CDU-Obmann: „Solide Arbeit schlägt Verschwörungstheorie“

20.12.2018 
Von: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer
 
Redaktion
 

Stuttgart. Nach 121 Stunden Vernehmungen und auf Basis von Akten in 1300 Ordnern hat der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags seinen Abschlussbericht vorgelegt. In einer der zentralen Fragen, der Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese, wurden die Ergebnisse des ersten Ausschusses in der vergangenen Legislaturperiode bestätigt: Die Tat wird eindeutig dem NSU zugeordnet.

„Solide Arbeit schlägt Verschwörungstheorie“ fasst der CDU-Obmann Arnulf von Eyb die Ergebnisse zusammen. Er bekannte allerdings zugleich, „in einen Abgrund geschaut zu haben“, unter anderem weil vielen Abgeordneten die Bedeutung von rechter Musik als Einstiegsdroge in die Szene nicht klar gewesen sei.

Der Abschlussbericht ist mehr als 1250 Seiten stark, allein die Beschlussempfehlungen mit Vorschlägen und Forderungen umfassen 22 Seiten. Verlangt wird von der Landesregierung, und das ist zumindest indirekt auch ein Eingeständnis früherer Versäumnisse, sie solle „ein umfassendes Konzept zur Demokratieförderung entwickeln und umsetzen, das kommunale und zivilgesellschaftliche Träger beteiligt." Schon bei Kindern und Jugendlichen müsse auf eine Stärkung der demokratiebejahenden Einstellungen gesetzt werden, als Schutz vor Einstieg in den Extremismus.

Erzieherinnen, Lehrkräfte und Leiter von Jugendgruppen in Vereinen müssten aktiv für die Demokratie werben und befähigt werden, Anzeichen für rechtsextremistische Gesinnung zu erkennen. Denn entsprechende Karrieren „beginnen nahezu immer in jugendlichem Alter und bleiben dem Umfeld der Betroffenen meist nicht verborgen", heißt es weiter. „Wir müssen alles tun, um jungen Menschen vor dem Abdriften zu schützen“, sagte von Eyb. Das könne aber nicht allein der Schule überlassen werden: „Wir alle sind gefordert, also Eltern Verwandte, Parteien, Verbände, Kammer, Kirchen, Vereine, aber auch die Medien.“

Aufgabe war Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz zu untersuchen

Grünen-Obmann Jürgen Filius erinnerte daran, dass ein Untersuchungsausschuss „kein Ermittlungsgremium und kein Gericht ist“. Aufgabe sei gewesen, die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz zu untersuchen. Der Fall zweier baden-württembergischer Polizeibeamter, die Mitglieder des Ku-Klux-Klan waren, sei „leider hochaktuell", wie das Bekanntwerden einer Gruppe rechtsextremer Polizisten in Hessen zeige. Filius warnte vor der Wirkung von menschenverachtender Sprache: „Zuerst steht der Gedanke, darauf folgt das Wort und dann schließlich die Tat." Daher sei es so wichtig, „dass Menschen für die Wirkung von Worten sensibilisiert werden und Begriffe kritisch hinterfragen".

Christina Baum (AfD) beklagte, ihre Fraktion sei im Ausschuss von Anfang an ausgegrenzt worden: „Wir haben Aufklärung als unsere Aufgabe verstanden, und wir dachten wirklich, dass bei solch einem ernsthaften Thema gewisse ideologische Hürden fallen.“ Für die meisten Mitglieder des Ausschusses sei „die Geschichte des NSU bereits zu Beginn geschrieben gewesen“. Alle 42 Beweisanträge der AfD seien abgelehnt worden, die anderen vier Fraktionen hätten den Ausschuss missbraucht, um eigene politische Ziele zu verfolgen. Entgegen allen parlamentarischen Gepflogenheiten will die AfD einen eigenen Abschlussbericht auf ihrer Internetseite veröffentlichen.

„Für uns Sozialdemokraten ist klar“, so Boris Weirauch, „dass die NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt die Polizistin Michèle Kiesewetter auf hinterhältigste Weise ermordet und ihren Kollegen schwer verletzt haben“. Es seien keine stichhaltigen Beweise für die Anwesenheit weiterer Täter am Tatort gefunden worden, „dennoch fällt es mir weiterhin schwer zu glauben, dass die drei NSU-Terroristen ohne unmittelbare Unterstützung aus Baden-Württemberg den Mordanschlag auf der Theresienwiese verübt haben“, so der Mannheimer Abgeordnete. Zugleich befand er, es habe keine Geheimdienste am Tattag am Tatort gegeben, wie gerüchteweise öfters behauptet worden war. Auch nach diesem zweiten Ausschuss stehe fest: „Kiesewetter und ihr Kollege wurden zum Ziel, weil sie Polizisten waren.“

Bedeutung rechtsextremer Musik als Einstiegsdroge

Auch Weirauch befasste sich mit der Bedeutung rechtsextremer Musik. „Wenn der Rechtsrock Einstiegsdroge ist, sind die Rechtsrock-Konzerte die Opiumhöhlen der Rechtsextremisten“, erklärte der Sozialdemokrat. Demokratie müsse erlebbar gemacht werden, um Rechten den Boden zu entziehen. Demokratie und die Achtung aller Mitmenschen müssten als die zentralen Werte in unserer Gesellschaft verankert werden, denn „Demokratie und Respekt sind kein Projekttag, sondern tägliche Aufgabe“.

Der Heilbronner FDP-Abgeordnete Nico Weinmann, der dem ersten Ausschuss ebenfalls nicht angehört hat, erläuterte, wie sich nach umfangreicher Analyse des Behördenhandelns herausgestellt habe, dass „einiges im Argen lag“. Von Versagen könne aber keine Rede sein. Und er stellte fest, dass „die Aufklärung dieser Terrorserie trotz der vielen Untersuchungsausschüsse und des Urteils aus München nicht abgeschlossen ist, das sind und bleiben wir den Opfern schuldig“.

Für einige Unruhe sorgte am Ende das Abstimmungsverhalten von AfD-Abgeordneten, weil einige Empfehlungen nicht mitgetragen werden. Unter anderem wurde dem Verlangen nach einer Verschärfung der Regelungen von Waffenbesitz bei Rechtsextremisten nicht zugestimmt und auch nicht der Forderung, grundsätzlich keine einschlägigen Autokennzeichen zu vergeben. Denn bisher sind in Baden-Württemberg Buchstabenkombinationen wie KZ, SA, SS, HJ oder NS nicht verboten. Ebenso wenig die Zahl 88, die Nazis entsprechend der achten Stelle des Buchstabens H im Alphabet als Verschlüsselung für "Heil Hitler" nutzen.


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