Stuttgart. Die Landesregierung und die überwiegende Mehrheit im Landtag von Baden-Württemberg stehen fest zu Europa. „Europa hat uns Frieden, Freiheit und Wohlstand und die längste Friedenszeit der Geschichte gebracht“, sagte CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart am Mittwoch in der von seiner Fraktion beantragten Aktuellen Debatte „Europa richtigmachen – für Sicherheit, Frieden und Wohlstand“.
Zweieinhalb Wochen vor der Europawahl am 26. Mai konstatierte er, Europa sei „schlichte Notwendigkeit“ und das Brexit-Chaos zeige, dass der Weg aus Europa ein Irrweg sei. Zwischen America first und China Seidenstraße könne nur ein gemeinsames Europa bestehen. Reinhart konstatierte, antieuropäische Reflexe seien Mode geworden; mit Populismus, Nationalismus und Egoismus werde Europa jedoch das 21. Jahrhundert nicht gewinnen können Europa sei Wohlstandsgarant, es sei notwendig für Sicherheit, Freiheit und Schutz der Grenzen.
Allerdings sei das gemeinsame Europa-Haus „nie fertig“; deshalb dürfe man sich nicht „im klein-klein“ verlieren. Der CDU-Politiker sprach sich für dezentrale Verantwortung und Subsidiarität aus; Aufgaben müssten dort erfüllt werden, wo sie besser und bürgernäher erledigt werden könnten. Europa müsse auch nationale und regionale Besonderheiten schützen.
„Europa braucht uns, und wir brauchen Europa“, sagte Andreas Schwarz. Deshalb gehöre das Bekenntnis für Europa in Baden-Württemberg zur Staatsräson. Für den Grünen-Fraktionschef ist die EU mehr eine Wertegemeinschaft als eine Wirtschaftsunion, denn sie wahre Menschenrechte und Schutz von Minderheiten. Im Hinblick auf nationale Strömungen mahnte Schwarz, dass Rechtsstaatlichkeit und Grundrecht „für alle gelten“.
Der Grüne sieht die Europawahl am 26. Mai auch als „Klimawahl“, denn die EU müsse sich künftig auch zur Klimaschutz-Union entwickeln. Schwarz erinnerte daran, dass die Grünen bis 2050 den Energiebedarf ausschließlich aus erneuerbaren Energien gewinnen wollen. Zentrale Aufgaben seien in Europa nur gemeinsam lösbar, betonte Schwarz. Er sprach sich erneut für eine CO2-Abgabe aus.
Europaminister Guido Wolf (CDU) sprach sich dafür aus, die Zukunft der EU „mutig zu gestalten“. Europa brauche „weniger Fliehkräfte, sondern mehr Ziehkräfte“. Er forderte die Bürger Baden-Württembergs auf, am 26. Mai ihre Stimme abzugeben, um die Chance für Europa wahrzunehmen. Wolf erinnerte daran, dass in Baden-Württemberg jeder dritte Arbeitsplatz von Europa abhänge. Deshalb seien die 84 Cent, die jeder Baden-Württemberg pro Tag für Europa aufbringe, „es uns wert“. Für den Minister muss Europa eine Werte- und Rechtsgemeinschaft bleiben; es gebe Entwicklungen und Angriffe, die man im Auge behalten müsse. Als Beispiele nannte er Ungarn, Polen und Rumänien.
Wolf kritisierte auch die Türkei, die sich zur Diktatur entwickelt habe. „Ein solches Land hat keinen Platz in Europa“, konstatierte er. Generell sei ein Europa „von unten nach oben unsere Vorstellung“. Der CDU-Minister bekannte sich außerdem zur Währungsunion, er lehnte jedoch eine Vergemeinschaftung von Schulden in der EU kategorisch ab.
Auch die AfD sprach sich für Frieden, Freiheit und Wohlstand als Ziele von Europa aus; Emil Sänze hält dennoch die EU für gescheitert und Europa habe einen Abstieg hinter sich. Europa sei ein „Monstrum“, das von lebensfernen Technokraten regiert werde, ohne gemeinsame Sprache und mit dem Ziel, einen Brüsseler Zentralstaat aufzubauen. Deutschland als großer Beitragszahler falle Jahr für Jahr weiter zurück.
Der Landesregierung warf Sänze vor, weder die Zahlungen an die EU noch den Nutzen Europas für Baden-Württemberg beziffern zu können. Er sprach von einem Nettoabfluss in Höhe von 3,66 Milliarden Euro pro Jahr nach Brüssel. Damit bezahle der Südwesten mehr an die EU als in den Länderfinanzausgleich. Kritisch sieht Sänze, dass die EU ihre Ausgaben von 2021 an stark erhöhen möchte, wodurch Baden-Württemberg „als Zahlmeister der EU“ dann 5,93 Milliarden zahlen müsse. „Die Idee der EU war gut, sie ist allerdings zum Monstrum mutiert“, sagte der AfD-Abgeordnete.
Andreas Stoch (SPD) griff in der Debatte die Bundeskanzlerin an. Angela Merkel (CDU) habe nichts mehr zu Europa zu sagen. Sie betreibe keinen Wahlkampf für Europa, sei tatenlos und zaudere. Nach Ansicht des SPD-Fraktionschef wollen die allermeisten Baden-Württemberger mehr Europa, „ein Europa, das mehr kann, mehr können darf und können muss.“ Europa habe aber auch Feinde, auch im Landtag, sagte er mit Blick auf die AfD.
Neben Merkel sei auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ein schlechtes Beispiel. Er habe zwar nichts gegen Europa, aber im Alltag gebe es nur Abwehr und Bedenken und Sorge. Subsidiarität werde zur „Allzweckwaffe“ gegen jede Idee, und Europa diene nur dazu, dass man einen Sündenbock hat, „wenn man einen braucht“. Baden-Württemberg müsste nach Stoch „am lautesten und deutlichsten“ Ja zu Europa sagen und klar Farbe bekennen.
Auch Hans-Ulrich Rülke (FDP) sieht eine „Lahmheit“ im Europa-Wahlkampf. Dabei seien Wahl und Europa wichtig. Denn das Friedens- und Wohlstandsprojekt werde von vielen in Frage gestellt. Dabei gehe es dem Kontinent wirtschaftlich mit freien Märkten „noch nie so gut“ wie heute. Die politische Recht gefährde den Frieden, wenn sie Europa „kaputt machen will“. Es müsse auch aufgepasst werden, dass Linke nicht den Wohlstand gefährden. Man dürfe die Probleme nicht verschweigen. So sprach sich Rülke für die Lösung der Flüchtlingsfrage mit einem Verteilungsprogramm aus, Grenzen müssten gesichert werden. Eine Schulden-Union sei nicht in deutschem Interesse. Der Liberale forderte außerdem das Ende der Nullzins-Politik von EZB-Präsident Mario Draghi.