Stuttgart. Sechs Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg nehmen auch im Landtag die Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsfraktion und der Opposition an Schärfe zu. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warf der schwarz-roten Bundesregierung und der grün-roten Landesregierung bei der Flüchtlingsthematik „Versagen auf der ganzen Linie“ vor. Eine der Ursachen für die gegenwärtige Flüchtlingskrise sei die „Selfie-Kultur der Bundeskanzlerin“, kritisierte der Liberale. Angela Merkel (CDU) habe das falsche Signal einer unbegrenzten Willkommenskultur in Deutschland gesetzt und sei mitverantwortlich für den Ansturm der Flüchtlinge nach Deutschland, besonders nach Baden-Württemberg und Bayern.
Rülke monierte, aus Baden-Württemberg würden nur halb so viele abgelehnte Asylbewerber abgeschoben als in Bayern. Kretschmann sei eigenen Aussagen zufolge weder für noch gegen weitere sichere Herkunftsländer. Dies bewertete der Liberale als „Politikversagen“. Grün-Rot beschönige ihre „nachlässige Abschiebepraxis“. Kretschmann habe in seiner „blinden Gefolgschaft“ zur Kanzlerin jeden Kompass in der Flüchtlingspoltik verloren.
Auch Guido Wolf (CDU), der am 13. März Winfried Kretschmann als Ministerpräsident ablösen möchte, ging die grün-rote Landesregierung an. „Sie schieben nicht die ab, die abgeschoben werden könnten“, urteilte der CDU-Fraktionsvorsitzende und forderte eine konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Außerdem würde Grün-Rot die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen verzögern.
„Wir brauchen endlich eine konsequente Politik“, sagte Wolf und kündigte an, nach der Regierungsübernahme 1500 neue Stellen bei der Polizei zu schaffen, die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu stoppen, sich für Transitzonen („wir brauchen Kontrolle an den Außengrenzen“) einzusetzen, die Geldzuweisungen an Erstaufnahmestellen zu stoppen („falsche Anreize“), während des Asylverfahrens die Residenzpflicht einzuführen und sich für weitere sichere Herkunftsländer in Nordafrika einzusetzen. Widersprüchliche Aussagen von Kretschmann kommentierte Wolf mit dem Wortspiel: „Hier redet ein Grüner schwarz, ohne dabei rot zu werden.“
Für die Landesregierung konterte Innenminister Reinhold Gall (SPD). Kein Bundesland habe das im Oktober verabschiedete Asylverfahren-Beschleunigungsgesetz so Ziel führend umgesetzt wie Baden-Württemberg. Er erinnerte an die auf Bundesebene von Union und SPD beschlossene gemeinsame Position zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und sagte in Richtung Opposition: „Gegenseitige Vorhalte bringen uns nicht weiter.“ Der Innenminister korrigierte die von Wolf genannten Zahlen der unregistrierten Flüchtlinge im Südwesten; heute seien noch 2500 nicht registrierte im Land unterwegs und nicht 15 000. Die steigende Zahl der abgelehnten Asylbewerber und deren Duldung begründete Gall mit den „Abschiebungshindernissen“. Grün-Rot habe es geschafft, bei der Registrierung innerhalb von zwei Monaten „schneller und effektiver“ zu arbeiten.
Gall kritisierte außerdem das jüngste Treffen der CDU-Fraktion mit der Schauspielerin Uschi Glas, die sich für regelmäßiges und gesundes Frühstück für Schulkinder engagiert: „Hätten Sie statt Uschi Glas Fachleute eingeladen, wäre es besser gewesen.“ Außerdem verband er seinen Rat an die CDU („bleiben Sie sachlich, orientieren Sie sich an Fakten“) mit dem Hinweis: „Auf dem Spielfeld der AfD werden Sie nichts gewinnen.“
Edith Sitzmann (Grüne) warf Wolf vor, durch die „schwarze Wahlkampfbrille“ zu blicken – die Realität sehe anders aus. „Wir haben geordnete Verhältnisse“, erklärte die Grünen-Fraktionschefin. Jeder Mensch habe ein Dach über dem Kopf, Essen und Grundversorgung. Alle Flüchtlinge, die an die Kreise überstellt wurden, seien registriert. Auch Sitzmann kritisierte die Bundesregierung: „An Grün-Rot liegt das Problem nicht, sondern bei der Union.“ Auch die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer sei Sache des Bundes. Zu Wolf sagte Sitzmann: „Sie irrlichtern zwischen Klöckner und Seehofer und machen einen Bogen um Angela Merkel.“
Die Verantwortung in der Zuwanderung sieht auch Claus Schmiedel (SPD) beim Bund. „In Berlin wird entschieden, wie mit der Flüchtlingskrise umgegangen wird“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende. Die CDU sei nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Ans Ziel komme man nur mit einer europäischen Einigung, konstatiere Schmiedel und sprach sich für Hotspots an den Außengrenzen Europas aus.
Ein von der CDU-Fraktion eingebrachter Antrag, „zur Vermeidung von Fehlanreizen unverzüglich und konsequent von Geld- auf Sachleistungen bei der Leistungsgewährung in Erstaufnahmeeinrichtungen und anderen Gemeinschaftsunterkünften umzustellen und der Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat zu unterstützen“ wurde in namentlicher Abstimmung von Grün-Rot abgelehnt; von den 136 Abgeordneten stimmten 66 dafür und 70 dagegen.