Stuttgart. Justizminister Guido Wolf (CDU) hat die von ihm geplante Studie zu Paralleljustizstrukturen in Baden-Württemberg verteidigt. Er wolle Gerüchte und Panikmache verhindern und dem Thema auf den Grund gehen, sagte Wolf am Mittwoch in der von der AfD-Fraktion beantragten, teilweise hitzig verlaufenen aktuellen Debatte. „Wir planen keine Angststudie, sondern eine Erkenntnisstudie“, erklärte der Minister; denn es bestehe erhöhter Informations- und Aufklärungsbedarf. Wolf und die CDU-Fraktion wollen untersuchen lassen, ob im Südwesten rechtsstaatliche Strukturen - etwa durch das muslimische Recht der Scharia - unterlaufen werden.
Aus Sicht des Ministers bedeutet Paralleljustiz Willkür statt Rechtsstaat. Andererseits hätten Kultur und Vielfalt an sich nichts mit Paralleljustizstrukturen zu tun. Der Plan zur Studie sei keine Vorverurteilung bestimmter Gruppen, sondern betreffe Grundfragen unseres Rechtsstaates. Wolf kritisierte die Türkische Gemeinde und Stuttgarts Bürgermeister Werner Wölfe (Grüne), die die Studie als unnötig bezeichnet und von hinausgeschmissenem Geld gesprochen haben. Der Justizminister hingegen ist, auch nach Bekanntwerden einer Berliner Studie zum Thema, der Auffassung, dass Paralleljustiz viele Menschen „massiv belastet“. Wenn Opfer gezwungen würden, auf ihr Recht zu verzichten, habe dies nichts mit dem Rechtsstaat zu tun.
Die Politik habe Parallelgesellschaften ermöglicht, kritisierte AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen die Regierungsfraktionen. Die Erkenntnis über mögliche existierende Strukturen komme einem Schuldeingeständnis gleich. „Deutschland ist immer noch unser Land und da gilt unser Recht und nicht die Scharia“, sagte er. Zwei Drittel der muslimischen Einwanderer würden nach ihren religiösen Vorgaben und nicht nach unseren Gesetzen leben. Angesichts von Ehrenmorden, Zwangsverheiratungen und selbst ernannten Scharia-Sheriffs, die durch Deutschland wandelten, sowie am Beispiel des Oberverwaltungsgerichts Mannheim, das einem Syrer mit zwei Frauen die deutsche Staatsbürgerschaft zugesprochen habe, bezeichnete Meuthen die Rechtssprechung als „Kuscheljustiz“. Dafür erntete er heftigen Widerspruch der anderen Fraktionssprecher und von Justizminister Wolf, der sagte: „Die baden-württembergische Justiz leistet hervorragende Arbeit“.
Jürgen Filius (Grüne) sagte, Paralljustiz sei keiner ethnischen Gruppe zuzuordnen und kein religiöses Problem; diese gebe es nicht nur in islamistischen Kreisen, sondern auch im Rotlichtmilieu und im Gefangenenbereich. „Das Grundgesetz steht über allem“, erklärte der Jurist, zusätzliches Wissen schade jedoch nie, weshalb auch die Grünen die geplante, 20 000 Euro teure Studie unterstützen. Filius betonte, geschlossene Zirkel müssten aufgebrochen. Seine Fraktion setze verstärkt auf gesellschaftliche Maßnahmen wie Prävention und Integration. Streitbelegung durch außergerichtliche Einigungen und Mediation sei legitim. Wer jedoch die Grenzen der staatlichen Ordnung überschreite, müsse in die Schranken verwiesen werden.
Die CDU-Fraktion wolle den „faktenbasierten Weg“ gehen, sagte Bernhard Lasotta (CDU). Er begrüßte die Studie, denn für Baden-Württemberg, das Flächenland mit dem höchsten Migrationsanteil, lägen bisher keine Ergebnisse vor. Auch der Integrationsexperte der CDU kennt negative Beispiele, wie Ehrenmord und Zwangsverheiratung. Dabei sei es bedenklich, wenn viele Verfahren eingestellt würden, weil Zeugen einknickten oder Familien sich vor dem Friedensrichter einigten. Dennoch wolle man Brücken bauen und nicht ausgrenzen. Lasotta warf der AfD vor, auszugrenzen und Ängste zu schüren und zu überziehen.
Auch Sascha Binder (SPD) kritisierte die AfD und ihren Fraktionschef Meuthen. Die Justiz in Baden-Württemberg tue alles, dass es solche Paralleljustiz nicht gebe. So hätten die Sicherheitsbehörden auch Rocker und andere Gruppen „auf dem Schirm“. Da Studie bringe dazu einen Überblick. „Hier und da gibt es ein Problem“, sagte Binder zur Sachlage. Angesichts des geplanten Doppelmandats im Landtag und Europaparlament warf er Meuthen „Steuerverschwendung“ vor. Meuthen sei „vielleicht der billigste, aber nicht der günstigste Abgeordnete“.
Paralleljustiz habe nichts mit religiösen, sondern mit archaischen Strukturen in Familien zu tun, erklärte Nico Weinmann (FDP). Deshalb seien Beratung und stärkere Aufklärung sinnvoll und notwendig. Man müsse sich des Problems annehmen, denn in bestimmten Milieus sei es vorhanden. Nebenjustiz hält der Rechtsanwalt für die treffendere Bezeichnung als Paralleljustiz.
In Berlin hatte eine Studie aus dem Jahr 2015 ergeben, dass Paralleljustiz sich vor allem zeigt bei organisierter Kriminalität sowie in Milieus, die wenig sozialen Zugang zum Staat oder zur Zivilgesellschaft haben. Es sei aber kein Phänomen, dass für bestimmte ethnische, kulturelle oder religiös definierte Bevölkerungsgruppen typisch sei, erklärte damals der Islamwissenschaftler Mathias Rohe. Das Phänomen spiele vor allem im Familien- und Strafrecht eine Rolle.