Die detaillierten Regelungen des Vergaberechts geben vor, wie bei der Angebotsöffnung zu verfahren ist. Die Öffnung der Angebote wird danach von mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers gemeinsam an einem Termin unverzüglich nach Ablauf der Angebotsfrist durchgeführt. Das OLG Düsseldorf stellt nun ausdrücklich klar, dass sich der öffentliche Auftraggeber bei der Angebotsöffnung entweder von seinen Mitarbeitern oder von externen Beratern (z.B. Rechtsanwälte) oder einer Kombination von beidem vertreten lassen kann.
Was war geschehen?
Bei einer europaweiten Ausschreibung von Dolmetscherleistungen im offenen Verfahren reichten drei Bieter fristgerecht Angebote ein. Das erstplatzierte Angebot wurde jedoch ausgeschlossen, weil fehlende Unterlagen nicht innerhalb der für die Nachforderung gesetzten Frist eingereicht wurden. Der Zuschlag sollte deshalb auf das zweitplatzierte Angebot erfolgen. Das wollte die erstplatzierte Bieterin nicht hinnehmen und rügte sowohl den Ausschluss als auch die bevorstehende Zuschlagserteilung auf das zweitplatzierte Angebot.
Der öffentliche Auftraggeber half der Rüge nicht ab. Die erstplatzierte Bieterin reichte deshalb einen Vergabenachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein. Die Vergabekammer gab dem erstplatzierten Bieter Recht und gab dem öffentlichen Auftraggeber auf, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Ablauf der Frist für die Angebotsabgabe zurückzuversetzen und bei der Dokumentation des Vergabeverfahrens die Rechtsauffassung der Vergabekammer zu berücksichtigen. Die Vergabekammer war davon ausgegangen, dass auch aufgrund von Dokumentationsmängeln das Vergabeverfahren in das Stadium vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen sei. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde des öffentlichen Auftraggebers zum OLG Düsseldorf.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf
Die sofortige Beschwerde hatte teilweise Erfolg. Das OLG Düsseldorf hob die Entscheidung der Vergabekammer auf und untersagte jedoch zugleich dem öffentlichen Auftraggeber, den Zuschlag zu erteilen. Nach Auffassung der Düsseldorfer Richter war das Vergabeverfahren nicht wegen eines Dokumentationsmangels betreffend die Angebotsöffnung in das Stadium vor Ablauf der Angebotsfrist zurückzuversetzen.
Zwar genüge die Dokumentation der Angebotsöffnungen nicht den Anforderungen des Vergaberechts (§§ 55 Abs. 2 Satz 1, 8 Abs. 1 VgV). Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV wird die Öffnung der Angebote von mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers gemeinsam an einem Termin und unverzüglich nach Ablauf der Angebotsfrist durchgeführt. Dem Vergabevermerk ließ sich aber nicht entnehmen, wer die Angebotsöffnung vorgenommen hat und ob sie von mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers gemeinsam durchgeführt wurde.
Der Dokumentationsmangel bei der Angebotsöffnung führt nach Auffassung des OLG Düsseldorf aber nicht dazu, dass man das Vergabeverfahren wiederholen müsste. Der Dokumentationsmangel sei vielmehr durch den Vortrag des öffentlichen Auftraggebers im Vergabenachprüfungsverfahren „geheilt“ worden. Denn mit dem im Vergaberecht geltenden Beschleunigungsgrundsatz sei es nicht vereinbar, bei Mängeln der Dokumentation im Vergabevermerk generell und unabhängig von deren Gewicht eine Wiederholung der betreffenden Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen. Eine Wiederholung des Vergabeverfahrens sei nur dann geboten, wenn die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation nicht ausreicht, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung sicherzustellen. Nach diesen Grundsätzen war eine Wiederholung nicht notwendig.
Die mangelnde Dokumentation konnte insofern durch den Vortrag des öffentlichen Auftraggebers dazu, wer bei der Angebotsöffnung anwesend war, nachgeholt werden. Der öffentliche Auftraggeber hatte insofern vorgetragen, dass seine Verfahrensbevollmächtigten mit der Konzipierung und Durchführung des Vergabeverfahrens beauftragt gewesen seien und die Angebotsöffnung durch die verfahrensbevollmächtigten zwei Rechtsanwälte vorgenommen worden sei.
Das OLG Düsseldorf hatte dagegen keine Bedenken. Das folge schon daraus, dass nach § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV die Angebotsöffnung von „Vertretern“ des Auftraggebers durchzuführen ist. Das kann eine hierzu ermächtigte Person sein, etwa ein Mitarbeiter oder eben ein externer Berater wie ein Rechtsanwalt. Das OLG Düsseldorf ging im Übrigen aber davon aus, dass das Angebot der erstplatzierten Bieterin zurecht ausgeschlossen wurde; die anderen Angebote waren möglicherweise aber ebenfalls nicht zuschlagsfähig. Das OLG gab dem öffentlichen Auftraggeber deshalb auf, die Angebote des zweit- und drittplatzierten Bieters noch einmal zu prüfen. Bis dahin dürfe der Zuschlag nicht erteilt werden.
Praxishinweis
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist wenig überraschend, wenn man den Wortlaut des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV ernst nimmt. Danach wird die Angebotsöffnung durch zwei „Vertreter“ des öffentlichen Auftraggebers durchgeführt. Vertreter in diesem Sinne können auch Berater sein. Trotzdem wurde das in der Vergangenheit von einzelnen Vergabekammern anders bewertet (vgl. VK Südbayern, Beschluss vom 02.01.2018, Z3-3-3194-1-47-08/17). Die Entscheidung des OLG Düsseldorf führt insofern zu mehr Rechtssicherheit und Klarheit. Andere Vergabenachprüfungsinstanzen haben sich der Sichtweise des OLG Düsseldorf zwischenzeitlich angeschlossen (vgl. VK Saarland, Beschluss vom 09.09.2019, 2 VK 01/19).
Quelle
Dr. Corina Jürschik, LL.M. ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte mbB in Stuttgart. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe tätig. Sie unterstützt Bieter und Bewerber in Vergabeverfahren bei der Wahrung ihrer Rechte und berät öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren.
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