Stuttgart. Unerwartetes Donnerwetter am Abend: Beim letzten Tagesordnungspunkt des Plenartages richtete Nikolaos Sakellariou (SPD) nach der turnusmäßigen Vorstellung des Berichts des Petitionsausschusses zur Hälfte der Legislaturperiode ungewohnt scharfe Worte an die Mitglieder der Landesregierung, von denen zu diesem Zeitpunkt lediglich noch Kultusminister Andreas Stoch (SPD) und Staatssekretärin Gisela Splett (Grüne) anwesend waren.
„Es ist ein Riesenfehler, dass der Petitionsausschuss berichtet, wenn die Landesregierung weg ist“, so Sakellariou, der das Landtagspräsidium nachdrücklich dazu aufforderte, diese Berichte künftig vor die aktuellen Debatten an die Spitze der Tagesordnung statt ans Ende zu setzen. „Diese Mutter aller Bürgerbeteiligungen gehört schon aus Gründen der Selbstachtung an prominente Stelle im Parlament“, sagte der SPD-Politiker und forderte den Landtag dazu auf, überfraktionell eine Anwesenheitspflicht für Regierung und Abgeordnete bei der Vorstellung des Berichts zu beschließen. „Das ist der einzige Tagesordnungspunkt in fünf Jahren, der sich mit dem Landtag befasst und nicht mit der Regierungsarbeit. Da sollten Regierung und Abgeordnete vollzählig sein“, forderte er unter lautstarker Zustimmung seitens der CDU und FDP.
Zuvor hatte Beate Böhlen (Grüne), Vorsitzende des Petitionsausschusses, dem Parlament Bericht über die Arbeit des Gremiums erstattet. In der ersten Hälfte der laufenden Legislaturperiode haben sich demnach 3308 Bürger mit einer Petition an den Landtag von Baden-Württemberg gewandt. Zusammen mit dem Überhang aus der vorhergehenden Legislaturperiode hätten dem Ausschuss in der Zeit von Mai 2011 bis Ende Oktober 2013 insgesamt 3814 Petitionen zur Bearbeitung vorgelegen.
Im Vergleich zum gleichen Zeitraum der vorangegangen Wahlperiode ist die Zahl der Eingaben damit um neuen Prozent gestiegen. Den Anstieg führte Böhlen auch auf die neu geschaffene Möglichkeit von online-Petitionen zurück, von der 353mal Gebrauch gemacht wurde. Für die Bürger stelle die Eingabe einer Petition ein sehr niederschwelliges Angebot dar, um Behördenentscheidungen durch das Parlament überprüfen zu lassen. „Für viele ist es aber auch die letzte Möglichkeit, außergerichtlich gegen Entscheidungen vorzugehen“, sagte Böhlen.
Die Erfolgsquote der Petitionen lag bei 20 Prozent. Mit 287 Eingaben waren Bausachen erneut thematischer Spitzenreiter, gefolgt vom Justizvollzug mit 227 Petitionen. Von Platz elf auf Platz drei vorgerückt ist dagegen der Bereich „Medienrecht und Rundfunkwesen“: Allein 138 von 191 Petitionen in diesem Themenfeld richteten sich gegen die Neuregelung des Rundfunkbeitrags. In Sachen Ausländer- und Asylrecht ist die Zahl der Eingaben gegenüber dem Vergleichszeitraum zwar zurückgegangen, dennoch wurden dazu 177 Petitionen eingereicht; die meisten davon von Bürgern aus dem Kosovo. Böhlen berichtete zudem von einer Delegationsreise des Ausschusses in den Kosovo im Januar 2012, um sich vor Ort über die Lebensbedingungen von ethnischen Minderheiten zu informieren. Die Eindrücke aus der Reise seien in einen neuen Bleiberechts-Erlass des Innenministeriums eingeflossen.
Böhlen lobte – ebenso wie Sakellariou, Werner Raab (CDU), Alexander Schoch (Grüne) und Leopold Grimm (FDP) den parteiübergreifenden Charakter des Ausschusses und dankten den Mitarbeitern der zuständigen Landtagsabteilung für ihre „hervorragende Arbeit“. Schoch regte zudem an, über ein öffentliches Petitionsverfahren und ein Konzept zur Novellierung des Petitionsrechts nachzudenken.