STUTTGART. Keine Chance auf eine Mehrheit im Landtag wird der von der FDP-Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf zum Erhalt eines vielfältigen Schulangebots haben. Die Sprecher der anderen im Landtag vertretenen Parteien lehnten am Donnerstag in erster Lesung die Initiative der Liberalen ab. Die FDP forderte damit, die Haupt- und Werkrealschulen dadurch zu stärken, dass für den Erhalt der Hauptschulen nicht alle die Zahl der Anmeldungen in Klasse ausschlaggebend ist, sondern die durchschnittliche Zahl der Schüler in den Klassenstufen 5 bis 9 herangezogen werden.
Auslöser für den Gesetzentwurf ist die befürchtete weitere Schließung von Haupt- und Werkrealschulen in den kommenden Jahren. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte unlängst gemutmaßt, dass von den derzeit bestehenden 458 Hauptschulen „gut die Hälfte“ wegen des aktuell gültigen Schulgesetzes geschlossen werden müssen.
„Mit großer Sorge“ sehe die FDP die Lage der Haupt- und Werkrealschulen, begründete Timm Kern (FDP) die Vorlage. Vom Schuljahr 2008/09 bis zum Schuljahr 2018/19 habe sich ihre Zahl von 1176 auf 458 „dramatisch reduziert“. Dies sei ein Alarmzeichen für das gegliederte Schulsystem in Baden-Württemberg. Es müsse „jedoch alles getan werden“, um das Schulsystem zu sichern. Kern kritisierte die Grünen, mit ihrem Ziel „der einzigen Schule für alle“ (Gemeinschaftsschule) und der „überstürzten und unvorbereiteten Abschaffung der Grundschulempfehlung“ diese Entwicklung herbeigeführt zu haben. Die grün-rote Vorgängerregierung habe das „Sterben der Hauptschule“ beschleunigt. Deshalb plane auch Kultusministerin Eisenmann eine Änderung des Schulgesetzes. Für die FDP sei der Erhalt der Haupt- und Werkrealschulen „unverzichtbarer Bestandteil des Schulsystems“.
Eltern würden ihre Kinder nicht mehr auf die Hauptschule schicken, erwiderte Andrea Bogner-Unden (Grüne). Die Grünen setzten auf „Qualität“ und ausreichende Versorgung der Schulen mit Lehrkräften; dies sei an kleineren Schulen „nur schwer realisierbar“. Die Mindestzahl von 16 Schülern in den Eingangsklassen sei deshalb „ein wichtiger Baustein“. Kleine Schulen bräuchten mehr Ressourcen, deshalb sei ihr Erhalt „unverantwortlich“. Außerdem könnten heute schon in bestimmten Gebieten durch Ausnahmeregelungen „Härten vermieden“ werden. Für Bogner-Unden reichen die Leistungen an Grund- und Werkrealschulen „nicht an die Leistungen anderer Schulen heran“. Sie seien Rest- und Auffangschulen. Sie plädierte für „handlungsfähige starke Einrichtungen“, die nicht den Lehrermangel verschärfen und pädagogisch vertretbar seien.
Für die CDU-Fraktion sprach sich Karl-Wilhelm Röhm zwar für die „Schulvielfalt“ aus: „Das gegliederte System eröffnet passgenaue Bildungswege.“ Der FDP-Antrag werde dennoch abgelehnt, da er „gut gemeint, aber nicht gemacht“ sei. Im Gegensatz zum Entwurf der Kultusministerin „verschlimmbessere“ die geplanten Maßnahmen. Nach wie vor stimme die CDU-Fraktion dem Kabinettsentwurf von Eisenmann zu, den der Koalitionspartner Grüne jedoch ablehnt.
Auch die AfD will das dreigliedrige Schulsystem in Baden-Württemberg erhalten und weiterentwickeln, wie Rainer Balzer betonte. Es seien gute, solide Schulen für Menschen erforderlich, die nicht studieren wollten. Die Hauptschule sei keine Restschule, sagte Balzer in Richtung Grüne. Sie sei besser als ihr Ruf, bereite sie „doch gut aufs Leben vor“. Allerdings sei dort Unterricht aufgrund Disziplinlosigkeit und fehlender Aufmerksamkeit der Schüler nicht möglich, konstatierte der Studiendirektor.
Die SPD lehnt den FDP-Entwurf ebenfalls ab. Die Nachfrage nach Haupt- und Werkrealschulen sei zurückgegangen, viele Standorte hätten einfach keine Perspektive, urteilte Stefan Fulst-Blei (SPD). Mit der Öffnung zur Gemeinschaftsschule habe Grün-Rot den Hauptschulen „wirkliche Perspektiven“ geboten. Auch Realschulen könnten den Hauptschulabschluss anbieten. „Hauptschulen haben dann Zukunft, wenn genügend Schüler da sind“, sagte der Berufsschullehrer. Auch das jetzige Schulgesetz lasse Ausnahmen von der Mindestschülerzahl zu. Der FDP und CDU warf er „pädagogische Bankrotterklärung“ vor; Eltern und Schüler würden sich nicht für die Hauptschule entscheiden. „Abschulungsschulen“ führten jedoch zur Demütigung.
Für Kultus-Staatssekretär Volker Schebesta (CDU) sind Haupt- und Werkrealschulen „förderlich für Kinder mit praktischer Begabung“. Durch die kooperative Praxisorientierung könne der Berufsalltag „ausprobiert“ werden. Positiv sieht Schebesta, dass sich die Übergangszahlen auf die Werkrealschulen mit derzeit 5,9 Prozent stabilisiert haben. Dagegen haben die Hauptschulen niedrige Übergangszahlen in die fünften Klassen; sie sind von 1200 auf inzwischen 235 gesunken. Schülerwechsel in die höheren Klassen summieren sich bis Klasse 9 jedoch auf gut 40 Prozent.
Kern reagierte auf die Äußerungen von Grünen und SPD. Grün-Rot habe den „beispiellosen Absturz“ von Baden-Württemberg in den Bildungs-Rankings verursacht. Es sei auch unverschämt, den Gymnasien „kalkuliertes Abschulen“ vorzuwerfen. Wie Grüne über Haupt- und Werkrealschulen als Restschulen und Auffangschulen sprechen würden, sei „unterirdisch“. Die FDP wolle die „passende Schule“ und nicht die eine Schule für alle.