Stuttgart. Wie können Unternehmen in Baden-Württemberg vor Industrie- und Wirtschaftsspionage geschützt werden? Diese Frage stand am Donnerstag im Mittelpunkt einer von der FDP-Fraktion beantragten aktuellen Debatte im Landtag.
Finanzstaatssekretär Ingo Rust (SPD) sieht für die Landesregierung drei Handlungsfelder bei der Industriespionage, und zwar die Sensibilisierung und Beratung, die Förderung und Entwicklung sowie die Aufklärung und Strafverfolgung. „Wir stellen die Sicherheit stärker in den Vordergrund“, erklärte er und verwies darauf, dass das Land im kommenden Jahr 15 neue IT-Spezialisten für Cyber-Kriminalität einstellen wird. Grundsätzlich will Grün-Rot aber „den Unternehmen helfen, selbst die Fälle zu lösen“. Zumal, wie Rust konstatierte, 70 Prozent der Fälle von Wirtschaftsspionage durch eigene Mitarbeiter geschieht. Deshalb müsse der Schutz vor solchem Geheimnisverrat verbessert werden.
Für Innenminister Reinhold Gall (SPD) hat die Kompetenzbündelung enorme Bedeutung: „Auch deshalb haben wir die Polizeireform vorgenommen.“ Die digitale Welt habe das Gefahrenspektrum verändert. Der Innenminister verwies darauf, dass die Wirtschaftsspionage von Staaten und Nachrichtendiensten, für die der Verfassungsschutz zuständig ist, und die Wirtschafts-Ausspähung, die in den Zuständigkeitsbereich der Polizei fällt, „zwei verschiedene Dinge“ seien. Nach seinen Angaben werden inzwischen 570 Firmen zwischen Main und Bodensee in diesem Bereich beraten. Zudem seinen 80 Spitzenpolizeibeamte und IT-Fachleute bei Cyber-Crime. Vorwürfe der Opposition wies der Minister als „Unfug“ zurück: „Die Vorgängerregierungen habe es versäumt, die IT-Strukturen im Innenministerium sinnvoll zu bündeln.“
Zu Beginn der Aussprache hatte Leopold Grimm (FDP) darauf hingewiesen, dass es in der Debatte „nicht um das Handy von Angela Merkel“ gehe. Zwar hätten Staaten keine Freunde, sondern Interessen, und in der Wirtschaft gebe es Konkurrenten und Wettbewerber – „doch unsere Unternehmen brauchen Schutz vor Ausspähung“. Spionageabwehr sei eine Grundsubstanz staatlicher Aufgaben, zumal der Schaden durch Wirtschaftsspionage in die Milliarden gehe. Immerhin seien 21 Prozent der Unternehmen von Spionage betroffen – bei zunehmender Zahl der Verdachtsfälle. Grimm forderte deshalb die Einrichtung eines nationalen Abwehrzentrums für Wirtschaftsspionage, die Stärkung des Bundesamts für Sicherheit sowie die Einführung einer Zertifizierung für Wirtschaftsspionage-Abwehr.
Reinhard Löffler (CDU) berichtete, das Software-Unternehmen SAP aus Walldorf müsse monatlich 3000 Netzangriffe abwehren. Durch Cyber-Spionage, inzwischen „Tummelplatz" für Industriespione, entstehe ein Schaden von 50 Milliarden Euro jährlich, Baden-Württemberg sei wegen seiner Weltmarktführerrolle und Forschungseinrichtungen besonders gefährdet. Die Industriespionage habe sich längst in den digitalen Raum verlagert. Allerdings erwartet der CDU-Abgeordnete von der Landesregierung wenig Hilfe für die Unternehmen. „Das Land hat nicht mal seine eigene IT im Griff und schiebt die Verantwortung dem Bund zu“, kritisierte Löffler. Die Polizei sei überfordert, die Landesregierung untätig, dabei könnten aus seiner Sicht „unsere Hochschulen und Forschungsinstitute“ in diesem Bereich helfen. Zwar wisse inzwischen jeder, dass gerade in Asien die Produktpiraterie ein Geschäftsmodell sei, aber viele würden sich immer noch nicht ausreichend schützen. „Das ist, wie wenn wir Autos parken mit offenen Türen und steckendem Zündschlüssel“, so Löffler.
Die FDP mache es sich zu einfach, das Problem auf die Landesregierung abzuwälzen, erklärte Alexander Salomon (Grüne). Mittelstand und Industrie seien nicht erst seit 2011, sondern schon viel länger gefährdet. Er forderte die Bundesregierung auf, auf die USA und Großbritannien „Druck auszuüben“ in dieser Frage. Dies sei auch im Sinne der Unternehmen im Südwesten, von denen lediglich rund zehn Prozent mit den Initiativen der Bundesregierung zur Spionageabwehr zufrieden seien. Salomon forderte auch, dass das Land seine Informations- und Kommunikationsverträge prüft. Zu den Enthüllungen von Edward Snowdon sagte der Grünen-Abgeordnete, dem US-Spion solle der Aufenthalt in Deutschland ermöglicht werden. Nicht zufrieden äußerte sich Salomon über das Anti-Spionage-Abkommen; dieses diene zur „Beschwichtigung“ der Leute. Ins Abkommen müssten neben Unternehmen auch die Bürger aufgenommen werden; außerdem dürften nicht bloß die USA Vertragspartner sein.
Nikolaos Sakellariou (SPD) amüsierte sich über den „lustigen Titel zum ernsten Thema“ der Debatte, erinnerte gleichzeitig daran, dass bereits die erste Dampfmaschine das Ergebnis von Industriespionage gewesen sei. Aktuell habe die schwarz-gelbe Bundesregierung das Vertrauen der Unternehmen in Baden-Württemberg verspielt.