Mit der Einführung der verpflichtenden E-Vergabe dürfen sich die EU-Mitgliedsstaaten noch zweieinhalb Jahre Zeit lassen. Doch bereits jetzt gewinnen die neuen Vergaberichtlinien für öffentliche Auftraggeber und an öffentlichen Aufträgen interessierte Unternehmen Bedeutung. Eine Vielzahl vergaberechtlicher Fragen wird in den Richtlinien erstmals gesetzlich geregelt. Für vergaberechtlich relevante Rechtsfragen, die bislang unterschiedlich ausgelegt wurden, werden die neuen Festlegungen heranzuziehen sein.
Zu diesen Aspekten gehört insbesondere das vergabefreie Inhouse-Geschäft. Öffentliche Auftraggeber können bereits heute in bestimmten Fällen mit ihnen verbundene Unternehmen, insbesondere Tochtergesellschaften, vergabefrei beauftragen. Durch die neuen Richtlinien wird hier zwar einerseits in einem größeren Umfang von bis zu 80 Prozent Drittgeschäft der beauftragten Unternehmen zugelassen, andererseits werden aber die Anforderungen an die Beherrschung und Kontrolle der Unternehmen konkretisiert. Auftraggeber sollten daher prüfen, ob die in den Richtlinien spezifizierten Voraussetzungen bei ihnen vorliegen. Darüber hinaus werden auch die vergabefreie interkommunale Zusammenarbeit und die Zulässigkeit der Änderung von Verträgen weiter konkretisiert.
Nicht zuletzt sollen die neuen Vergaberichtlinien jedoch die Akzeptanz des Vergaberechts fördern. Es verfolgt daher auch das Ziel, Vergabeprozesse einfacher und praxisnäher zu gestalten. Maßnahme hierfür ist neben verkürzten Verfahrensfristen und vereinfachten formalen Vorgaben zum Nachweis der Eignung die erweiterte Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens. Dieses ist auch dann zulässig, wenn der ausgeschriebene Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst.
Des Weiteren reagieren die Richtlinien auf den häufig erhobenen Vorwurf, das europäische Vergaberecht sei zu sehr auf die Auswahl des „billigsten Angebots“ ausgerichtet. Qualitative umweltbezogene und auch soziale Aspekte bekommen nun eine stärkere Bedeutung. Den EU-Mitgliedsstaaten ist es sogar freigestellt, die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots allein nach dem Preis zu untersagen.
Auch wird die strikte Grenze zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien aufgehoben. Öffentliche Auftraggeber dürfen auch Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals als Zuschlagskriterium heranziehen, wenn dieses erheblichen Einfluss auf die Auftragsausführung haben kann.
Der Anwendungsbereich des Vergaberechts wird durch die erstmals einheitliche Regelung von Konzessionsvergaben erweitert. Neben Bau- fallen auch Dienstleistungskonzessionen unter das Vergaberecht. Obwohl die Trinkwasserversorgung und der Rettungsdienst aus politischen Gründen ausgeklammert wurden, werden viele Leistungen, die bislang vergabefrei möglich waren, auszuschreiben sein. Zu denken ist etwa an die Vermarktung von Flächen im öffentlichen Raum oder den Betrieb öffentlicher Einrichtungen auf eigenes wirtschaftliches Risiko des Auftragnehmers. Denkbar sind so verschiedene Bereiche wie städtische Veranstaltungszentren, Parkhäuser oder Kantinen.
Noch ist völlig unklar, wie der deutsche Gesetzgeber die neuen Vergaberichtlinien in deutsches Recht umsetzen wird. So stellt sich einerseits die Frage, ob er, wie in der Vergangenheit, strengere gesetzliche Vorgaben aufstellen wird als gefordert. Andererseits wird man sehen, ob der Gesetzgeber die Chance nutzt, das bisherige, wenig nutzerfreundliche Kaskadensystem aus Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), Vergabeverordnung und Vergabe- und Vertragsordnungen durch ein einheitliches Bundesvergabegesetz zu ersetzen. Die nächsten beiden Jahre bleiben spannend.
Neues EU-Vergaberecht umfasst drei Richtlinien
Die Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge ersetzt die bisherige Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/E und die Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge.
Die Richtlinie über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste ersetzt die Richtlinie 2004/17/EG ,Sektorenrichtlinie.
Die Richtlinie über die Konzessionsvergabe ist ein neuer Rechtsakt, sie ersetzt die Konzessionsrichtlinie.
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