Stuttgart. 50 Seiten ist er stark, der Bericht des Europaministeriums an Kabinett und Landtag zur Abschätzung von möglichen Folgen des Brexit für Baden-Württemberg. Der zuständige Minister Guido Wolf (CDU) kündigte am Mittwoch im Landtag an, dass sich das Land britischen Firmen als attraktiver Partner anbieten werde, ohne aber „aggressiv abzuwerben“. Den übrigen 27 EU-Mitgliedsstaaten empfahl er, sich „in den anstehenden Verhandlungen auf keinen Fall auseinanderdividieren zu lassen“.
Alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD erteilten jedem Gedanken an „Rosinenpickerei" bei den Ausstiegsverhandlungen eine klare Absage. Wolf, auf dessen Anregung hin die Europaministerkonferenz der Länder vom Bund bereits eine stärkere Beteiligung an allen anstehenden Gesprächen gefordert hat, warnte zudem vor einem „Rollenwechsel“. Es sei jetzt nicht an den verbleibenden Mitgliedsstaaten oder gar an den deutschen Bundesländern, sich über die Ausgestaltung des Austritts Gedanken zu machen. Am Zug seien vielmehr die Briten. „Was aber nicht heißt“, sagt Wolf, „dass wir nicht transparent beteiligt werden.“
Baden-Württemberg ist besonders betroffen, schon allein angesichts des Exports im Volumen von 12,3 Milliarden im Jahr 2015, Tendenz steigend. In dem Bericht des Ministeriums werden „in allen wesentlichen Politikbereichen Auswirkungen für das Land erwartet“, gerade dieser Exportstärke wegen. Die Länder müssten aber auch ihre inhaltlichen Anliegen im Bereich der Länderzuständigkeiten, beispielsweise Wissenschaft, Kultus, Schulen, Medien, rechtzeitig in den Austrittsprozess auf EU-Ebene einbringen, heißt es weiter.
Grundsätzlich beklagten alle Fraktionen – wiederum mit Ausnahme der AfD – Großbritanniens Ausscheiden. Für die Grünen verlangte Barbara Saebel einen „fairen Prozess“, in dem auch der Zusammenhalt der 27 gestärkt werden könne. „Die Mobilität von Gedanken, von Ideen und Menschen ist Teil unserer Identität“, so Saebel weiter. Deshalb müsse der Brexit auch ein Weckruf sein, um notwendige und Gemeinschaft stärkende Reformen anzustoßen.
Joachim Kößler (CDU) zitierte den früheren britischen Premier Winston Churchill mit dessen Aufforderung, nie aufzugeben. Das gelte auch für Europa. Baden-Württemberg solle erkennen, „dass wir einen ganz wichtigen Partner verlieren, der ähnliche wirtschaftspolitische Vorstellungen hat“. Als Beispiele nannte Kößler Fragen der Entbürokratisierung und der Liberalisierung. Zugleich beklagte er, wie das Abstimmungsergebnis zu Stand kam: „Mit Unwahrheiten und Fake-News wurde Wahlkampf gemacht und die Bevölkerung hinters Licht geführt“. Die Menschen in Großbritannien würden noch schmerzlich erkennen, „wie falsch die Entscheidung war".
Boris Weirauch (SPD) und Gerd Aden (FDP) sehen die Landesregierung in der Pflicht, nicht nur die Ausgangslage zu analysieren, sondern auch Strategien zu entwickeln. Der Sozialdemokrat verlangte eine aktive Rolle nicht nur über den Bundesrat, sondern auch direkt in Europa. Der Liberale riet zu einer gemeinsamen Verhandlungslinie.
Der Heidenheimer AfD-Abgeordnete Heiner Merz kritisierte dagegen die „europäische Schulden- und Haltungsunion“. Es sei ein Irrglaube zu meinen, erfolgreiche Zusammenarbeit mit Großbritannien sei nur über die EU möglich.
„Es gibt keine Blaupause für die Austrittsverhandlungen“, fasste Wolf die Herangehensweise der Landesregierung zusammen. Mit der Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe sollten nicht nur die Brexit-Auswirkungen auf das Land im Blick behalten, sondern auch dem Bund signalisiert werden, dass Baden-Württemberg auf frühe Beteiligung weiterhin drängen wolle.