Stuttgart. Im Nordschwarzwald wird im kommenden Jahr der erste Nationalpark in Baden-Württemberg entstehen. Die Fraktionen von Grünen und SPD verabschiedeten am Donnerstag erwartungsgemäß das Gesetz zu Errichtung des Nationalparks Schwarzwald auf einer Fläche von 10 000 Hektar zwischen Baden-Baden und Baiersbronn (Kreis Freudenstadt). Auch der CDU-Abgeordnete Günther-Martin Pauly votierte, im Gegensatz zu CDU und FDP, für den Park, in dem der Wald sich selbst überlassen wird.
Von 134 Abgeordneten stimmten 71 für die Einrichtung, 63 waren dagegen. Es wird der 15. Nationalpark in Deutschland. Proteste gegen das umstrittene Projekt hatte es vor allem aus der Holz- und Sägeindustrie gegeben, Abstimmungen in einigen der betroffenen Kommunen lehnten das Projekt ab. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Agrarminister Alexander Bonde (beide Grüne) waren vor dem Landtag von Gegnern ausgepfiffen und ausgebuht worden.
Der Regierungschef sprach in der teilweise hitzigen Debatte von der „historischen Bedeutung“ des Nationalparks. Dieser sei kein grün-rotes Prestigeobjekt, sondern ein Beitrag zur weit reichenden Diversität und Vielfalt. Kretschmann wähnte sich auf der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die gefordert hat, dass in Deutschland fünf Prozent der Wälder bis 2020 sich selbst überlassen werden sollen. „Wir werden damit unserer Verantwortung für den Natur- und Artenschutz gerecht, auf einem kleinen Stück in Baden-Württemberg wird die Natur sich selbst überlassen“, begründete der Ministerpräsident die Einrichtung des Nationalparks. Vom frischen Holz bis zum Todholz entstehe ein Mosaik unterschiedlicher Strukturen. Dabei gehe es um die Wiederherstellung von Wildnis, wobei er neben Kleintieren auch den rotrandigen Baumschwamm erwähnte, der als Pilz lediglich auf Totholz existiert.
„Es gibt keinen Grund, sich darüber aufzuregen“, reagierte Kretschmann auf die Kritik vor Ort und von den Oppositionsparteien. Die Bürger seien früh einbezogen worden und der Nationalpark trage die Handschrift der Region und der Kritiker. So sei auch die Gebietskulisse verändert worden und die Bürgerbeteiligung habe das Ergebnis verbessert. „Es entsteht keine Alibiwildnis oder ein Großlabor“, sagte der Regierungschef. In der ungestörten Natur des Nationalparks könnte Nachhaltigkeit in seiner natürlichen Form erlebt werden. „Wir möchten Urwälder entstehen lassen und erforschen.“ Auch werde die Bevölkerung nicht ausgeschlossen. „Das Sammeln von Pilzen und Beeren ist erlaubt.“ Das Problem mit den Borkenkäfern nehme die Landesregierung „sehr ernst“, weshalb Pufferzonen von 500 bis 1000 Meter eingerichtet würden.
Auf die Vorbehalte der CDU entgegnete Kretschmann, es könne doch nicht die Position der Volkspartei sei, dass sie national bedeutende Infrastrukturprojekte wegen eines regionalen Vetos nicht umsetzen wolle. Für die Einrichtung des Nationalparks sei der Landtag „eindeutig zuständig“. Er warf CDU-Fraktionschef Peter Hauk mangelndes Stehvermögen und fehlendes Augenmaß vor, die Änderungsvorschläge der CDU seien „Nebelkerzen“. Zu den Kosten von 7,2 bis 9 Millionen Euro pro Jahr meinte Kretschmann: „Der Nationalpark kostet weniger als ein Kilometer Autobahn.“ Agrarminister Alexander Bonde (Grüne) freute sich nach mehr als zweijähriger Diskussion über den Beschluss. Er habe am Anfang einen Suchraum von 17 000 Hektar vorgefunden und den jetzigen Nationalpark mit den Menschen entwickelt: „Das Ergebnis ist ein vielfacher Kompromiss.“
Patrick Rapp (CDU) hatte zuvor die Einrichtung eines Nationalparks im Südwesten als „im Grundsatz absolut richtig“ bezeichnet. Das Gesetz sei jedoch aus naturschutzfachlicher Sicht unausgegoren; zudem gehe der Nationalpark zu Lasten anderer Naturschutzprojekte. Grün-Rot gebe auch keine finanziellen Risiken an, Signale für die touristische Stärke der Region würden fehlen und man habe sich nicht um die Sorgen der Anlieger gekümmert. Er reklamierte ein Finanzierungs-, Verkehrs- und Tourismuskonzept.
Dagegen sieht Thomas Reusch-Frey (SPD) in dem Nationalpark Nordschwarzwald ein „Markenzeichen, das uns gut stehen wird und zu uns passt“. Die SPD kämpfe seit 20 Jahren für den Park, dem er eine „erhebliche Anziehungskraft“ attestierte und den er als „ein Stück Bewahrung der Schöpfung“ bezeichnete. Die Größe von 10 000 Hektar sei international anerkannt und keine Spar- oder Billigvariante. Für die Holzindustrie werde durch eine Liefergarantie gesorgt, kündigte Reusch-Frey an.
Auch Markus Rösler (Grüne) hob auf die Vorteile ab. 142 Jahre nach dem ersten Nationalpark weltweit (Yellowstone/USA), 105 Jahre nach dem ersten in Europa (Schweden) und 44 Jahre nach dem ersten in Deutschland (Bayerischer Wald) bekomme auch Baden-Württemberg seinen Nationalpark. In der fast zwei Jahre langen Debatte um den Park sei es um Ängste vor dem Borkenkäfer, Betretungsverboten und vor Wald ohne Wirtschaft gegangen. Angst sei aber ein schlechter Ratgeber. Die CDU-Vorschläge mit einer höher gelegenen, kleineren Fläche lehnte er als „Billig-Bonsai-Park“ und „Flickenteppich“ ab.
Zu einem Rundumschlag nutzte Hans-Ulrich Rülke (FDP) die Aussprache. Das grün-rote Vorhaben bringe ökologisch keinen Fortschritt, die Kosten seien zu hoch, 89 Stellen zu viel, das Land spare bei der Bildung, um diesen Nationalpark zu finanzieren, und deshalb fiskalisch nicht zu verantworten, kritisierte er. Die Mehrheit der Regierungsfraktionen könne den Nationalpark nur erzwingen und verabschiede sich damit von ihrem Prinzip des Gehörtwerdens.
Auch die CDU sage Ja zum Natur- und Artenschutz und zur Wildnis, erklärte Peter Hauk (CDU). Der Nationalpark sei es aber nicht wert, die Menschen aufzuhetzen und sie zu spalten. Rülke warf Kretschmann vor, leidglich ein Prestigeobjekt seiner Amtszeit vorweisen zu wollen. Die Fraktionschef von Grünen und SPD wiesen die Kritik zurück. „Der Bürgerwille ist eingeflossen. Eine deutliche Mehrheit in Baden-Württemberg und in der Region will den Nationalparkt“, konstatierte Edith Sitzmann (Grüne). Claus Schmiedel (SPD) versprach, genügend Mittel bereitzustellen, damit der „Black Forest National Park“ ein touristischer Erfolg werde. Der Nordschwarzwald habe durch die Kur- und Bäderkrise 2,5 Millionen Übernachtungen verloren, mit dem Park wolle man die „touristische Wende“ einleiten. Gleichzeitig warnte er die CDU davor, weiterhin Front gegen den Nationalpark zu machen.