Unterschriftenerfordernis bei Angebotsabgabe in Textform?

Von: Dr. Corina Jürschik
Expertenbeitrag

Auf dem Weg in ein digitales Vergabezeitalter kommt es schon einmal zu Übergangsproblemen. Werden beispielsweise die bisher bewährten Formblätter (z.B. Vergabehandbuch [VHB] Bund) verwendet und die Angebotsabgabe in Textform vorgesehen, stellt sich für Bieter regelmäßig die Frage, ob diese Formblätter in den vorgesehenen Textfeldern auch zu unterschreiben sind. Mit anderen Worten: Müssen bei einer elektronischen Angebotsabgabe die Formblätter ausgefüllt, ausgedruckt, unterschrieben und ggf. gestempelt sowie wieder eingescannt werden? Eine Antwort auf die Frage gibt das OLG Naumburg. Das OLG Naumburg stellt klar, dass Unterschriftenfelder bei einer Angebotsabgabe in Textform über eine Vergabeplattform frei bleiben können.

Was war passiert?

Der öffentliche Auftraggeber hatte die Unterhaltsreinigung seiner Dienstgebäude EU-weit ausgeschrieben. Die Vergabeunterlagen gaben den Bietern vor, ihr Angebot auf der Grundlage eines Formulars des VHB-Bund (Ausgabe 2017) zu erstellen. Den Bietern wurde dabei die Möglichkeit eröffnet, das Angebot entweder "elektronisch mit fortgeschrittener/m Signatur/Siegel" oder "elektronisch mit qualifizierter/m Signatur/Siegel" oder "schriftlich" einzureichen. Außerdem gab die Vergabestelle den Bietern vor, dass "bei elektronischer Angebotsübermittlung in Textform" das Angebot zusammen mit den Anlagen bis zum Ablauf der Angebotsfrist über eine e-Vergabe-Plattform zu übermitteln sei. Nach den Hinweisen im "Bieter-Cockpit" der Vergabeplattform und in den Bewerbungsbedingungen war außerdem ein Formblatt des VHB-Bund zu verwenden. Das zu verwendende Formblatt sah vor, dass die Anlagen, welche Vertragsbestandteil werden sollten, anzukreuzen waren. Am Ende des Formblatts befand sich außerdem ein Feld, in dessen oberen Bereich "Unterschrift (bei schriftlichen Angeboten)" stand. Außerdem war dort unter anderem angegeben, dass Angebote ausgeschlossen werden, die in Textform elektronisch übermittelt werden und der Name der die Erklärung abgebenden natürlichen Person nicht angegeben wird. Unterschriftszeilen befanden sich außerdem in weiteren Vordrucken des Angebots.

Das Angebot der späteren Antragstellerin wurde im Rahmen der formalen Angebotsprüfung ausgeschlossen. Das wurde damit begründet, dass das Angebot nicht den Formvorgaben für schriftliche bzw. elektronische Angebote entsprach und verschiedene Erklärungen jeweils nicht unterschrieben bzw. in Textform signiert worden seien. Eine Nachforderung der fehlenden Unterlagen kam nicht in Betracht, weil hierauf ausdrücklich verzichtet wurde.

Gegen den Angebotsausschluss wehrte sich die spätere Antragstellerin nach erfolgloser Rüge mit Vergabenachprüfungsantrag zur Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass das Angebot unvollständig sei, weil Kreuze fehlen würden, die zur Einbeziehung weiterer Unterlagen in das Angebot führen würden und nicht festgestellt werden könne, ob sich die qualifizierte Signatur des Angebots auf den gesamten Inhalt des amtlichen Leistungsverzeichnisses und der beigefügten Erklärung beziehe. Auf das Unterschriftenerfordernis als Ausschlussgrund kam es der Vergabekammer dabei nicht maßgeblich an. Gegen die Entscheidung der Vergabekammer wendete sich die Antragstellerin mit sofortiger Beschwerde zum OLG Naumburg. Die Antragstellerin hat zugleich einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels gestellt.

Die Entscheidung des OLG Naumburg

Das OLG Naumburg hat die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt, weil die sofortige Beschwerde "nicht ohne Erfolgsaussichten" sei.

