Stuttgart. Sie war „ein Mädchen voller Träume“, sie „schätzte schöne Kleider“, hatte „die Hoffnung auf ein schönes Leben“. Später fragte sie „Gott manchmal, warum er mich nicht auch sterben ließ wie meine Mutter und meine Brüder“. Jetzt steht Nadia Murad im Landtag, um sich für die Hilfe Baden-Württembergs zu bedanken: „Wir haben in der Gefangenschaft gefürchtet, dass die Welt uns vergessen hat“. Und weiter: „Sehr, sehr geehrter Ministerpräsident, Sie haben unser Flehen erhört.“
Winfried Kretschmann und sein Amtschef Klaus-Peter Murawski (beide Grüne) haben viel Kritik einstecken müssen, als die Idee im 2014 geboren wurde, ein Sonderkontingent von rund 1000 traumatisierte Jesidinnen aus dem Nordirak ins Land zu holen und zu therapieren. Als zu teuer wurde das Projekt beschrieben und zu wenig nachhaltig. Als bundesweit jedenfalls gescheitert, weil sich andere Landesregierungen nicht anschließen mochte.
Der Regierungschef blieb hartnäckig. „Dass ich zu den Vereinten Nationen, zur Bundeskanzlerin und heute zu Ihnen sprechen kann, wäre ohne dieses Sonderkontingent nicht möglich“, so die 23-jährige, die Mitte September in New York von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zur „Sonderbotschafterin für die Würde der Opfer von Menschenhandel“ der Vereinten Nationen ernannt wurde. „Die Jesidin hat in Händen der Terrormiliz unsäglichen Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen erlitten und großen Mut dabei bewiesen, nun gegen solche Verbrechen anzukämpfen“, begründete Ban seine Entscheidung.
Im Landtag bekannte Murad „täglich zu beten, dass noch mehr von uns aus den schmutzigen Händen der Terroristen befreit werden können". Auch Kretschmann appellierte noch einmal an die anderen Bundesländer ebenfalls Sonderkontingente aufzunehmen. Schleswig-Holstein und Niedersachsen seien „in bescheidenem Maße gefolgt“. Aus Sachsen gebe es Signale. Mit einer anderen Rede vor einem anderen Parlament hatte die Sonderbotschafterin ebenfalls Erfolg – in deutlich größerem Ausmaß: Murad sprach in Ottawa, Kanadas Premier Justin Trudeau kündigt daraufhin eine Luftbrücke für 20.000 Jesidinnen und Jesiden an.
Die Sonderbotschafterin nutzte ihrer Rede im Landtag auch dazu, sich an Geflüchtete zu wenden, zu appellieren, die Deutschland aufgenommen habe. „Die meisten sind gute Menschen“, die gerade, weil sie Krieg und Gewalt selbst erlebt hätten, Kriminellen und Terroristen Einhalt gebieten wollten: „Die allermeisten von uns wissen, was sie Deutschland und seinen Menschen zu verdanken haben.“ Von muslimischen Gemeinschaften und Regierungen wünsche sie sie sich Entschlossenheit in der Auseinandersetzung mit dem Extremismus. Alle Muslime und deren Religionsträger und Oberhäupter sollten sich „öffentlich gegen Extremismus, Terrorismus und Gewalt aussprechen“.
Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) bot den Flüchtlingen Baden-Württemberg als neue Heimat an. Und sie dankte den haupt—und ehrenamtlichen Helfern in den Kreisen, Städten und Gemeinden für ihr „enormes Engagement“.