Alte HOAI rechtswidrig, aber auch für laufende Klagen?

14.02.2022
Von: Dr. Corina Jürschik
Expertenbeitrag

Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) spielt im Baubereich eine große Rolle. Die EuGH-Entscheidung vom 14.07.2019 (C-377/17), mit der der EuGH einen Verstoß der HOAI gegen Europarecht (Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG) festgestellt hatte, hat deshalb auch große Wellen geschlagen. Die Entscheidung hat u.a. zur Abschaffung des harten Preisrahmens mit der „HOAI 2021“ geführt. Jetzt hat der EuGH wieder zur HOAI entschieden (C-261/20). Ausgangspunkt sind dieses Mal die Fragen des BGH dazu, ob die alte HOAI als „europarechtswidriges Recht“ eine Anspruchsgrundlage in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten darstellen kann. Hintergrund sind „Aufstockungsklagen“, mit denen Architekten und Ingenieure Mindesthonorare nach der (alten) HOAI vor den Zivilgerichten geltend machen.

Was war geschehen?

Im Jahr 2016 schlossen die Immobiliengesellschaft T und der Ingenieur MN einen Ingenieurvertrag, in dessen Rahmen der Ingenieur MN sich gegen die Zahlung eines Pauschalhonorars in Höhe von ca. 55.000 € verpflichtete, bestimmte Leistungen nach der HOAI zu erbringen. Nachdem der Ingenieur MN den Vertrag im Jahr 2017 gekündigt hatte, rechnete seine erbrachten Leistungen auf Grundlage der in § 7 HOAI genannten Mindestsätze ab und verlangte nun ca. 155.000 Euro. Die Immobiliengesellschaft T leistete auf die Honorarschlussrechnung aber nur das ursprünglich vereinbarte Pauschalhonorar, sodass der Ingenieur MN den Restbetrag  von ca. 100.000 € nebst Zinsen und Verfahrenskosten vor dem Landgericht Essen geltend machte. Bei dem Restbetrag handelte es sich um das Delta zwischen dem vereinbarten (gezahlten) Honorar und dem Mindestsatz nach der (alten) HOAI. Mit Urteil vom 28.12.2017 verurteilte das Landgericht Essen die Immobiliengesellschaft T zur Zahlung des eingeklagten Betrags.

Die Immobiliengesellschaft T legte dagegen Berufung beim Oberlandesgericht Hamm ein, das das Urteil des Landgerichts Essen teilweise abänderte und die Immobiliengesellschaft T zur Zahlung von ca. 97.000 € verurteilte. Die Immobiliengesellschaft T legte dagegen Revision beim BGH ein und beantragte, die Klage des Ingenieurs vollständig abzuweisen.

Fragen des BGH an den EuGH

Für den BGH warf die Sach- und Rechtslage ganz grundsätzliche Fragen auf. Für den BGH stellte sich insbesondere die Frage, ob er § 7 HOAI überhaupt noch anwenden dürfte, nachdem der EuGH mit Urteil vom 04.07.2019 (C-377/17) festgestellt und mit Beschluss vom 06.02.2020 bestätigt hatte, dass die HOAI mit dem Europarecht (Richtlinie 2006/123/EG) unvereinbar sei. Eine richtlinienkonforme bzw. europarechtskonforme Auslegung der HOAI schied nach Einschätzung des BGH aus. Er stellte sich deshalb die Frage, ob die Richtlinie 2006/123/EG im Verhältnis zwischen den Privatpersonen des Ausgangsrechtsstreits unmittelbar wirke (= direkt angewendet werden kann) und deshalb der Anwendbarkeit des § 7 HOAI entgegensteht. 

