Stuttgart. Die grün-schwarze Landesregierung setzt im Kampf gegen den Terrorismus neben der Polizei auf einen besser ausgestatten Verfassungsschutz in Baden-Württemberg. „Wir haben eine Terrorlage, nicht nur in Istanbul, in Brüssel und in Paris, sondern auch in Deutschland, in unserem Bundesland, hier in Stuttgart und anderswo“, erklärte Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Mittwoch im Landtag. „Deshalb werden wir das Landesamt für Verfassungsschutz aus gutem Grund stärken: Personell, mit Sachmitteln und mit Möglichkeiten“, fügte Strobl in der von der CDU-Fraktion beantragten Aktuellen Debatte zum Thema „Lehren aus dem Verfassungsschutzbericht: Baden-Württemberg sicher machen gegen Terroristen und Islamisten“ an. Wie der Verfassungsschutz detailliert unterstützt werden soll, ließ der Minister jedoch offen und verwies auf die Haushaltsberatungen. Man regiere ja schließlich fünf Jahre lang.
Die erstklassige Arbeit der Sicherheitsbehörden ist nach Ansicht Strobls ein Grund dafür, dass bisher kein Anschlag in Deutschland ausgeführt werden konnte. Er attestierte dem Landeskriminalamt sowie „unseren eigenen und den befreundeten Dienste im internationalen Bereich“ hervorragende Arbeit. Der Minister verwies auf die „explodierende Zahl“ von Zugängen zum Salafismus – 10 Prozent innerhalb eines Jahres – und berichtete, dass ungefähr ein Fünftel der Salafisten in Baden-Württemberg gewaltbereit seien. Nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes habe jeder gewalttätige islamistische Terrorist eine salafistischen Hintergrund. Deshalb sei es wichtig, die Salafistenszene auch in Baden-Württemberg „sehr genau im Auge zu behalten“.
Blenke: Verfassungsschutz ist unverzichtbares Frühwarnsystem der Demokratie
Der Verfassungsschutz und die Sicherheitsbehörden müssten personell und sachlich in der Lage sein, terroristische Attacken frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, erklärte Thomas Blenke (CDU). Deshalb habe sich die grün-schwarze Koalition auf deren Stärkung geeinigt. Der Verfassungsschutz sei das „unverzichtbare Frühwarnsystem der Demokratie“. Zum optimalen Schutz der Bevölkerung würden die Rechtsgrundlagen für die Sicherheitsbehörden ausgebaut, etwa die präventiv-polizeiliche Erhebung von Telekommunikationsverbindungsdaten und die präventiv-polizeiliche Telekommunikationsüberwachung eingeführt.
Blenke sagte, der islamische Terrorismus bedrohe „unsere offene Gesellschaft“. Derzeit beobachte der Verfassungsschutz im Südwesten 3400 Islamisten; 600 Salafisten seien aktiv, 120 davon gehörten dem gewaltorientierten Spektrum an. „Wir sind auf keinem Auge blind“, betonte der CDU-Sicherheitsexperte und nannte als Schwerpunkte der Arbeit Islamismus, Ausländerterrorismus, Extremismus, aber auch politisch motivierten Extremismus von links und rechts. Nicht zuletzt deshalb habe das Innenministerium ein Kompetenzzentrum zur Koordinierung des Präventionsnetzwerkes gegen Extremismus eingerichtet. „Der Rechtsstaat muss wehrhaft sein gegen seine Feinde, dafür brauchen unsere Sicherheitsbehörden auch die Handlungsmöglichkeiten“, sagte Blenke.
Auch Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) wies auf die „hohe abstrakte Gefahr“ möglicher terroristischer Anschläge auch in Baden-Württemberg hin. Er wies auf den Spagat hin, einerseits möglichst viel Sicherheit zu gewährleisten, andererseits „unsere Lebensweise, unsere Überzeugungen, unsere Freiheitsliebe nicht von Terroristen in Frage stellen“ zu lassen. Zur Verteidigung der Freiheit gehören für den Innen-Experten seiner Fraktion „mehr denn je schlagkräftige Sicherheitsbehörden“; der Verfassungsschutz sei wichtig im Kampf gegen den Terrorismus. Im Gegensatz zur Haltung früherer Jahre sind die Grünen deshalb einverstanden, dass künftig „Ermächtigungsgrundlagen“ angewendet werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind. „Es besteht Bedarf zu handeln“, erklärte Sckerl. Er sprach sich auch für mehr Zusammenarbeit der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden aus. Für die Bekämpfung des Terrorismus werde ein polizeiliche Sondereinheit beim Landeskriminalamt aufgebaut.
Auch Jörg Meuthen (AfD) sieht im islamistisch motivierten Terror „die derzeit größte Gefahr“ für die innere Sicherheit. Hier habe der Verfassungsschutz seine mit Abstand größte Aufgabe. Gleichzeitig bezeichnete der AfD-Fraktionschef den Links- und Rechtsextremismus als „gleichermaßen gefährlich für unser Land“. Wenn es um die Gefährdung unserer Demokratie und Gewalt gehe, müsste mit aller Härte gegen Jeden vorgegangen werden, egal ob Rechts- oder Linksextreme oder Islamisten.
Binder vermisst Zahlen für Nachtragshaushalt
Sascha Binder (SPD) erinnerte an die Vorarbeiten der grün-roten Vorgänger-Regierung zur Stärkung des Verfassungsschutzes. Sie habe mit zwei Antiterrorpakten dafür gesorgt, dass das Landesamt mit 45 zusätzlichen Personalstellen und 1,25 Millionen Euro an Sachmitteln gestärkt worden ist.
Dagegen kritisierte er Grün-Schwarz. Die neue Koalition habe trotz der anhaltenden Bedrohungslage noch keine konkreten Beschlüsse gefasst und nichts in den Nachtragshaushalt eingebracht. Binder mutmaßte, dass Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) „eben doch nicht der größte Fan des Verfassungsschutzes ist“.
Für die FDP-Fraktion hielt Timm Kern die Ausführungen aus den Regierungsfraktionen für „reichlich allgemein gehalten“. Angesichts der zunehmenden Bedrohungen sei eine nachhaltige Stärkung des Landesamts für Verfassungsschutz „längst überfällig“. Kern schlug vor, mehr Fachleute zur Auswertung von Informationen und mehr Dolmetscher einzustellen. Außerdem müsse das Landeskriminalamt in den Bereichen Staatsschutz und organisierte Kriminalität durch Ermittlungsgruppen gestärkt werden. Der FDP-Abgeordnete forderte auch mehr Programme für Aussteiger und zur De-Radikalisierung. Dringend notwendig sei auch ein möglichst flächendeckender Islamunterricht im Land, um nachhaltig fundamentalistischen Hasspredigern den fruchtbaren Boden zu entziehen. Die ersten Lehrer dafür seien an der Uni Tübingen ausgebildet worden, sagte der studierte Gymnasiallehrer Kern.