Stuttgart. Die Landtagsabgeordneten in Baden-Württemberg sind um ein Privileg reicher. Bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung aus den Reihen der FDP billigte das Parlament am Mittwoch in Stuttgart die Änderung des Paragrafen 75 der Geschäftsordnung, womit die bessere Vereinbarkeit von Familie und Landtagsmandat geregelt wird. Danach muss der Landtagspräsident Urlaub innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen gewähren, wenn dies von einer Abgeordneten beantragt wird. Außerdem kann der Präsident zum Zwecke der Kinderbetreuung Abgeordnete auf Antrag für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes für die Plenar- und Ausschuss-Sitzungen beurlauben.
Beantragt hatten diese Regelungen die Abgeordneten Anneke Graner (SPD, Charlotte Schneidewind-Hartnagel (Grüne), Volker Schebesta (CDU), Timm Kern (FDP), Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) und Stefan Fulst-Blei (SPD). Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe hatte die Details ausgearbeitet. Baden-Württemberg ist damit das erste Bundesland, das eine solche Regelung – bei vollen Diäten - für die Abgeordneten traf. Auch Bundestag und das Europäische Parlament verfügen nicht über solche Bestimmungen. Damit sich durch die möglichen Urlaube die Mehrheitsverhältnisse im Landtag nicht verändern, einigten sich die Fraktionsvorsitzenden darauf, dass Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeiten als anerkannter Pairing-Grund gelten, wie dies auch bei dienstlich bedingten Abwesenheit der Fall ist.
Graner, die am 16. März 2013 für den zum Oberbürgermeister von Karlsruhe gewählten Frank Mentrup in den Landtag nachgerückt war, begrüßte die Regelung, sei sie doch zu Beginn ihrer Zeit als Abgeordnete auf die Elternzeit ihres Mannes angewiesen gewesen, um ihr Kind während der Plenararbeit zu betreuen. Baden-Württemberg betrete damit Neuland und könne auf die Vorreiterrolle stolz sein. Juristisch brauche ein Abgeordneter zwar keine Vereinbarkeits-Regelung, da es allein dem Parlamentarier obliege, wie er sein Amt im Landtag und im Wahlkreis ausübe. „Dies ist auch ein Signal für die kommunale Politik“, sagte Graner. Außerdem könnten damit mehr junge Frauen für die Politik gewonnen werden und junge Männer, die sich um ihre Kinder kümmern wollen.
Auch Schebesta sieht die Regelung als „attraktiv für junge Abgeordnete“. Damit zeige der Landtag Verständnis für den Mutterschutz und die Kinderbetreuung. Kai Schmidt-Eisenlohr (Grüne), seit August dieses Jahres Vater eines Sohnes, sagte, Männern falle es schwer, zur Kinderbetreuung den Arbeitsplatz zu verlassen. Dennoch werde sein Sohn den Vater künftig intensiver und entspannter erleben. Timm Kern (FDP) hätte es lieber gesehen, wenn die Beurlaubung mit dem Verzicht auf einen Teil der Abgeordneten-Diäten einher gehen würde. Dies ist jedoch rechtlich nicht möglich. Im Ständigen Ausschuss hatte Kern ausgeführt, Kinderbetreuungszeiten passten für ihn nicht zum Bild des Abgeordneten, der für eine Legislaturperiode gewählt worden sei und eigentlich keine Pause machen könne. Wer ein Mandat ausübe und gleichzeitig Zeit für die Kinderbetreuung haben wolle, müsse sich entscheiden, was primär gewollt sei. Genau ist diesen Gründen stimmte der FDP-Abgeordnete Friedrich Bullinger gegen den Antrag und Ulrich Goll (FDP) enthielt sich der Stimme.