Vor dem Hintergrund hat der BGH das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH zwei Vorlagefragen gestellt. Vereinfacht gesagt wollte der BGH wissen:

1. Gilt aufgrund des Unionsrechts die Richtlinie 2006/123/EG unmittelbar? Steht das der Anwendung von § 7 HOAI entgegen?

2. Falls nein: Verstößt § 7 HOAI gegen die Europarecht bzw. die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV)? Und wenn das der Fall ist, darf dann in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen § 7 HOAI nicht angewendet werden?

Antworten des EuGH

Auf die erste Frage antwortet der EuGH, dass in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen die Anwendung von § 7 HOAI nicht von vornherein ausgeschlossen ist.

Das begründet der EuGH unter anderem mit den Rechtswirkungen einer Richtlinie (hier: Richtlinie 2006/123/EG). Denn Richtlinien könnten selbst keine Verpflichtungen für Einzelne begründen, weil sie an den Mitgliedstaat (hier Deutschland) gerichtet sind. Der BGH ist deshalb nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, § 7 HOAI außer Acht zu lassen, auch wenn diese Regelung gegen Richtlinienrecht verstößt. Daran ändert auch das Vertragsverletzungsurteil gegen Deutschland vom 04.07.2019 nichts. 

Mit dem Urteil hatte der EuGH entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/123/EG verstoßen hat, indem sie die in § 7 HOAI geregelten verbindlichen Honorare für die Planungsleistung von Architekten und Ingenieuren beibehalten hatte. 

Zum (abgeschlossenen) Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland stellte der EuGH klar, dass darin nur die Verfehlungen eines Mitgliedstaates (hier Deutschland) festgestellt wurden. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass Gerichte allein aufgrund solcher Vertragsverletzungsurteile verpflichtet sind, im Rechtsstreit zwischen Privaten die in Frage stehende nationale Regelung (§ 7 HOAI) nicht anzuwenden. Dem Betroffenen stehe dann aber gegebenenfalls ein Schadensersatzanspruch gegen den jeweiligen Mitgliedsstaat zu (Staatshaftungsanspruch gegen Deutschland).

Bei der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage fasste sich der EuGH wesentlich kürzer. Mit der zweiten Frage wollte der BGH wissen, ob die Grundfreiheiten (Art. 49 AEUV [Niederlassungsfreiheit]) der Anwendung der HOAI entgegenstehen. Dazu führt der EuGH aus, dass im konkreten Fall nichts darauf hindeute, dass es sich um einen „grenzüberschreitenden Sachverhalt“ handele, der überhaupt erst zur Anwendung der Grundfreiheiten führe. Insofern hat der EuGH die zweite Vorlagefrage als unzulässig zurückgewiesen.

Praxishinweise

Die Entscheidungen zur HOAI haben erhebliche praktische Auswirkungen im Baubereich. Seit dem 14.07.2019 steht fest, dass der verbindliche Preisrahmen der (alten) HOAI gegen Europarecht verstößt und Deutschland damit gegen seine Verpflichtungen aus der Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) verstoßen hat.

Öffentliche Auftraggeber durften seit dieser Entscheidung das Preisrecht der HOAI nicht mehr anwenden. Das Anwendungsverbot umfasst dabei den Ausschluss eines unter den HOAI-Mindestsätzen liegenden Angebots von Planenden im Vergabeverfahren und die Berufung auf eine Höchstsatzüberschreitung durch das vereinbarte Honorar. Aufstockungsklagen wie die des Ausgangsverfahrens des BGH sollen gegen die öffentliche Hand aber weiter möglich sein.

Das ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH, wonach § 7 HOAI in einem Gleichordnungsverhältnis im Zivilprozess weiter angewendet werden kann. Aufstockungsklagen dürfen deshalb noch eine ganze Weile möglich sein und zwar für alle Vertragsverhältnisse bis zum Inkrafttreten der HOAI 2021 am 01.01.2021.

Dr. Corina Jürschik, LL.M. ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Stuttgart. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe tätig. Sie unterstützt Bieter und Bewerber in Vergabeverfahren bei der Wahrung ihrer Rechte und berät öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren. 

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