Mindestlöhne können gegen EU-Recht verstoßen

17.05.2013
Von: Martin Ott
PR

Im April 2008 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im sogenannten Rüffert-Urteil das niedersächsische Landesvergabegesetz gekippt. Es verstoße gegen die auf europäischer Ebene verankerte Entsenderichtlinie und die Dienstleistungsfreiheit und sei damit unanwendbar , so die Richter. Die Vorgabe des örtlichen Tarifs wäre nur möglich gewesen, wenn dieser durch eine staatliche Allgemeinverbindlicherklärung für alle Beschäftigten als Mindestlohn gegolten hätte (deklaratorische Tariftreueregelung).

Länder machen Tariftreue- oder Vergabegesetze EU-konform

Seitdem haben nahezu alle Bundesländer mit novellierten Tariftreue- oder Vergabegesetzen ihre landesgesetzlichen Regelungen mit dem Ziel umgestaltet, dass diese mit europäischem Recht vereinbar sind. In Baden-Württemberg tritt das neue Tariftreue- und Mindestlohngesetz (LTMG) am 1. Juli in Kraft.

Die Vereinbarkeit der novellierten Mindestlohn- und Tariftreueregelungen mit höherrangigem Recht ist nach wie vor Gegenstand kontroverser Diskussionen. Die Vergabekammer Düsseldorf hat entschieden, dass die Vorgabe eines Mindestlohns im Rahmen von Vergabeverfahren voraussichtlich gegen europäisches Recht verstößt (Beschluss vom 9. Januar 2013 – Aktenzeichen: VK-29/2012; nicht be-standskräftig). Im entschiedenen Fall forderte ein öffentlicher Auftraggeber im Zusammenhang mit der Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen von den Bietern sowohl die Abgabe einer Tariftreue- als auch einer Mindestlohnerklärung. Das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW verpflichtet öffentliche Auftraggeber zum einen von den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen die Abgabe einer Tariftreueerklärung zu fordern und sieht zum anderen für Leistungen, für die kein Tarifvertrag existiert, einen vergabespezifischen Mindestlohn von 8,62 Euro vor.

Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit

Die Vergabekammer Düsseldorf befand, dass die Vorgabe eines vergabespezifischen Mindestlohns vo-raussichtlich mit dem europäischen Unionsrecht nicht vereinbar ist. In dieser Hinsicht liege laut der Kammer ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) nahe, weil außerhalb des Anwendungsbereichs des Arbeitnehmerentsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungengesetzes die Zahlung eines bestimmten Mindestlohns vorgeschrieben werde.

Öffentliche Aufträge dürfen in Baden-Württemberg auf der Grundlage des Landestariftreue- und Mindestlohngesetzes bald nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung, die Bedingungen des Tarifvertrags zu gewähren, an den das Unternehmen aufgrund des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gebunden ist. Außerdem sieht das Gesetz einen vergabespezifischen Mindestlohn von 8,50 Euro vor. Dieser Mindestlohn gilt nur dann nicht, sofern Tariftreue gefordert werden kann und die danach maßgebliche tarifliche Regelung für die Beschäftigten günstiger ist.

Vorgabe eines vergabespezifischen Mindestlohns birgt Probleme

Soweit neuere Vergabe- und Tariftreuegesetze die Einhaltung geltender Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz vorsehen, bestehen mit Blick auf die Vereinbarkeit mit europäischem Recht keine Bedenken. Es handelt sich lediglich um deklara-torische Tariftreueregelungen. Diese Regelungen sind im Grunde überflüssig, gelten sie doch ohnehin bereits für alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer.

Die Vorgabe eines vergabespezifischen Mindestlohns hingegen könnte tatsächlich einen Verstoß gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit bedeuten, weil diese Maßnahme nicht alle Arbeitnehmer, sondern allein diejenigen schützt, die öffentliche Aufträge ausführen. Endgültige Klarheit hierüber kann jedoch erst eine Entscheidung des EuGH bringen. Das Vergaberecht wird also erneut unübersichtlicher und die Vergabeverfahren anfälliger für Fehler. Den Unternehmen bieten sich damit weitere Ansatzpunkte für die Einleitung von Nachprüfungsverfahren.

Expertenmeinung von Martin Ott, Rechtsanwälte Menold Bezler Stuttgart

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