STUTTGART. Justiz- und Europaminister Guido Wolf (CDU) hat die Landtagsdebatte über den AfD-Antrag zur „Beendigung der EU-Beitrittsgespräche und der EU-Heranführungshilfen für die Türkei“ genutzt, um die Haltung der Union zu bekräftigen. Es sei kein Geheimnis, sagte Wolf, „dass meine Partei eine Vollmitgliedschaft der Türkei für einen Fehler halten würde und sich seit jeher für eine privilegierte Partnerschaft ausgesprochen hat“. Fakt sei zudem: „Seit Juni 2018 sind die Beitrittsverhandlungen im Prinzip eingefroren, nachdem die EU-Kommission der Türkei schwere Rückschritte auf dem Weg in die Europäische Union attestierte.“ Und an dieser Situation habe sich „ich füge hinzu leider, bis heute nicht geändert hat“.
Die Opposition seien ausgeschaltet, Justiz, Polizei und Behörden gesäubert und Journalisten verhaftet. Dies sei durch das Verfassungsreferendum noch weiter begünstigt, und deshalb eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union mit den demokratischen Grundprinzipien der Union nicht mehr zu vereinbaren. „Schon gar nicht ist es hinzunehmen, dass die Türkei weiterhin EU-Hilfen in Milliardenhöhe zur Heranführung an die EU erhält“, heißt es weiter.
Emil Sänze, der Rottweiler AfD-Landtagsabgeordnete, verlangte zudem die Lage zu antizipieren. Denn die Türkei werde „ein zu 99 Prozent islamischer Staat, der in einigen Jahren 90 Millionen und mehr Einwohner haben wird, dessen Staatsführung das Osmanische Reich wieder auferstehen lassen will, ein Staat, der mit fast allen Nachbarn im Clinch liegt, ein Staat, der das eigene Volk terrorisiert, ein Staat, der Glaubensgemeinschaften schwer akzeptieren kann, ein Staat, der alle islamischen Balkanstaaten mit Infrastrukturmaßnahmen inklusive Moscheebau unterwandert“. Wer mit solch einem Land Beitrittsverhandlungen führe, könne auch gleich welche „mit den Maghreb-Staaten aufnehmen, und warum nicht gleich mit allen Staaten entlang der Seidenstraße?“.
Gerade angesichts rückschrittlicher Entwicklungen „wäre es der falsche Weg, die Türkei außenpolitisch komplett zu isolieren und sie dazu zu bringen, sich vollständig von Europa abzuwenden“, erklärte Josef Frey (Grüne). Der Antrag der AfD setzt auf Ausgrenzung und Konfrontation: „Ein Abbruch der Kommunikation zwischen der EU und der Türkei würde den Frieden in Europa gefährden.“ Richtig sei vielmehr, wenn die EU weiter Einfluss ausübe, wenn der kritische Dialog gefördert werde, „und die zur Verfügung stehenden Mittel müssen effektiv genutzt werden, um in der Türkei positive Entwicklungen hervorzurufen“.
Auch Fabian Gramling (CDU) betonte, wie „die Verhandlungen und die Heranführungshilfen der EU die Möglichkeit gibt, Projekte zu stärken: zur Stärkung des Rechtsstaats, zur Stärkung der Demokratie und auch zur Stärkung der Zivilgesellschaft in der Türkei“. Es müsse aber nicht darüber diskutiert werden, dass „die Türkei aktuell nicht beitrittswürdig ist“. In mehreren Bereichen gebe es Stillstand, ja sogar Rückschritte. „Ich möchte nur die Themen in der Situation der Justiz, der Pressefreiheit, aber auch die wirtschaftliche Lage ansprechen“, so Gramling, „wir müssen aber im Gespräch bleiben und müssen den Gesprächsfaden aufrechterhalten.“
Für die SPD-Fraktion seien die Heranführungshilfen „eine gute und wichtige Investition“, erläuterte Sabine Wölfle. Denn damit werde der wirtschaftlichen und politischen Austausch gefördert, und „nur so können wir vor allem bei demokratischen und proeuropäischen Partnern in der Türkei mit dazu beitragen, dass die notwendigen Änderungen ermöglicht werden können, auch wenn es aktuell schwierig ist und der EU-Beitritt erst einmal in sehr weite Ferne gerückt ist“.
Erik Schweickert (FDP) bekannte, er habe sich „nicht vorstellen können, sage ich ganz offen, als ich 20 Jahre alt war und viele in der dann zweiten Generation Gastarbeiterkinder sich für Deutschland entschieden haben, sich hier nicht nur integriert haben, sondern zu einer tragenden Säule von uns geworden sind, dass die nächste Generation so fragil reagiert, wenn Herr Erdogan aus der Türkei mit irgendwelchen Themen kommt, sei es beim Thema Pressefreiheit, sei es, wie Ditib als verlängerter Arm bei uns aufgestellt wird“. Den Gesprächsfaden lasse man aber dennoch nicht reißen.
Für Aufregung sorgte der Göppinger Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner, früher AfD, inzwischen fraktions- und parteilos. Er bezeichnete den türkischen Präsidenten als „einen despotischen, durch undemokratische Prozesse an die Macht gekommenen bösartigen antisemitischen Staatschef, der die Verbreitung des Islam in Europa befürwortet“. Und weiter: „Aber das trifft auch auf Frank Walter Steinmeier zu.“
Fiechtner wurde von der Landtagsvizepräsidentin Sabine Kurtz (CDU) gerügt und Wolf in einer Replik scharf: „Ich will für die baden-württembergische Landesregierung aber ich denke auch für die ganz große Mehrheit dieses Hohen Hauses zum Ausdruck bringen, dass ich die Würdigung des deutschen Bundespräsidenten als Antisemiten als niederträchtig und der Würde dieses Hauses nicht angemessen erachte.“