nationale Gericht doch ein grenzüberschreitendes Interesse bejaht und dem EuGH eine Frage vorgelegt. Oder es ist der viel kritischere Fall eines Vertragsverletzungsverfahrens. Mehr oder weniger jeder kann sich mit einer Beschwerde an die Europäische Kommission wenden und dort berichten, bei einer Vergabe sei gegen EU-Recht verstoßen worden. Die EU-Kommission ist in solchen Fälle relativ engagiert und verfolgt solche Verletzungen oft weiter, gegebenenfalls bis zum EuGH.

Bekommt sie dort auch noch Recht, hat dies für den betroffenen nationalen Auftraggeber sehr unangenehme Folgen. Er muss im Regelfall den Vertrag schnellstmöglich beenden – ganz egal, ob dies nach deutschem Recht geht oder nicht.

 

Mark von Wietersheim, Geschäftsführer Forum Vergabe, Berlin

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