Das OLG Naumburg ging zunächst davon aus, dass die von der Vergabekammer noch angenommene Unvollständigkeit des Angebotes aufgrund eines fehlenden Kreuzes auf konkrete Zweifel stoße. Denn was Inhalt eines Angebots ist, ist nicht allein an den gesetzten Schriftzeichen bzw. Kreuzen abzulesen, sondern im Wege der Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung ergebe in diesem Fall, dass die Antragstellung durch das Ausfüllen von verschiedenen Unterlagen erklärt hat, dass die in Frage stehenden Unterlagen in ihr Angebot einbezogen werden sollten. Außerdem seien alle Erklärungen als Teil des "einheitlich signierten Daten-Pakets Angebotsunterlagen" beigefügt gewesen.

Das OLG Naumburg folgte auch dem zweiten vom öffentlichen Auftraggeber genannten Ausschlussgrund nicht, wonach das Angebot wegen fehlender Unterschriften nicht formgerecht sein sollte. Nach Auffassung des OLG Naumburg hat das Unterschriftenfeld nicht dazu geführt, dass die jeweilige Anlage auszudrucken, zu unterschreiben, ggf. zu stempeln und wieder einzuscannen war. Vielmehr sind Bieter nach § 53 Abs. 1 VgV berechtigt, ihre Angebote insgesamt in Textform nach § 126b BGB mithilfe elektronischer Mittel zu übermitteln. Öffentliche Auftraggeber sind spiegelbildlich dazu verpflichtet, die elektronische Kommunikation anzuerkennen. Der Auftraggeber habe nur ein Ermessen darüber, welches Sicherheitsniveau er nach § 10 Abs. 1 VgV festlegt. Daraus folge, dass bei einer elektronischen Übermittlung eines Angebots in Textform keine eingescannten Unterschriften erforderlich sind.

Etwas Anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Auftraggeber in eindeutiger, unmissverständlicher Weise weitere oder andere Anforderungen an die Form der Angebote stellt und kein Bieter diese Anforderungen als vergaberechtswidrig rügt. Ein solch eindeutiges Verlangen war in diesem Fall aber nicht gegeben. Allein aus dem Vorhandensein einer Schlusszeile mit der Aufforderung zur Unterschriftleistung bei alten Formblättern folgt damit keine "Einscannerfordernis" der Unterschrift. Das gilt gerade dann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber alte Vordrucke aus den Jahren 2009, 2013 oder 2017 verwendet, weil damals noch die schriftliche Angebotsabgabe der Regelfall war.

Praxistipp

Die Entscheidung des OLG Naumburg erledigt Übergangsprobleme, die sich daraus ergeben können, dass bei elektronischer Angebotsabgabe alte Formblätter verwendet werden. Nach der Entscheidung des OLG Naumburg ist klar, dass eine Unterschriftenzeile in einem (alten) Angebotsformular nicht ausreicht, um den Bietern eine eingescannte Unterschrift vorzugeben. Werden elektronisch übermittelte Angebote in Textform verlangt oder zugelassen, so reicht vielmehr das elektronische Ausfüllen der Texte einschließlich der Felder zu den Angaben des Bieters (Name etc.). Für Vergabestellen empfiehlt es sich bei der Verwendung alter Vordrucke ganz genau anzugeben, was die Bieter tun oder lassen sollen. Zweifel gehen zu Lasten der Vergabestelle.

Für Bieter ist es umgekehrt ratsam, bei etwaigen Zweifeln oder widersprüchlichen Angaben Klarheit durch eine Bieterfrage zu schaffen. Sollte eine Vergabestelle auf eine ausdrückliche Bieterfrage antworten, dass das jeweilige Dokument auch bei elektronischer Angebotsabgabe in Textform auszudrucken, zu unterschreiben und wieder einzuscannen ist, kann er sich immer noch überlegen, ob er die Vorgabe als vergaberechtswidrig rügen möchte. Tut er das nicht, muss er die Vorgaben einhalten.

Urteilsbesprechung zu OLG Naumburg, Beschluss vom 04.10.2019, 7 Verg 3/19

Über den Autor:

Dr. Corina Jürschik, LL.M. ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte in Stuttgart. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe tätig. Sie unterstützt Bieter und Bewerber in Vergabeverfahren bei der Wahrung ihrer Rechte und berät öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Ausgestaltung von Vergabeverfahren.

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